Immer mehr Flüchtlinge müssen in immer kürzerer Zeit aufgenommen werden. Der Druck auf den Landkreis Harburg wächst immens. Wann ist er an der Grenze seiner Belastbarkeit angekommen?
Winsen. Der Landkreis Harburg muss immer mehr Flüchtlinge in immer kürzeren Zeiträumen aufnehmen. Wie viele andere Kommunen kann auch der Kreis Harburg nur noch auf die Flüchtlingsströme, die ihm per Quote zugewiesen werden, reagieren. Eine Planung ist offenbar kaum noch machbar. Dabei ist kaum zu erwarten, dass die Zahl der Neuankömmlinge in naher Zukunft zurückgehen könnte.
Im Oktober vergangenen Jahres wurde Reiner Kaminski, Fachbereichsleiter Soziales und damit bei der Kreisverwaltung in Winsen federführend zuständig für die Unterbringung von Asylbewerbern, die Quote für „seinen“ Bereich mitgeteilt. „Zu dem Zeitpunkt hieß es, wir sollten bis zum Stichtag 30. September 2015 insgesamt 340 Personen aufnehmen.
Im Juni ließ man uns dann vom Land wissen, dass die Quote auf 514 Menschen bis zum 30. Juni 2015 erhöht werde“, sagt Kaminski. Für den Landkreis bedeute dies, so sagt der Sozialdezernent im Winsener Kreishaus, dass die Quote in der Anzahl erhöht und gleichzeitig der Zeitraum verkürzt wurde.
„Schon jetzt wurde uns mitgeteilt, dass diese Quote nicht mehr zu halten sein wird, und wir noch mehr Menschen werden aufnehmen müssen“, so Kaminski weiter. Deutschland, sagt Reiner Kaminski, „ist ein reiches Land, und eigentlich können wir mehr Menschen helfen, aber so, wie die Angelegenheit vom Bund und vom Land geregelt wird, nämlich mit einem Durchreichen des Drucks von oben nach unten, ist es kaum mehr möglich, angemessen zu reagieren.“
Sieben Tage, bevor die jeweiligen Gruppen neuer Flüchtlinge in den Kreis kommen, werden Kaminski und seine Kollegen im Kreishaus schriftlich darüber in Kenntnis gesetzt. Dann gilt es, Maßnahmen zu ergreifen, Vorbereitungen zu treffen. Die Forderung des deutschen Städte- und Gemeindebundes nach einem Marshall-Plan vom Bund, mit dem der immense Druck von den Kommunen genommen werden soll, wirkt angesichts dessen fast wie ein Hilfeschrei.
Thorsten Bullerdiek, Sprecher des niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes kann diese Forderung des kommunalen Spitzenverbandes auf Bundesebene nur unterstreichen. „Niedersachsen nimmt zehn Prozent aller nach Deutschland kommenden Flüchtlinge auf. Dieser Verantwortung wollen wir uns keineswegs entziehen, aber die Aufnahme der Asylbewerber muss für die Kommunen planbarer werden.
Sie müssen rechtzeitig darüber in Kenntnis gesetzt werden, ob sie Familien mit Kindern, alleinstehende Männer oder unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufnehmen sollen, um sich besser auf die Menschen einstellen zu können“, fordert Bullerdiek. Dazu gehöre in der Tat, so der Verbandssprecher, eine Art Marshall-Plan.
Auch bei der Finanzierung der Unterbringungsmöglichkeiten, so die Forderung der kommunalen Spitzenverbbände in Berlin und in Hannover, dürfe der Bund die Kommunen nicht, wie jetzt, im Regen stehen lassen.
Im Haushaltsplan hatte der Landkreis Harburg einen Finanzierungsbedarf für den Bau von Asylbewerber-Unterkünften und deren Unterhalt rund acht Millionen Euro eingeplant. Aber Reiner Kaminski weiß schon jetzt, dass er die Zahlen weit überschreiten wird. Noch steht der Landkreis Harburg in Sachen Unterbringungsmöglichkeiten recht gut da.
Weil er vorgesorgt hat. Schon im Jahr 2013 hatte der Kreis 22 Unterkünfte mit mehr als 400 Plätzen geschaffen. Anfang Juli waren es weitere 17 Container-Unterkünfte mit 460 Plätzen. „Wir haben weitere Anlagen in Tostedt, Winsen und in Salzhausen in Planung. Wenn die Zahl der Menschen, die wir jetzt im Schnitt pro Woche aufnehmen, so bleibt, dann hätten wir bis Oktober ausreichend viele Plätze für die Asylbewerber.
Aber wir müssen natürlich zügig weitere Anlagen planen und bauen“, sagt Reiner Kaminski. Anderenfalls stünde der Landkreis irgendwann vor dem Problem, nicht mehr schnell genug reagieren zu können. Und auch Kaminski wäre froh, wenn er nicht nur die Zahl der Menschen, die in den Landkreis kommen, kennen würde.
„Wir könnten doch die Belegung der Anlagen viel besser planen, wenn wir wenigstens die Nationalität oder die Konfession der Menschen kennen würden“, sagt der Verwaltungsmann.
Ein weiteres Problem hat der Landkreis Harburg bei der Unterbringung der Flüchtlinge – ein Platzproblem. „Wir brauchen ganz dringend Grundstücke, auf denen wir die Anlagen aufstellen können“, sagt Kaminski. Und diese Grundstücke müssen schnell zu erschließen sein. Und auch in diesem Punkt fordert der Spitzenverband der bundesdeutschen Kommunen vom Bund mehr Unterstützung.
Der Bund müsse, so der Spitzenverband, den Kommunen Liegenschaften und Gebäude zur Verfügung stellen, damit die Kommunen ihren Pflichten, die Menschen adäquat unterzubringen, besser erfüllen könnten.