Die St.-Petri-Kirche in Buxtehude beherbergt Norddeutschlands größte Romantik-Orgel. Das Instrument, eine Furtwängler-Orgel aus dem Jahr 1859, klingt fantastisch, braucht aber liebevolle Pflege.
Buxtehude. Wer die St.-Petri-Kirche in Buxtehude betritt, begegnet einer Frau mit Gartenschlauch. Sie bespritzt den Steinboden der gotischen Kirche mit Wasser. Sofort kriecht die feuchte Kälte in die Hosenbeine. „Ich sorge für die richtige Luftfeuchtigkeit“, erklärt Wassergeist Karin Siebert. Notwendig ist die hohe Luftfeuchtigkeit für ein berühmtes Sensibelchen: die Furtwängler-Orgel von 1859.
Rund 14 ehrenamtliche Wassergeister sorgen für die „Gesundheit“ des imposanten Musikinstruments. „Die beiden Oberwassergeister können Zuhause am PC die Daten der Messgeräte in der Kirche ablesen“, erzählt Kantorin Sybille Groß. Ist die Luft zu trocken, kommen sie sofort herbeigeeilt und wässern. Kirchenmusikerin Groß ist seit vergangenem Sommer verantwortlich für Norddeutschlands größte Orgel aus der Romantik.
Ihre Stelle als Kantorin in St. Petri Buxtehude ist die höchste Stufe der Karriereleiter für Kirchenmusiker – in der Fachsprache eine A-Stelle. Die quirlige Frau in leuchtend violetter Jacke leitet diverse Chöre, spielt die Orgel, organisiert und veranstaltet Konzerte. Sie hat viel vor, baut neue Chöre mit anspruchsvollem Repertoire auf und möchte im Konzertleben auch mal Gäste anderer Stilrichtungen einladen, Jazz, Crossover. „Es muss nur in die Kirche passen“, sagt Groß.
Hoch oben auf der Empore über dem Haupteingang der Backsteinhallen-Kirche thront das Instrument mit seinen Pfeifen, Registern, Tasten und Pedalen. Leicht zu erreichen ist die Furtwängler-Orgel nicht. Ein Seil zum Festhalten hängt über der Schwelle zur steilen, engen Wendeltreppe, die nach oben führt. Sybille Groß sitzt auf der Orgelbank, zu der sie sich als Klavier spielende Teenagerin nicht schleifen lassen wollte.
Auch hier in luftiger Höhe ist es ziemlich kühl. Ein kleines Elektrogerät steht auf einem Stuhl neben der dreireihigen, übereinanderliegenden Tastatur, auch Klaviatur oder Manual genannt. Warme Luft strömt in Richtung der Organistenhände. Groß’ Hände wandern über die Manuale und ziehen schwarz-weiße Knöpfe.
„Principal“, „Salicional“, „Spritzig“ oder „Violoncello“ ist in Schnörkelschrift auf den als Register bezeichneten Knöpfen zu lesen. Sie sorgen für die verschiedenen Klänge, die mitunter ein ganz anderes Instrument nachahmen – eine Flöte oder ein Cello. 52 Register hat diese Furtwängler-Orgel. Besonderheit: ein Register, das mit einem Zug unmittelbar die Lautstärke des Instruments runterfährt, immerhin 3300 Pfeifen. „Das habe ich noch nirgends gesehen“, sagt die Organistin.
Bei jedem Musikinstrumente kann mal was kaputtgehen, auch bei diesen Riesen der Kirchenmusik. Wenn beim Tastenspiel ein Ton nicht erklingt, ist das unangenehm. Viel schlimmer ist es jedoch, wenn ein Ton stehen bleibt. Um sie zu reparieren, muss der Organist in die Orgel kriechen. Methoden, wie man Hand anlegt, gehören zur Ausbildung. Mal kommt der hölzerne Schraubenschlüssel zum Einsatz, mal eine kunstfertig gebogene Büroklammer.
Hinter der schönen Fassade, dem Prospekt, verbirgt sich das Herz mit seinen Kammern, wo die Pfeifen und die faszinierende Mechanik sitzen. Grau und sehr helle Brauntöne beherrschen sie. Es riecht nach Staub. Ein sortierter, aber unübersichtlicher Wald aus Röhrchen, Pfeifen und Schallbechern ragt aus dem Holz. Sie sind zwischen zwei Zentimetern und knapp fünf Metern lang. Durch sie strömt die Luft, die die Töne erzeugt.
Es gibt auch eckige, hölzerne Tonerzeuger. Manche sind gedeckelt, manche geschlitzt, einige haben kleine Metallzungen, die im Luftstrom vibrieren. Den Wind steuert ein Motor.
Ein Mann schaut kurz um die Ecke und grüßt: Reinhard Gundlach, der ehemalige Kantor. 39 Jahre war die Orgel sein Lebensmittelpunkt. Schon zweimal ist das Buxtehuder Instrument umfangreich restauriert worden. 1984 rettete Orgelbauer Alfred Führer es vor drohendem Abriss. Zwei Jahrzehnte später „erkrankte“ sie an Bleizucker, der den Pfeifen den Garaus gemacht hätte. Ihr „Retter“ Rowan West verfeinerte obendrein den Klang.
Das Instrument in St. Petri hat zahlreiche technische Eigenheiten. „Das liegt vermutlich daran, dass Erbauer Philipp Furtwängler eigentlich Uhrmacher war“, sagt Sybille Groß. „Bei manchen Details wundere ich mich, dass es funktioniert!“ Wie der Meister zum Orgelbauer wurde, ist nicht bekannt. Rund 70 Instrumente hat er geschaffen, rund 30 umgebaut und repariert.
„Furtwängler muss ein unglaublich großes klangliches Verständnis gehabt haben“, schwärmt die Organistin und strahlt. „Der Klang macht süchtig.“ Orgeln aus der Romantik haben einen eher warmen und weichen Klang, bei dem die Töne verschmelzen. „Barock-Orgeln, etwa die von Arp Schnitger klingen viel präziser, sozusagen herber“, erläutert Groß.
Größe und Klang einer Kirchenorgel haben die damals 15-Jährige schließlich doch fasziniert. „Imposant, das drei Meter über mich aufragende Instrument“, erinnert sich Groß an die Orgel im Kindheitsort Hechthausen. Geübt hat sie später in St. Cosmae et Damiani in Stade.
Wie privilegiert sie ist, erfährt sie bei einem Organistentreffen. „Aus Stade kommst du?“, fragen sie die anderen. „Einmal in St. Cosmae spielen und sterben“, sagt ein Musikerkollege über den berühmten Klang der Orgel, die Berendt Hus und sein Neffe Arp Schnitger erbauten. Sybille Groß hat sich für die Furtwängler-Orgel in Buxtehude entschieden.