Vier Wochen leben mit Hartz-IV-Bezügen: “Ich versage kläglich. Das Geld reicht einfach nicht“, sagt Hedda Riemann (70).
Harburg. Gemeinsam mit 14 Mitstreitern nimmt sie an einer Aktion der Stadtteildiakonien Heimfeld und Süderelbe teil. Die Einrichtungen haben die Fastenzeit zum Anlass genommen und ein Sensibilisierungsprojekt gestartet. Vier Wochen lang sollen Freiwillige testen, ob und wie man von dem freiwilligen Regelsatz - monatlich 349 Euro - leben kann. Mit dabei ist auch Stadtteildiakonin Julia Stephan (29). Sie will ebenfalls erfahren, wie Menschen, die auf Hartz-IV angewiesen sind, ihren Alltag meistern. Am 31. März endet die Aktion.
Und wie bei Hedda Riemann, die erfahren wollte, wie es Hartz-IV-Empfängern geht, ist bei einigen das Geld nach zwei Wochen schon fast ausgegangen. Während regelmäßiger Treffs in den Räumen des evangelisch-lutherischen Gemeindezentrums St. Trinitatis an der Bremer Straße reden die Teilnehmer über ihre Erfahrungen mit der prekären Situation und sprechen sich gegenseitig Mut zu. Auch "echte" Hartz-IV-Empfänger nehmen an dem Projekt teil.
Heute gibt Horst Hinrichsen (58), ausgebildeter Diplomingenieur für Maschinenbau und seit 2001 arbeitslos, Tipps zum Thema günstiger Einkauf und Kochen. Er hat mit Julia Stephan einen Steckrübeneintopf für die Anwesenden gekocht. Der sei günstig und lecker: "Für 15 Euro werden zwölf bis 15 Personen zwei Tage satt. Das ist doch was", sagt er.
Alle sind sich einig: "Essen spielt eine große Rolle, wenn man auf Hartz-IV angewiesen ist", sagt die Stadtteildiakonin. Denn nach Abzug von Strom, Telefon, Fahrkarte und vielleicht noch Medikamenten - Posten, die nicht im Arbeitslosengeld II enthalten sind - bleiben den Teilnehmern nur etwa vier bis fünf Euro am Tag. "Da haut es ein Loch ins Budget, wenn ich Waschpulver kaufen muss", so Riemann. Vor einigen Tagen konnte sie Obstangeboten in Supermärkten nicht widerstehen, kaufte Grapefruits und Orangen ein. "Vitamine müssen doch auch sein", sagt sie. Und ebenso will sie auf ihren Besuch in der Bücherhalle nicht verzichten. Allerdings: "Alles Extra-Ausgaben, die nicht drin sind, wenn man nur Hartz-IV hat."
Horst Hinrichsen weiß schon gar nicht mehr, wann er zuletzt mit Freunden Kaffeetrinken war oder essen gegangen ist "Das, was für viele Leute selbstverständlich ist, kann ich mir einfach nicht leisten." Dasselbe gilt für Kulturveranstaltungen. Kino, Konzerte und ein Besuch bei Hagenbeck - "Lebensmittel sind wichtiger."
Julia Stephan hat die Erfahrungen gemacht, dass sie ihr Auto stehen lassen muss und dass sie die elf Euro für eine Eintrittskarte zu einem Fußballspiel ihres Lieblingsfußballvereins St. Pauli nicht übrig hat. "Hartz-IV sorgt auch für soziale Isolation und für Immobilität", sagt sie. Das Geld aufzubringen für S-Bahn - und Busfahrkarten sei ebenfalls schwierig.
So geht es auch Iris Boginski (37). Die Einzelhandelskauffrau ist seit sieben Jahren ohne Beschäftigung. "Wenn meine Mutter mir nicht ab und zu finanziell helfen würde, wüsste ich nicht mehr weiter", sagt sie leise. Maximal einen halben Monat komme sie mit Hartz-IV aus. Seitdem die Stromkosten teurer geworden sind, sei es noch schlimmer, über die Runden zu kommen. Von vielen Freunden und Bekannten hat sie sich "aus Scham über meine Lebenssituation" zurückgezogen. Immer sei sie auf der Jagd nach günstigen Lebensmittelangeboten. Günstig muss es sein. Nicht unbedingt gesund. "Bio-Nahrung und Lebensmittel ohne Zusatzstoffe sind viel teurer und kommen deshalb nicht in den Einkaufskorb", so Boganski.
Sie ist froh, dass sie bei den Treffen unbeschwert über ihre Situation reden kann. "Auf Menschen einzuhacken, die auf Hartz-IV angewiesen sind, ist doch jetzt Trend", sagt sie und schüttelt den Kopf.
Rentnerin Riemann, die sonst etwa 1100 Euro zur Verfügung hat, kann Hartz-IV-Empfänger nun besser verstehen. "Dass einige Politiker behaupten, Arbeitslose erhalten zu viel Geld, stimmt einfach nicht", sagt sie. Es solle stärkere Bemühungen geben, diese Menschen wieder in Lohn und Brot zu bringen, "damit sie aus ihrem Elend schnell wieder herauskommen."