Zermürbt vom Nachbarschaftsstreit mit der Bundespolizei, kündigt der Musikclub im Harburger Bahnhof in einem Hilferuf an, zum Jahresende schließen zu müssen. Laute Konzerte im Saal sind nicht erlaubt.
Harburg. Offen wie nie zuvor denkt der Förderverein „Stellwerk“ über die Schließung des Musikclubs im Harburger Bahnhof nach: Zermürbt von dem seit zweieinhalb Jahren dauernden Nachbarschaftsstreit mit der Bundespolizei und den damit verbunden Einschränkungen sowie einer Forderung des Gewerbeamtes zum Bau von drei zusätzlichen Toiletten kündigt das „Stellwerk“ in einem offenen Brief die Schließung des Clubs zum Jahresende an, sollte sich nicht noch schnell eine Lösung finden.
Der Hilferuf klingt bereits wie ein Abschiedsschreiben: Die Clubführung werde die Mitarbeitern bitten, sich neue Jobs zu suchen, sollte bis zum 1. Oktober keine ernst zu nehmende Lösung in Sicht sein, heißt es darin. Das „Stellwerk“ beschäftigt 20 Männer und Frauen, jeweils zehn 400-Euro-Jobber und Honorarkräfte.
Clubchef Stephan Röhler spricht von Selbstschutz. Gemeint ist, dass sich die jungen Clubbetreiber finanziell ruinieren würden, sollte der Konzertbetrieb nur eingeschränkt wie zurzeit möglich sein. Röhler ist gelernter Veranstaltungskaufmann, gilt als besonders sorgfältig, und wurde auch deshalb ausgesucht, sich um die Finanzen des Fördervereins zu kümmern.
Laut Röhler erwartet der Musikclub bis Jahresende ein Defizit von 25.000 Euro. Die Gründe dafür sieht er in den Betriebseinschränkungen, die auf den Nachbarschaftsstreit mit der Bahnpolizei zurückgehen. Konzerte mit Hip-Hop-Künstlern und Rockbands im Saal dürfte das „Stellwerk“ zurzeit nicht mehr veranstalten. Nur noch Jazz, Fußball-Kino oder Poetry-Slam seien erlaubt - alles, was nicht laut ist.
Das „Stellwerk“ sieht im Hip-Hop seine wichtigste programmatische Säule, hat Rapper aus New York nach Harburg geholt und sich damit in ganz Hamburg einen Namen gemacht. Mit dem Verbot zu lauten Konzerten und Partys zur Quersubventionierung der Kultur ist der Musikclub um seine Existenzgrundlage beraubt. „Wenn wir das Programm so gestalten könnten wie wir wollen, müssten wir uns finanziell keine Sorgen machen“, sagt Stephan Röhler.
Die Bundespolizei im Harburger Bahnhof, die unter dem Musikclub eine Wache hat, fühlt sich bei Konzerten und Partys von der Lautstärke gestört. Zwischenzeitlich hatte sich eine Lösung für das „Stellwerk“ abgezeichnet. Der Musikclub wich bei „lautstärkeintensiven Veranstaltungen“ über die zulässigen 90 Dezibel hinaus in die angrenzende, still gelegte Gepäckbrücke aus. Der „Lounge“ genannte Saal mit Gewölbedecke liegt über Dusch- und Umkleideräumen der Wache, so dass die Büroräume weniger beeinträchtigt waren.
Wie Stephan Röhler sagt, beschwere sich die Bahnpolizei jetzt plötzlich auch über Konzerte und Partys in der „Lounge“, so dass der Nachbarschaftsstreit nach einer Pause wieder schwelt. Hinzu kommt neuer Ärger: Weil sich der Musikclub vergrößert habe, müsse er zusätzliche Toiletten einbauen, argumentiert das Gewerbeamt.
Die Behörde beruft sich dabei auf die Gaststättenverordnung. Die sieht bei steigender Quadratmeterzahl zusätzliche Toiletten vor – egal, ob die tatsächliche Besucherzahl steigt oder nicht. Der „Stellwerk“-Förderverein dagegen argumentiert damit, dass er lediglich Veranstaltungen räumlich verlagere und nicht mehr Gäste empfange, die zusätzliche Toiletten benötigten.
Vor drei Jahren hatten die Kulturbehörde und der Jazzclub, Vorgänger des jetzigen Musikclubs, mehr als 20.000 Euro in den Einbau neuer Toiletten investiert. Für den Einbau zusätzlicher Toiletten sei gar kein Platz vorhanden, sagt Röhler.
Einem geplanten, gemeinsamen Gespräch aller Beteiligten, das Harburgs Bezirksamtsleiter Thomas Völsch Anfang des Jahres zur Rettung des „Stellwerks“ initiiert hatte, war die Bahnpolizei fern geblieben. Eine Lösung deutet sich bis heute nicht an. „Wir brauchen jetzt Hilfe von allen Seiten, deshalb wenden wir uns an alle Seiten“, scheibt Röhler in dem offenen Brief.
Der „Stellwerk“-Förderverein zu den Bedingungen, unter den der Musikclub noch eine Zukunft im Harburger Bahnhof sähe: Das Gewerbeamt müsse seine Forderung nach dem Einbau zusätzlicher Toiletten zurückziehen. Dem „Stellwerk“ müsse mindestens eine laute Veranstaltung im Saal pro Monat gestattet sein und drei zusätzliche Partys im Dezember. Dazu müssten laute Konzerte in der „Lounge“ erlaubt sein.
Der Förderverein hält zudem die Änderung des Mietvertrages für unerlässlich. Die Deutsche Bahn solle darin festschreiben, dass laute Musikkonzerte erlaubt seien. Der bisherige Vertrag erlaube lediglich kulturelle Veranstaltungen. Die Deutsche Bahn reibe den Clubmachern ständig unter die Nase, dass Hip-Hop-Konzerte oder Techno-Partys keine Kultur seien, sagt Röhler.
Den Musikclub im Harburger Bahnhof retten könnte wohl nur eine Schallisolierung. Stephan Röhler schätzt die Kosten auf 500.000 bis eine Million Euro. Wer das bezahlen will und kann, weiß bisher niemand.