Die Abfälle aus dem stillgelegten Kraftwerk sind nur gering belastet. Doch die Einlagerung in Schneverdingen wurde erst jetzt bekannt.
Schneverdingen/Stade. Weithin sichtbar erhebt sich der Hügel der Deponie Hillern östlich der Bundesstraße 3 kurz vor Soltau. Den vertrauten Anblick betrachten die Bewohner der Umgebung seit einigen Tagen ganz neu. Nicht nur Haushaltsmüll, Gartenabfälle oder Elektrogeräte kommen hierher, auch Schutt aus dem Atomkraftwerk Stade, das derzeit demontiert wird, liegt in Hillern. 103 Tonnen davon wurden seit 2003 auf der Deponie eingelagert - was erst jetzt bekannt wurde.
Nun hat der Verwaltungsrat der Abfallwirtschaft Heidekreis (AHK) grünes Licht für neue Lieferungen im Umfang von 2000 Tonnen gegeben. Verärgert ist man im Rathaus der Stadt Schneverdingen, auf deren Gebiet die Deponie liegt, über die Kommunikation seitens des Landkreises. "Wir hätten erwartet, dass der Landkreis uns über ein solch höchst sensibles Thema informiert. Das ist nicht geschehen", sagt Erster Stadtrat Friedrich Heine.
Die Stadt Schneverdingen habe erst durch die Teilnahme von Bürgermeister Fritz-Ulrich Kasch (parteilos) an der öffentlichen Sitzung des Verwaltungsrates von den Einlagerungen erfahren. Zu Beginn der Lieferungen 2003 habe das Thema wohl nicht so viel Beunruhigung hervorgerufen, doch nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima seien die Menschen sensibilisiert, so Heine. Bürgermeister Kasch spricht von "erheblichen Beunruhigungen bei der örtlichen Bevölkerung" und davon, dass sich die Bürger und die Stadt Schneverdingen "überrumpelt" fühlten.
"Wir waren total erschrocken", sagt Doris Thom, 54, Landwirtin und Künstlerin, die auf dem Hof Surbostel ganz im Süden des Schneverdinger Stadtgebietes lebt - und damit mit am nächsten an der Deponie Hillern, die gerade mal vier Kilometer entfernt ist. "Man weiß nicht, was kommt in die Luft, was regnet runter. Wir machen uns große Sorgen, auch um unsere Kinder und Enkelkinder", bekennt Doris Thom. So ganz überzeugt von den offiziellen Erklärungen über die Ungefährlichkeit des Materials ist sie nicht: "Sagen die die Wahrheit oder nicht?"
Wer in diesen Tagen ansonsten mit Menschen in der Schneverdinger Ortschaft Heber spricht, die der landkreiseigenen Deponie am nächsten liegt, erhält meistens einsilbige oder ausweichende Antworten - über die eigene Betroffenheit wird anscheinend nicht gern geredet. Anderswo wäre Bauschutt aus einem AKW in der eigenen Nachbarschaft Anlass für Protest und Plakataktionen.
"So richtig gut findet das keiner", ist zu hören, doch mit dem eigenen Namen genannt werden möchte man nicht in Heber. Schlecht informiert fühlen sich die meisten: "Wir wissen doch gar nicht, was da genau los ist." Klartext reden dagegen Verwaltung und Politik in Schneverdingen. "Es geht um die Sensibilität der Menschen, viele Bürger machen sich Sorgen. Dafür fühlen wir uns verantwortlich", so Friedrich Heine. Und mit ihren Sorgen kämen sie eben ins Rathaus - deshalb hätte die Stadt rechtzeitig und umfassend vom Landkreis informiert werden müssen, kritisiert er.
Auf Antrag der SPD-Fraktion soll sich der Kreistag mit dem Bauschutt aus Stade beschäftigen. Die Sozialdemokraten wollen über das Thema bereits während der konstituierenden Sitzung des neu gewählten Kreistages am 4. November beraten. Die geplante weitere Einlagerung dieser Stoffe sorge für "Verunsicherung in der Bevölkerung", sagt auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Dieter Möhrmann.
Zuvor findet in Heber noch eine Einwohnerversammlung statt: Am Mittwoch, 26. Oktober, werden ab 20 Uhr im Schützenhaus auch Landrat Manfred Ostermann und Vertreter der AHK anwesend sein. Ostermann: "Wir haben nichts zu verbergen."
Die Sorgen der Bürger könne er verstehen. Solange nicht "hundertprozentige Sicherheit" über die Ungefährlichkeit der Stoffe bestehe, werde es auch keine weitere Anlieferung geben, versichert der Landrat, der auch Verwaltungsratsvorsitzender der AHK ist. Er habe bereits im Juni "vor dem Hintergrund von Fukushima" eine Anlieferung abgelehnt, weitere Diskussionen müssten nun geführt werden, das letzte Wort über zukünftige Lieferungen habe der Kreistag.
Dass überhaupt Bauschutt aus Stade in den Heidekreis kommt, hat seine Ursache in einem Deponieverbund der Kreise Stade, Harburg und Heidekreis. Es gebe aber keine vertragliche Verpflichtung, nach der der Heidekreis das umstrittene Material aus dem Atomkraftwerk Stade lagern muss, betont Ostermann.
Allerdings gebe der Bauschutt lediglich eine Strahlung von zehn Mikrosievert pro Jahr ab, diese Strahlenmenge lasse sich kaum noch feststellen - dafür werde schon ein sehr fein arbeitendes Messgerät benötigt, erklärt der Landrat. Höher belastetes Material gehe nicht nach Hillern, sondern in den Schacht Konrad bei Salzgitter. Gemessen werde die Strahlung auf der Baustelle in Stade durch einen Sachverständigen des TÜV Nord - Ostermann räumt allerdings ein, dass Mitarbeiter der Deponie sich wünschten, dass auch hier noch mal nachgemessen wird.
Ob nach den kommenden Beratungen und einem möglichen Kreistagsbeschluss künftig noch Bauschutt vom Atomkraftwerk Stade nach Hillern kommt, "das steht in den Sternen", so Ostermann. Der Landrat ist sich sicher, dass dieses Thema demnächst auch in anderen Landkreisen eine Rolle spielen wird. Immerhin werde beim Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland noch eine Reihe weiterer Kraftwerke stillgelegt. Ostermann: "Die Diskussion, die wir jetzt hier haben, wird demnächst bundesweit geführt werden."
Wie sensibel das Thema ist, hat auch Dr. Christopher Schmidt aus Schneverdingen, der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Kreistag, registriert: "Ich höre zunehmend viele kritische Stimmen, nicht nur aus Heber, sondern auch aus Schneverdingen." So hätten viele Menschen "unbestimmte Ängste, weil man Strahlung nicht riechen und nicht fühlen kann". Auch "unterhalb der festgesetzten Grenzwerte" sollte "sehr sensibel" mit der Thematik umgegangen werden, fordert er. "Man fragt sich schon, wenn die Abfälle so harmlos sind, warum man sie dann durch halb Niedersachsen karren muss."
Auch befürchteten viele Bürger um Schneverdingen Imagenachteile für die touristisch geprägte Region - und zwar nicht nur aufgrund möglicher künftiger Einlagerungen, sondern bereits jetzt durch die aktuellen Diskussionen, sagt Schmidt. (abendblatt.de)