Weg vom Rummel, hin zur Muße. Der lebendige Adventskalender bietet Menschen in Harburg, Lüneburg und Stade eine Auszeit vom Trubel.
Harburg/Lüneburg/Stade. Die Adventszeit hat begonnen und mit ihr die Hetzjagd durch die Einkaufshäuser, das Hecheln von einer Weihnachtsfeier zur anderen. Damit die stressgeplagten Geister etwas Luft holen können, haben viele Kirchengemeinden den Lebendigen Adventskalender initiiert.
Der Clou: Von morgen an bis Heiligabend findet sich jeden Tag eine Gruppe von Menschen vor einem geschmückten Fenster ein und genießt gemeinsam einen kleinen adventlichen Moment. Diese Art der Besinnung auf das bevorstehende Weihnachtsfest ist inzwischen sehr beliebt und wird meistens von zahlreichen Kirchengemeinden initiiert, unter anderem von der evangelischen Johannis- und von der katholischen Heiligen-Geist-Gemeinde in Stade.
Hier kann jeder, der will, mitmachen und ist in der Gestaltung des Abends völlig frei. Sabine Keuchel, 49, aus Stade hat sich bereits als Gastgeberin bewährt. Sie lädt schon zum vierten Mal in Folge zu sich ein. Ihr Credo: Etwas Besonderes und Kindgerechtes zeigen. Einmal führte sie ein Schattenspiel am Fenster auf, ein anderes Mal begeisterte sie die Kinder mit einer Krippe in Lebensgröße. Zusammen mit ihrer Freundin Hiltrud Gold, 36, aus Himmelpforten will sie die Gäste in diesem Jahr mit einem Kasperletheater überraschen. "Gerade im Zeitalter der Computerspiele ist das eine tolle Sache, um Kinder zu erreichen", sagt die vierfache Mutter Sabine Keuchel.
Die Kulisse des Puppentheaters ist nicht irgendein Serienprodukt, sondern selbst gezimmert von Ehemann Thomas, 46. Die Kostüme stammen von Sabine Keuchel. Bevor nun ein Leistungsdruck bei anderen Gastgebern entsteht: Das Schneidern und Schnitzen geht dem Ehepaar Keuchel auch leicht von der Hand. Es ist schwer, etwas in ihrem Haus auszumachen, das nicht selbst gemacht ist. Engel aus Feuerholz und Krepppapier zieren den Wohnzimmertisch. Selbst gebastelte Sterne und Monde aus Holz hängen in den Fenstern. Die Toilette wurde in einen Thron mit Holzkrone verwandelt.
Das Kasperletheater wird am 3. Dezember nicht zum ersten Mal in Gebrauch sein. Denn Familie Keuchel war damit schon Gast in Kindergärten und tourt mit ihrem Kasperletheater regelmäßig zu Mittelaltermärkten.
Die Leidenschaft für das Mittelalter erklärt auch die ungewöhnlichen Namen von Kasperle und seinen Mitstreitern. Kasperle heißt Lampertus, Seppel ist Gumpert, und der Nikolaus steckt in einem Bischofskostüm.
Für den Adventskalenderabend am 3. Dezember haben Sabine Keuchel und Hiltrud Gold eigens ein Nikolausstück entwickelt. Dass sich Sabine Keuchel für den begehbaren Adventskalender kreativ austoben kann, ist aber nicht ihre eigentliche Motivation, daran teilzunehmen. "Das Schöne ist, dass wir die Nachbarschaft einladen, dass wir uns füreinander Zeit nehmen und ins Gespräch kommen", sagt sie. "Unsere 82-jährige Nachbarin freut sich jedes Mal über diese Abende. Und das ist mal eine Gelegenheit, sich besser kennen zu lernen."
Damit der Lebendige Adventskalender allen Besuchern in schöner Erinnerung bleibt, müssen die Organisatoren intensive Vorarbeit leisten. Für Claudia Kuchler, Jana Härke, Frauke Pingel und Gisela Knoop beginnt die Vorbereitung auf den Advent kurz nach Ende der Sommerferien. Dann treffen sich die vier Lüneburgerinnen und planen für vier Stadtteile der alten Hansestadt einen begehbaren Weihnachtskalender.
Das Konzept ist simpel: Wer mitmachen möchte, entscheidet sich für ein Dezemberdatum und macht es, wenn es soweit ist, von außen gut sichtbar an einem Fenster fest. So wie derzeit im runden Bullaugenfenster von Claudia Kuchlers Anbau. Dort klebt eine rote Vier aus Papier.
Pünktlich um 18 Uhr treffen sich alle, die neugierig sind und herausfinden wollen, welche Überraschung sich hinter der Zahl des Tages verbirgt, vor dem Haus. Zur Begrüßung wird gemeinsam gesungen. Dann haben die Menschen, die besucht werden, ihren Auftritt. Viele lesen eine Geschichte vor, manchmal wird auf einem Instrument etwas vorgespielt oder Kinder sagen ein Gedicht auf. Aber es gab auch schon Power-Point-Präsentationen auf dem Garagentor, Kasperletheater und spontane Tanzeinlagen.
Um Rekorde geht es aber nicht. "Eigentlich geht es um eine kurze persönliche Begegnung. Deshalb dauert der Besuch im Vorgarten auch nicht länger als zehn Minuten", sagt Jana Härke. "Die Idee hatte eigentlich der Leiter einer Kita. Wir haben sie dann übernommen und erweitert. Denn wir wollten nicht nur Eltern mit Kindern, sondern alle Generationen einbeziehen", sagt Claudia Kuchler, die seit 1999 in ihrem Wohngebiet Moorfeld-Lüne den Kalender organisiert.
Und die Idee kommt an. Inzwischen haben mehr als 280 Familien in Lüneburg schon einmal ihr Fenster geschmückt und an dem Kalender teilgenommen. Die Teilnehmerzahlen sind unterschiedlich. "Von fünf bis 50 haben wir alles schon gehabt. Es kommt jedes Mal darauf an, wie das Wetter ist", sagt Claudia Kuchler. Was die Organisatorinnen jedoch freut, ist, dass sich nicht in jedem Jahr die gleichen beteiligen. Für Neuzugezogene ist der Weihnachtskalender eine Chance, die Nachbarschaft besser kennenzulernen.
Auch in Hittfeld ist nicht zu übersehen, dass sich hier die Menschen bis Heiligabend eine Auszeit vom Trubel gönnen. Gabriele Schwedewsky eröffnet den Adventskalender in diesem Jahr. Damit das die Nachbarschaft erfährt, hat sie eine 50 Zentimeter große eins aus Tonpapier im Fenster platziert und mit einer Lichterkette verziert. Die 52-Jährige nimmt zum zweiten Mal am Lebendigen Adventskalender teil und meint, dass die Aktion im vergangenen Jahr bereits ihre Wirkung gezeigt habe. "Es bleibt nicht mehr nur bei einem Gruß für den Nachbarn. Wir sprechen jetzt mehr miteinander."