Mehr als 1000 Bürger des Heideortes Tostedt demonstrieren friedlich für mehr Toleranz. Neonazitreff “Streetwear Tostedt“ bleibt unbehelligt.
Tostedt. Demonstrationen zu organisieren, gehört nicht gerade zum Alltagsgeschäft eines Bürgermeisters, auch nicht von Tostedts Verwaltungschef Gerhard Netzel. Doch nachdem das Oberlandesgericht in Celle verfügt hat, dass der mutmaßliche Neonazi Stefan Silar seinen Laden "Streetwear Tostedt" im Ortsteil Todtglüsingen weiterhin betreiben darf und sich die Bürgerproteste häuften, entschloss sich Netzel zu diesem ungewöhnlichen Schritt.
Unter dem Motto "Tostedt steht auf" versammelten sich mehr als 1000 Töster vor dem Rathaus und zogen danach durch den Ort. 100 Einsatzkräfte der Polizei begleiteten die Demonstranten, einige Beamte hatten sich außerdem vor Silars Geschäft in Todtglüsingen postiert. Mit einem Gottesdienst endete "das Bekenntnis zu mehr Toleranz und Respekt. "Das soll eine Bürgerdemonstration sein, nicht eine Versammlung, die von einer Partei oder einer Vereinigung ausgerichtet wird. Deshalb haben auch Plakate, Fahnen oder ähnliche Symbole keinen Platz", sagt Netzel. Lediglich ein Transparent mit der Aufschrift "Tostedt steht auf gegen Nazis" wird von einigen Demo-Teilnehmern getragen.
"Es soll nicht im Wesentlichen um das Urteil gehen, denn Rechtsstaatlichkeit ist ein hohes Gut der Demokratie. Wir wollen zeigen, dass Tostedt nein sagt gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus", sagt der Bürgermeister.
Solidarität mit dem Anliegen Netzels zeigten unter anderem Jesteburgs Bürgermeister Udo Heitmann und der CDU-Landtagsabgeordnete Heiner Schönecke sowie Herbert Schui, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Linken. Die Bewohner der 13 500-Einwohner-Stadt haben Angst vor rechtem Terror, wollen nicht, dass der idyllische Heideort als Treffpunkt von Vertretern der rechten Szene gilt. "Das Gerichtsurteil hat alle unsere Hoffnungen zerschlagen, dass mit dem Abzug des Ladens und den Rechten wieder Normalität im Ort einkehrt", sagt Pia Schnabel. Sie ist mit ihren Freundinnen Susanne Beier und Miriam Behrens zur Versammlung gekommen. "Die Rechten sind in Tostedt schon präsent, versuchen, Jugendliche für ihre Ideologie zu gewinnen und treten gewalttätig auf", sagt Miriam Behrens. Abends alleine vor die Tür zu gehen, trauen sich die Frauen nicht.
Einige Meter weiter stehen Susanne und Moritz Rehra aus Heidenau. "Schon aus Prinzip muss man hier Flagge zeigen. Schon lange ist Tostedt ein Treffpunkt der rechten Szene", sagt Susanne Rehra. Es sei ja nicht so, dass man "Diese Leute im Ortsbild auf Anhieb erkennen kann. Die handeln heimlich, eben bei solchen Szene-Treffs wie diesem Todtglüsinger Laden." Ihr Sohn Moritz geht in Tostedt zur Schule, habe Mitschüler, die von der Nazi-Ideologie fasziniert seien. "Man kann schon erkennen, dass da missioniert wird und sich junge Menschen davon beeindrucken lassen. Dagegen muss etwas getan werden", sagt die Heidenauerin.
"Das Gericht soll das Urteil revidieren. Der Laden muss weg", sagt Hans Peter Prigge. Er und einige Freunde sind mit Trommeln zum Rathaus gezogen, wollen sich lautstark gegen Nationalismus äußern.
Netzel diskutiert unterdessen mit einigen Töstern. "Machen wir uns nichts vor. Mit der Schließung des Geschäftes wäre ein Brandherd gelöscht, aber der Brandstifter kann an einem anderen Ort weiter Feuer legen und zündeln", sagt er.
Der türkischstämmige Necdet Savural, Mitglied der CDU-Kreistagsfraktion, ist skeptisch. "Man muss diese Gerichtssache mit den Morden von Zwickau in Zusammenhang bringen. Gerade als Bürger mit Migrationshintergrund interpretiert man diese Vorfälle sensibler. Das macht Angst."
Es wird Zeit für Bürgermeister Netzels Ansprache. Als er aufs Podium vorm Rathaus tritt, ist er fast ein wenig erschrocken. "Ich habe mit etwa 500 Teilnehmern gerechnet, hier stehen aber sehr viel mehr Menschen." Er greift zum Mikrofon. "Ich bin etwas ungeübt, was Demonstrationen angeht", sagt er zögerlich, fasst sich dann aber schnell. "Tostedt steht auf, und das ist gut so", sagt er - und dann in bester Einpeitschermanier: "Wir müssen diejenigen, die in die Fänge der Verführer geraten sind und den falschen Weg eingeschlagen haben, zurückholen in die Gesellschaft." Und: "Ja, wir Tostedter Bürger wollen, dass das Ladengeschäft Streetwear geschlossen wird. Das Geschäft, von dem aus immer wieder Hass und Gewalt gesät wird." Dann gehen die Demonstranten los, Prigge und seine Freunde trommeln, was das Zeug hält. Es bleibt friedlich auf dem Töster Marsch für mehr Toleranz, so, wie es sich die Bewohner gewünscht haben.