Nahe des Spreehafens in Wilhelmsburg ist das Modelabel rara couture beheimatet. Für ihre neue Kollektion experimentiert die Modedesignerin Raphaela Renner mit Textilabfall und schafft Shirts aus Stoffresten.
Thomas Sulzyc
Wilhelmsburg. Wer für diesen Sommer Shirts sucht, die garantiert kein zweiter hat, sollte im Internet nach Modedesignern aus der Nachbarschaft suchen. In Wilhelmsburg entwirft Raphaela Renner, 35, Designerstücke mit Stoffen aus biologischem Anbau. In diesem Sommer produziert die Diplom-Modedesignerin ihre erste Upcycling-Kollektion.
„Schrott-à-porter“ nannte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ vor zwei Jahren liebevoll den Modetrend, bei dem neue Kleidungsstücke aus Textilabfall und ausrangierten Stoffen entsteht.
In einem von der Hafenwirtschaft verlassenen Verwaltungszweckbau nahe des Spreehafens in Wilhelmsburg ist das Ein-Frau-Unternehmen rara couture versteckt. Ein Klingelschild fehlt an der zugesperrten Tür, aber das Modelabel ist ja auch keine Verkaufsstätte. Nicht einmal 20 Quadratmeter groß ist das Atelier. Für 125 Euro Monatsmiete ein Paradies für Kreative, die ihren Traum vom eigenen Label leben.
Es bietet Platz für einen Schreibtisch, einen großen Schneidetisch, einen Kleiderständer und eine Schrankwand. Raphaela Renner entwirft und näht hier alle Kleidungsstücke und Accessoires selbst. Wer Mode von rara erwirbt, besitzt garantiert ein Unikat.
Gekonnt in einem Rutsch schneidet Raphaela Renner mit der Schere den weißen Stoff. Einfache Schnitte habe sie für ihre neue Kollektion gewählt. Sie kombiniert die Shirts aus von Händlern ausrangierten Stoffen mit Details aus Secondhand-Ware. Der Clou ist die Veredelung von Designerhand: Mit Spitze von Nachtwäsche, die einst ein Ladenhüter war, schafft sie raffinierte neue Kleidungsstücke.
Um Trendfarben muss sich das Label rara couture keine Gedanken machen. Beim Upcycling verarbeitet die Modedesignerin die von der Gesellschaft aussortierten Stoffe. Gedanken um die Farben der Saison, die Modemagazine so sehr bemühen, findet Raphaela Renner ohne überbewertet: Leute, die sie kenne, kauften Mode nicht wegen einer bestimmten Farbe, sagt sie.
An Hamburgs wohl bekanntester Schule für die Kreativen der Modeszene, am Design Departement an der Armgartstraße, hat Raphaela Renner ihr Diplom erworben. Viele junge Designer machen sich mit Online-Shops selbstständig. Zu finden sind sie auf der Internetplattform DaWanda, ein Spezialist für Handgemachtes.
Immer mehr Labels spezialisieren sich dabei auf Öko-Mode. Bio-Baumwolle ist dabei der beliebteste Stoff. Gestartet mit schlichten Basics, bietet die Eco-Fashion heute längst auch Businessmode aus ökologischen und fair gehandelten Stoffen.
„Mir geht es darum, neue Wege zu entdecken, wie man Kleidung produzieren kann“, sagt die Raphaela Renner. Nach Schätzungen werfen die Deutschen jedes Jahr rund 100.000 Tonnen Alttextilien in Kleidercontainer und geben sie bei Straßensammlungen ab, berichtete das ARD-Magazin „W wie Wissen“. Beim Upcycling entsteht aus Abfall neue, höherwertige Kleidung. Die Designnische hat sich längst etabliert. Grüne Mode ist mittlerweile ein Bestandteil bei der Fashion Week Berlin. Auf Druck einer kritischen Bevölkerung hat der Modereise H&M vor drei Jahren eine „Waste Collection“ aus Reststücken herausgegeben.
Es sind die kleinen Modeschöpfer wie Raphaela Renner, die mit ihrem Idealismus Designermode zu erschwinglichen Preisen auf den Markt bringen. An den wirklichen Warenwert ihrer in Handarbeit hergestellten Unikate verschwende sie keinen Gedanken mehr. „Ich nehme mir die Freiheit, über Zielgruppen und Produktionszeiten nicht nachzudenken“, sagt Raphaela Renner.
So sehr Menschen sich für ihre Mode begeistern. Kunden seien nicht bereit, mehr als 50 Euro für ein Shirt oder 100 Euro für eine aufwendige verarbeitete Bluse zu bezahlen. Die Diplom-Modedesignerin aus Wilhelmsburg sieht sich als Künstlerin, nicht als Unternehmerin. Nur so sei sie glücklich. Die finanzielle Sicherheit, die ihr diese Freiheit erlaubt, gibt ihr ein Teilzeitjob außerhalb der Modeszene.
Die Menschen auf der Straße sind ihre Inspiration. Aus Eindrücken werden vage Bilder im Kopf, die Raphaela Renner im Atelier in Mode umsetzt. Neue Kleidung entsteht dabei als Experiment. Der Stadtteil Wilhelmsburg trägt dazu bei.
Steine, mit denen sie Stoffteile auf dem Schneidetisch beschwert, hat sich am Elbufer gesammelt. „Hier sehen nicht alle Leute gleich aus“, sagt sie. Ihr gefällt, dass besonders viele junge Leute auf der Elbinsel wohnen: „Ich habe mal in Eilbek gewohnt. Dort ist es im Vergleich zu Wilhelmsburg tot.“