Dieses Jahr sind in Harburg acht neue Stolpersteine auf Gehwegen verankert worden. An einer Gedenkfeier im Haus der Kirche konnte diesmal auch ein Nachfahre der von Nazis ermordeten Familienangehörigen teilnehmen.
Harburg. Uwe Neufeld aus Hamburg-Niendorf ist Jahrgang 1933 und hat als Kind den Krieg und die Schrecken der Nazi-Diktatur erlebt. Er stammt aus einer christlich-jüdischen Familie, die von Hamburg aus einen florierenden Schuhhandel betrieb und unter den Nazis nicht nur Hab’ und Gut verlor.
In Theresienstadt waren 1945 sein Patenonkel Hans Neufeld (59) und dessen Eltern Clotilde (81) und Julius (82) von Nationalsozialisten umgebracht worden – weil sie Juden waren.
Ihnen zum Gedenken hatte der Kölner Künstler Gunter Demnig in Zusammenarbeit mit der Initiative „Gedenken in Harburg“ des Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreises Hamburg-Ost kürzlich drei „Stolpersteine“ vor den Hauseingang Hölertwiete 8 (früher Ludwigstraße) im Gehweg verankert. Die Gedenksteine bestehen aus einer blanken Messingplatte mit der typischen ersten Zeile „Hier wohnte...“
Gestern war im Haus der Kirche an der Hölertwiete zunächst eine Gedenk- und Informationsveranstaltung, an der neben dem Familienangehörigen Uwe Neufeld unter anderem auch Pröpstin Carolyn Decke teilgenommen hatte. Anschließend folgte die Enthüllung der drei Stolpersteine. Iris Groscheck vom Hamburger Staatsarchiv hatte die Familiengeschichte der Neufelds recherchiert und deshalb auch den Kontakt zu Uwe Neufeld aufgenommen.
„Es war eine schreckliche Zeit“, erinnert sich der inzwischen 81 Jahre alte Nachfahre, „ich hatte im Laufe der Jahre einen gewissen Abstand zu den Erlebnissen erreicht. Zwangsläufig musste ich mich für die Befragung wieder mit meinen Erinnerungen befassen. Es ist gut, das geschehene Unrecht nicht zu verdrängen und zu vergessen. So etwas darf nie wieder geschehen.“
Klaus Möller von der Initiative „Gedenken in Harburg“ sagt, dass es zunehmend schwierig wird die Familiengeschichten der Nazi-Opfer zu recherchieren, weil auskunftsfähige Familienangehörige weniger werden, durch Tod oder Krankheit.
Bei der diesjährigen Aktion sind von Gunter Demnig in Harburg insgesamt acht neue Stolpersteine gesetzt worden. Vor dem Haus Hölertwiete 6 wird nun auch an Henny Troplowitz, geborene Rosenbaum, erinnert, die 1943 im Alter von 77 Jahren in Theresienstadt umgebracht worden war.
Und auch Kinder mit körperlicher oder geistiger Behinderung waren nach den Worten von Klaus Möller von den Nazis als „minderwertig“ aussortiert und letztlich als „unnütze Esser“ ermordet worden. Drei Stolpersteine erinnern nun auf dem Gehweg am Eißendorfer Pferdeweg 12, wo früher ein Kinderheim stand, an die Opfer Peter Harms (2), Uwe Hinsch (7) und Walter Stein (8).
Pröpstin Carolyn Decke bedauerte, dass auch kirchliche Einrichtungen wie die Alsterdorfer Anstalten, die ebenfalls kranke Kinder betreut hatten, sich gegen dieses Unrecht nicht aufgelehnt hatten. Mit Blick auf heutiges Kriegsgeschehen auf der Welt und den vor Gräueltaten flüchtenden Menschen machte sie deutlich, dass Kriegsflüchtlingen jede Hilfe geboten werden muss. Decke: „Wir müssen uns immer wieder fragen, wie wir den Menschen helfen können.“
Die Geschichte der Kinder hatten zehn Schülerinnen und Schüler des Immanuel-Kant-Gymnasiums recherchiert und in ihrer Aufzeichnung „Im Kinderheim Eißendorfer Pferdeweg nicht tragbar“ dokumentiert. Sie hatten auch das Geld für Stolpersteine gesammelt. Ein Stein kostet 120 Euro.
Den letzten Stolperstein hatte Demnig vor dem Haus Neue Straße 8 im Gehweg verankert, wo der Kaufmann Alfred Blumann, Sohn einer jüdischen Familie, gelebt hatte. Blumann war 1943 im Alter von 69 Jahren erst nach Theresienstadt und anschließend nach Ausschwitz deportiert worden, wo er 18. Mai 1944 ermordet wurde
Im Harburg er Rathaus erinnert eine Gedenktafel an insgesamt 330 Nazi-Opfer. Die Familiengeschichte von nur gut der Hälfte von ihnen ist bisher recherchiert. In Harburg ist dieses Jahr der 175. Stolperstein gesetzt worden.
Gunter Demnig hatte seine Stolperstein-Aktion 1997 gestartet. Kritiker hatten ihm vorgeworfen, dass damit die zu ehrenden Opfer mit Füßen getreten werden. Aber nach den Worten von Klaus Möller ist daraus europaweit gewissermaßen ein begehbares Denkmal entstanden, dessen Entwicklung von vielen Menschen unterstützt werde.
Mehr als 50.000 Stolpersteine sind bereits über Europa verteilt, davon etwa 4600 in Hamburg. Für die Stolpersteine gibt es keine öffentliche Förderung, dahinter steckt ausschließlich das Engagement der Bürger.
Gunter Demnig ist für seine Aktion bereits mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden. Außerdem erhielt er den Max-Brauer-Preis der Alfred-Töpfer-Stiftung und die Herbert-Wehner-Medaille der Gewerkschaft ver.di. Kommendes Jahr wird er in Harburg weitere Stolpersteine setzen.