Vor einige Jahren war einer der größten Bauernhöfe in Itzenbüttel nur noch eine Ruine. Johanna Coleman und ihr Partner Axel Brauer entwickelten ein Nutzungskonzept und führten die Anlage in die Neuzeit.
Itzenbüttel. In Itzenbüttel ist die Welt noch in Ordnung. Überall sieht man alte, reetgedeckte Bauernhäuser, von den heutigen Bewohnern liebevoll restauriert. Neubauten protzen nicht mit gewagten Formen sondern sind dem Ortsbild entsprechend vorsichtig den alten Vorbildern angeglichen. In einer sanften Kurve direkt an der Hauptstraße liegt ein historisches Hofensemble, das den Sprung in die Moderne besonders gut geschafft hat.
Mehr als 400 Jahre ist die ehemalige Hofstelle Harmsbur alt, heute kennt man den Ort als „Hof & Gut“. Das Markenzeichen, eine stilisierte rote Tulpe, findet sich vor allem in den ehemaligen Wohnräumen des alten Bauernhauses. Hier befindet sich heute das Restaurant „Stub’n“, mit urigen Möbeln und sehr geschmackvoll eingerichtet.
Die roten Tulpen leuchten als Deko auf den blank gewienerten Holztischen und dekorieren Ecken und Wände. Der Terrazzo-Boden im Gastraum stammt aus dem Jahr 1900, wer in den niedrigen Bauernstuben speist, fühlt zurück in alte Zeiten versetzt. In einem großen Saal können große Feste und Hochzeiten gefeiert werden.
Die Küche basiert auf solidem Handwerk, das Rindfleisch stammt aus eigener Haltung und die Kartoffeln sind auf dem hofeigenen Acker gewachsen. Regionale Küche ist Trumpf, daneben macht Chefkoch Frank Schiffner aber gern auch mal kulinarische Ausflüge in fremde Geschmacksregionen.
Dass in der näheren Umgebung viele Kreative und Künstler wohnen, sollen auch die Gäste des Restaurants erfahren: In drei Räumen zeigen die Künstler der Jesteburger Gruppe „Schräg und Gut“ im regelmäßigem Wechsel ihre Arbeiten.
Zurzeit hängen die Bilder von Brigitte Kranich an den Wänden. Wer nach einem feuchtfröhlichen Abend nicht mehr fahren will, kann eins der fünf Gästezimmer im Obergeschoss des alten Bauernhauses buchen und unter wuchtigen Holzbalken in ländlicher Abgeschiedenheit schlummern.
Schräg gegenüber tummeln sich bei gutem Wetter ganz Scharen von Mädchen vor einem eingezäunten Reitplatz. Ein Paradies für alle pferdebegeisterten Nachwuchsreiterinnen, die hier Unterricht nehmen. Die Shettys „Harry“, „Hansi“ und „Biene“ aber auch die rassigen Araberstuten „Merle“ und „Sheyla“ – 15 Pferde und Ponys warten auf enthusiastische Tiernarren, die mit ihnen über den Reitplatz traben und durch die Natur galoppieren.
Seit 2009 werden bei Hof & Gut wieder Trakehnerpferde gezüchtet und damit eine Tradition weitergeführt. Ebenfalls stehen auf den Weiden des insgesamt 85 Hektar großen Anwesens Aubrac-Rinder, eine über 150 Jahre alte französische Rasse, die das Fleisch für das hofeigene Restaurant liefert. Die Ackerflächen werden seit 2007 biologisch bewirtschaftet. Auf den Grünflächen wird Futter für die Tiere produziert sowie Kartoffeln, Hafer, Gerste und Weizen angebaut.
Hier wird die Idee der Ganzheitlichkeit großgeschrieben: Futter für die eigenen Tiere zu produzieren, die wiederum den biologischen Dünger liefern und deren Fleisch in der Gastronomie verarbeitet wird, bedeutet auch ein Stück Unabhängigkeit und Qualitätssicherung. Wie in einem Organismus greifen Landwirtschaft, Tierzucht, Gastronomie und Reitbetrieb ineinander.
Das Prinzip funktioniert, inzwischen sind 35 Menschen bei Hof & Gut in den verschiedensten Bereichen beschäftigt. Das Konzept erarbeitet haben Johanna Coleman und ihr Partner Axel Brauer, der im ersten Stock des Hauses sein Architektenbüro hat. Johannas Vater wuchs in Krumbergen auf.
Die letzte Familie, die den Hof bewirtschaftete, war die Familie Meyer. Da es keine eigenen Nachkommen gab, adoptierten die Meyers den hoffnungsvollen jungen Mann. Nach dem Ende seines Landwirtschaftsstudiums entschied er sich gegen den Hof, weil noch laufende Pachtverträge Neuerungen verhinderten.
Stattdessen entschied es sich für die Politik. In der Zwischenzeit verfiel das Ensemble am Itzenbütteler Sood langsam aber sicher. In den 80er-Jahren existierte nur noch der Ponyhof. Als der Vater von Johanna Coleman starb, erbten seine Kinder Johanna, Hella und Alexander die Hofstelle und entschieden sich dafür, der Anlage neues Leben einzuhauchen.
„Die Idee war, die historische Hofstelle zu einem Treffpunkt zu entwickeln“, erläutert Axel Brauer. Allein auf Landwirtschaft zu setzen, das rentierte sich nicht mehr.
2006 war das Konzept spruchreif, der historische Hof sollte zum Marktplatz mit Gastronomie, Ponyhof und Wohnen werden. Johanna Coleman und ihren Partner erwartete eine Mammutaufgabe, die nur etappenweise zu stemmen war. Als Zimmerermeister und Architekt übernahm der 40-Jährige die Konzeption und Umsetzung der Idee.
Erster Sanierungsfall auf der Hofanlage war der alte Getreidespeicher. Er wurde entkernt, Axel Brauer plante acht großzügige Loftwohnungen, in denen viel Platz für alte Substanz blieb, die aber auch die Annehmlichkeiten des modernen Lebens beinhalteten. Der Umbau war noch nicht mal abgeschlossen, da waren alle Wohnungen auch schon vermietet.
2009 ging es dann an die Sanierung des bäuerlichen Wohnhauses. Vor allem ökologisches Baumaterial wie Lehm, Reet und Holz wurde verarbeitet, so wie schon vor 400 Jahren. 2011 wurde eine neue Lagerhalle für die Landwirtschaft errichtet, seit 2012 gibt es die fünf Gästezimmer im Haupthaus.
Bei allen Maßnahmen musste der Erhalt der historischen Substanz berücksichtigt werden, „Denkmalschutz, Brandschutz, Schallschutz“ – es war gar nicht so leicht, das alles unter einen Hut zu kriegen“, berichtet Axel Brauer über das langjährige Projekt, das er vor allem mit Handwerkern aus der Region umsetzte.
Inzwischen ist sein „Baby“ selbstständig geworden: wo er in den Anfangszeiten noch selbst auf dem Trecker saß oder am Tresen Bier zapfte, sind in den Bereichen Gastronomie, Landwirtschaft und Reitbetrieb längst selbstständig arbeitende Geschäftsführer eingesetzt. Axel Brauer kommt das entgegen. Seine Partnerin ist aus beruflichen Gründen nur noch selten vor Ort, außerdem hat er als Architekt viele Projekte, die seine Zeit beanspruchen.
Unter anderem hilft er Hofbesitzern in der Region, den Weg in die Moderne zu finden und neue Nutzungskonzepte zu entwickeln, „da weiß ich genau, was gehen könnte und wo die Grenzen sind“.