Mit dem Fachkräftemangel ist das DRK nicht allein. Während viele Wirtschaftszweige allerdings nicht über das Lamentieren herauskommen, versucht das Rote Kreuz aktiv, neue Kräfte zu gewinnen und alte zu halten.
Harburg. Der Blick aus Harald Krügers Bürofenster geht in der Ferne ins Grüne und in der Nähe in den Innenhof der Geschäftsstelle des Deutsches-Rotes-Kreuz(DRK)-Kreisverbandes Harburg. Hinter den anderen Bürofenstern und auf dem Hof herrscht stets geschäftiges Treiben - dabei arbeitet in der Geschäftstelle nur ein Bruchteil der Harburger DRK-Angestellten. Zwischen Estedeich und Seevekanal arbeiten 700 Menschen hauptberuflich für die Hilfsorganisation. Mit Honorarkräften sogar 800, was das DRK zu einem der größten Arbeitgeber Harburgs macht. Harald Krügers Blick geht öfter mal in die Ferne, denn er muss suchen: Ihm fehlen Fachkräfte.
„Wir könnten hier noch gut 50 Mitarbeiter mehr beschäftigen“, sagt Krüger, „wenn wir sie denn hätten.“
Vom Sanitäter bis zum Sozialpädagogen helfen DRK-Mitarbeiter Menschen vom Säuglings- bis ins Seniorenalter. Das DRK betreibt Sozialstationen, Kindertagesheime, Wohnanlagen, ein Hospiz und ist auch in der ambulanten Pflege- und Sozialarbeit aktiv. Zwar ist das DRK historisch gesehen eine Freiwilligenorganisation – und zusätzlich zu den 800 Angestellten sind auch immer noch 300 Ehrenamtliche aktiv – aber die Aufgaben in Betreuung und Pflege sind so komplex geworden, dass man ausgebildete Profis braucht. „Selbst für Reinigungsarbeiten brauchen wir Fachleute“, sagt Krüger, „schließlich haben wir viele hygienisch sensible Bereiche zu bearbeiten.“
Mit dem Fachkräftemangel ist das DRK nicht allein. Große Teile der Wirtschaft klagen darüber. Während viele Wirtschaftszweige allerdings nicht über das Lamentieren herauskommen – die Zahl der Ausbildungsplätze sinkt – versucht das Rote Kreuz aktiv neue Kräfte zu gewinnen und alte zu halten.
Zum einen bildet das DRK aus: 40 Azubis erlernen beim Roten Kreuz derzeit kaufmännische Berufe, werden examinierte Altenpfleger oder werden zu Rettungssanitätern beziehungsweise Notfallsanitätern – der Berufsname und die Ausbildungsinhalte ändern sich ab dem nächsten Jahr – ausgebildet. Außerdem können Absolventen der schulischen Erzieher- oder Hauswirtschafts-Ausbildungen den praktischen Teil ihrer Lehre in Einrichtungen des DRK absolvieren.
Dazu kommen noch Kooperationen mit Bildungsträgern, die Arbeitslose für soziale Berufe qualifizieren. So übernimmt das DRK die Praxis-Blöcke eines Kurses der Grone-Schule, deren Absolventen hinterher sozialpädagogische Assistenten werden. „Danach übernehmen wir die Leute sofort, so wie alle anderen Auszubildenden auch“, sagt Harald Krüger. „Außerdem können sich diese Schüler bei uns auch noch zum Erzieher weiterqualifizieren – bei voller Bezahlung.“
Ein ähnliches Angebot geht auch an die 20 Mitarbeiter, die das DRK für den Sanitätsdienst auf der internationalen Gartenschau (igs) qualifiziert und angestellt hatte. Sie können sich, basierend auf ihren für die igs erworbenen Grundkenntnissen, zum Rettungsassistenten weitergebildet. Gut die Hälfte nimmt diese Gelegenheit wahr.
In der ambulanten Alten- und Krankenpflege hat sich Krüger sogar im Ausland umgesehen, aber es ist schwierig, dort Mitarbeiter zu finden, die zu den Stellen hier passen – und das nicht etwa, weil sie unterqualifiziert wären: „In den meisten europäischen Ländern ist die Krankenschwesternausbildung ein Bachelor-Studium“, sagt Krüger. „Diese studierten Krankenschwestern leiten dort die Stationen und sind Vorgesetzte für angelernte Pflegehelfer.“ Solche Kräfte dafür zu gewinnen, selbst Dienst am alten oder kranken Patienten zu tun und dafür auch noch einen Sprachkurs zu machen sei nicht so einfach, wie mancher sich das denkt. Dennoch befinden sich derzeit in Spanien einige Krankenpfleger und -schwestern in Vorbereitungslehrgängen des DRK. „Wenn alles gut läuft, fangen im nächsten Jahr 15 spanische Pflegekräfte in Harburg an“, sagt Krüger.
Mit dem Holen der Kräfte alleine ist es nicht getan, das weiß auch Krüger. Man muss sie auch halten. „Wir versuchen, ein Arbeitgeber zu sein, bei dem die Leute gerne bleiben“, sagt er, „und dazu zählt mehr, als nur ein faires Gehalt – zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“
So bezuschusst das DRK seinen Mitarbeitern die Kinderbetreuung und stellt – möglichst in den eigenen Kitas – Plätze für Mitarbeiterkinder zur Verfügung. „Und zu Kolleginnen und Kollegen in der Elternzeit halten wir regelmäßig Kontakt, damit sie auch auf dem Laufenden bleiben“, sagt Krüger. Wenn diese Mitarbeiter in Teilzeit zurückkehren wollen, erarbeitet das DRK mit ihnen Arbeitszeitmodelle, die für beide Seiten passen.
Für diejenigen, die für ihren Job beim Roten Kreuz extra nach Harburg ziehen, hat das DRK sogar eine Mitarbeiterwohnung. Die drei möblierten Zimmer darin sind meistens belegt. Deshalb sucht das DRK jetzt weitere geeignete Wohnungen. Sie sollten sauber und mit dem Nahverkehr gut erreichbar sein.
Aus der grünen Ferne geht Harald Krügers Blick wieder auf den Schreibtisch. Es gibt viel zu tun. Und immer noch fehlen ihm Fachleute.