Was die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung alles entdeckt hat und die Hamburg Tourismus GmbH verschweigt.
Harburg. Bestes Stadtmarketing hat Hamburgs Stadtteil Harburg von unerwarteter Seite erhalten: Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, unbestritten eine der renommiertesten deutschen Zeitungsadressen, singt ein Hohelied auf das Quartier südlich der Elbe, das im Norden lebende Hamburger immer noch als jenseits der Zivilisationsgrenze ansehen. Liebevoll prosaisch empfiehlt die Sonntagszeitung ihrer bundesweiten Leserschaft eine Reise in den Süden der Freien und Hansestadt, der einst als "hamburgisches Anatolien" galt.
Bemerkenswert dabei ist weniger die überraschende Liebeserklärung vom Main. Vielmehr die Tatsache, dass die Ausflugsziele in Harburg, von denen die Frankfurter Allgemeine schwärmt, bei der Hamburg Tourismus GmbH bei ihrer Vermarktungsstrategie keine Rolle spielen. Wer im Internet Hamburgs Tourismushomepage besucht und das Stichwort "Harburg" eingibt, erfährt nichts von dem eigenwilligen Restaurant "Schwerelos und Zeitlos" im Palmspeicher an der Harburger Schlossstraße, in dem das "Essen wie Rohrpost auf Rutschen kommt". In der Zeitung aus Hessen werden diese Attraktionen neben vielen anderen Punkten hervor gehoben
Die Frankfurter Allgemeine empfiehlt Reisenden auf Entdeckungstour im Harburg zum Beispiel noch eine Stadtführung durch den Binnenhafen mit Birgit Caumanns. Gäste könnten zu Fuß oder auf dem Wasserweg die Spuren und Monumente aus den Epochen des industriellen Aufstiegs, Untergangs und der Neuerfindung Harburgs entdecken. Hamburg Tourismus empfiehlt stattdessen andere, nämlich seine eigenen Touren.
Das "Stellwerk", Deutschlands wohl einzige Kulturbühne in einem Bahnhof im Betrieb, ist Hamburgs Tourismusvermarkter ebenso keinen Satz wert. Dabei ist über den Fernzugleisen, der ICE rattert unter der Bühne hindurch, laut der Frankfurter Allgemeinen "einer der renommiertesten Jazzclubs des Nordens" untergebracht.
Wer auf Hamburgs Tourismushomepage "Harburg" in die Suchmaske schreibt, bekommt 130 "Top-Treffer" ausgespuckt. Viele Adressen wiederholen sich, die tatsächliche Anzahl der Ausflugstipps ist weit geringer. Die Top 5 sind das Harburger Theater, "attraktive Inszenierungen von Klassik bis Moderne, Drama und Komödie", der Harburger Weihnachtsmarkt, "der erste Weihnachtsmarkt Hamburgs", das Helms-Museum, "eines der bedeutendsten archäologischen Museen Norddeutschlands", das Hotel Panorama, mit der S-Bahn "16 Minuten vom Zentrum entfernt", und das Einkaufszentrum Phoenix-Center, "alles für den alltäglichen Bedarf".
Reisende möchten etwas sehen, Eindrücke einer neuen Umgebung aufsaugen. Verwöhnt Harburg die Augen seiner Besucher? Die Hamburg Tourismus GmbH vermutet im Süden der Stadt offenbar kein "Augenfutter". Gäste, die auf der Homepage die Suchworte "Harburg" und "Sehenswertes" eingeben, werden mit ganzen zwei Tipps abgespeist: das Restaurant Panthera Rodizio, "ein Muss, wenn man in Hamburg ist", und das Phoenix-Center. Soll diese magere Ausbeute Reisende etwa anlocken?
Mit dem Zauber der Architektur verführt dagegen die Frankfurter Allgemeine ihre Leser zu einem Harburg-Besuch. Literarisch malt sie das Bild von einem Flecken Urbanität, den man gesehen haben muss. Harburgs neues Wahrzeichen, der Channel-Tower, sei ein Gebäude, wie man es aus Dubai kennt. Die Stockwerke terrassenförmig, dem Bug eines Schiffes nachempfunden. Im Binnenhafen säume die Straßen jene sanierte Industriearchitektur - solider roter Backstein, dazwischen gläserne Türme - "für die man in New York, ja, wahrscheinlich schon in anderen Teilen von Hamburg ein Vermögen zahlen würde".
Auf einem Hausboot verbringe der Sänger Gunter Gabriel seinen eher ruhmlosen Lebensabend, in den Kanälen schaukeln Segler und Pontons, Licht funkelt in Glasbauten. Welcher Tourist wird bei solchen Worten Harburg noch auslassen? Wohl jeder möchte neugierig entdecken, wie aus dem einstigen "Pfuhl aus Industriebrachen, Ratten und Ruinen" Luxus gemacht wurde.
Frech fordert die Zeitung vom Main den Hanseaten nördlich der Elbe heraus - und streichelt die Seele des Harburger Underdogs: "Wer braucht eine HafenCity", fragt Autorin Andrea Jeska schelmisch, "wenn es weiter südlich Harburg mit einem so schönen Binnenhafen gibt?"