Der SPD Senat setzt jetzt einen Modellversuch um. Die Harburger Linke kritisiert das neue System als unsozial und eine zusätzliche Belastung für die Menschen, die ohnehin keine Lobby haben.
Harburg Künftig brauchen Hartz IV Empfänger einen Schein von ihrem Jobcenter-Sachbearbeiter für eine psychosoziale Beratung. Bislang stand diese Hilfe beispielsweise in Rechtsfragen jedem offen. Es war ein niedrigschwelliges Angebot für Menschen, die nicht mehr aus eigener Kraft mit ihren Problemen klarkommen.
In dem Topf, der für diese Beratungen vom Senat vorgesehen ist, sollen schon ab diesem Jahr 300.000 Euro mit einem Sperrvermerk versehen werden. Das Geld kann erst dann angefordert werden, wenn das Jobcenter einer solchen Beratung im Einzelfall zustimmt. Im Bezirk Harburg bietet unter anderen Trägern die Diakonie im Haus der Kirche diese Beratungen an.
Die SPD setzt diese Änderung mit der Begründung um, es sei die gesetzliche Aufgabe der Jobcenter, die Langzeitarbeitslosen und Hartz IV Empfänger unter anderem juristisch zu beraten. Immer mehr Rentner, die Grundsicherung beziehen, kommen in die Beratungsstellen, wenn sie beispielsweise ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Auch sie müssen jetzt befürchten, dass durch diese Kürzungen die Beratungsstellen in ihrer Arbeit eingeschränkt werden.
Die Freien Träger und die Fraktion Die Linke in der Harburger Bezirksversammlung aber schlagen Alarm. Aus ihrer Sicht ist dies zum einen eine versteckte Kürzung der Mittel für die freien Träger, die mal wieder diejenigen treffe, die sowieso keine Lobby hätten, sagt Sabine Boeddinghaus, stellvertretende Fraktionschefin der Linken in der Bezirksversammlung. „Zum anderen wird hier der Bock zum Gärtner gemacht. Denn es sind in erster Linie diese Menschen, die Probleme mit ihren Sachbearbeitern im Jobcenter Harburg haben, die diese kostenlosen Beratungen in Anspruch nehmen. Sie müssen also in Zukunft von dem Sachbearbeiter, mit dem sie ein Problem haben, um die Erlaubnis bitten, sich bei einer unabhängigen Stelle beraten lassen zu dürfen“, sagt Boeddinghaus.
„Wir haben es zum Beispiel erlebt, dass eine Reihe von Hartz IV Beziehern Schreiben vom Jobcenter bekommen haben. Sie sollten sich eine günstigere Wohnung suchen. Das ist natürlich lächerlich, weil der Wohnungsmarkt in Hamburg dicht ist. Das Ganze hat sich am Ende als Fehler heraus gestellt, aber die Menschen waren erst Mal in Angst und Schrecken und kamen zu uns“, schildert Christel Ewert von der Sozialberatung des Kirchenkreises Hamburg-Ost, ein Beispiel. Oft sei, so Boeddinghaus, das Vertrauensverhätnis zwischen Kunde und Sachbearbeiter im Jobcenter zerrüttet. Nicht selten seien daran vorangegangene Sanktionen seitens des Jobcenters schuld. „Die Menschen werden zu oft in ihrer Würde verletzt“, weiß Sabine Boeddinghaus. Aber in den Beratungsstellen bekommen die Ratsuchenden auch Hilfe beim Ausfüllen von Formularen. Schuldner, die keinen Ausweg mehr aus ihrer Situation sehen, bekommen hier Hilfe. Auch viele Menschen mit Behinderung, deren Grundsicherung nicht zum Leben reiche, lassen sich über ihre Rechte und gesetzlichen Ansprüche beraten.
Zudem, und darin sind sich auch die Träger wie die Diakonie einig, gehen mit diesem neuen System die Prinzipien der Sozialpsychiatrischen Beratung verloren. Denn die Beratungsstellen sollen im Anschluss an die Beratung dem Jobcenter Rückmeldungen über die Gespräche geben.
Diese Beratungen aber sollen offen für jeden Hilfesuchenden sein, den Menschen wird Anonymität zugesichert. Die Beratungen sollen immer parteilich und im Interesse des Ratsuchenden sein. „Die Mitarbeiter der Jobcenter sind überhaupt nicht in der Lage, zu überschauen, ob einer ihrer Kunden eine Beratung braucht oder nicht, wie sollen sie denn entscheiden, ob sie ihn zu einer Beratungsstelle schicken“, kritisiert Sabine Boeddinghaus.
Nach der Kinder- und Jugendhilfe falle nun die Sozialberatung dem Spardiktat zum Opfer, warnt die Linken-Politikerin aus Harburg. „Die SPD schafft nach und nach die allgemeinen sozialen Hilfsangebote an, die allen Bürgern zur Verfügung stehen sollten“, sagt Sabine Boeddinghaus. Die Einführung dieses neuen Systems, so Boeddinghaus weiter, basiere zudem auf einem „nicht abgeschlossenen Modellversuch, der nie ausgewertet wurde“. In den Gesprächsrunden mit den Trägern und der Fachbehörde aber sei, so die Bezirksabgeordnete, jede Kritik an dem Modellversuch und dessen Umsetzung verhallt.
Um einen Überblick über das gesamte Ausmaß dieser Umstrukturierung zu erhalten, hat jetzt die Harburger Bezirksfraktion Die Linke eine detaillierte Anfrage an die Bezirksverwaltung gestellt. Die Fraktion will unter anderem wissen, wie viele psychosoziale Beratungsstellen und Sozialberatungsstellen es genau in Harburg gibt, und wie viele Menschen sie in Anspruch nehmen