Hamburg. Hamburger Babyambulanz bietet Kurse für Eltern an und berät bei der Erziehung. Warum digitale Medien ein immer größeres Problem sind.
Für manche Eltern ist es die perfekte Lösung in einigen Situationen: Sie schalten das Handy oder iPad ein, damit ihre Kleinkinder vorübergehend ruhig sind. Oder damit das Füttern besser klappt. Dabei wissen viele Eltern, dass es wichtig wäre, dass sie ihre Kinder bis zum dritten Lebensjahr von Medien fernhalten. In stressigen Situationen überlassen sie ihren Kleinen dennoch das elektronische Gerät.
„Das erscheint erst mal als schnelle Lösung für das Problem, aber das schlechte Gewissen läuft bei den Eltern immer mit“, sagt Meike Kollmeyer, Projektkoordinatorin der Hamburger Babyambulanz „Von Anfang an“. Sie und Dr. Dagmar Brandi, die Gründerin der Beratungsstelle, kümmern sich um Mütter und Väter, die Unterstützung bei Unsicherheiten, Erschöpfung und in besonders herausfordernden Zeiten suchen. Das Angebot ist kostenlos.
Hamburger Babyambulanz hilft Eltern, ihre Kinder besser zu verstehen
In der Babyambulanz, die ihren Stammsitz in Winterhude hat, bieten sie Beratung für Eltern mit Kindern von null bis drei Jahren an und wollen dabei helfen, dass Eltern ihre Babys und Kinder besser verstehen und als Familie zusammenwachsen.
„Babys haben eine eindeutige Körpersprache. Wir helfen verunsicherten Eltern, ihre Kinder besser zu verstehen. Denn es gibt Kinder, die schwer zu lesen sind“
„Babys haben eine eindeutige Körpersprache. Wir helfen verunsicherten Eltern, ihre Kinder besser zu verstehen. Denn es gibt Kinder, die schwer zu lesen sind“, sagt Dr. Brandi. Die Eltern, die Rat suchen, kommen demnach aus allen Gesellschaftsschichten. Aber „wenn mehrere Belastungsfaktoren zusammenkommen, ist der Stress in den Familien größer“. Im Schnitt kämen die Eltern zwei- bis fünfmal, manchen helfe auch schon ein einzelnes Gespräch.
Hamburger Expertin beklagt: Viele Eltern sind zu viel am Handy
Ein immer gravierenderes Problem sei die stetig zunehmende Mediennutzung, sagt die Expertin. „Ich habe schon 2011 einen Vortrag darüber gehalten, weil Eltern schon damals viel am Handy waren oder in manchen Familien der Fernseher den ganzen Tag lief.“ Für Kinder bedeute dieses leicht eine Reizüberflutung.
Die ersten Erfahrungen machten Babys nun mal in ihrem sozialen Umfeld – also mit ihren Eltern. „Daraus erschließen sie sich die Welt“, so Dr. Brandi. „Interaktion ist wichtig, weil die frühen Erfahrungen, die ein Kind macht, nur einen Sinn bekommen, wenn sie mit Gefühlen und Sprache verbunden werden. Sie brauchen eine Person, die ihnen zugewandt ist, die sich auf sie einstellt.“
Der unangekündigte Griff zum Handy unterbreche jedoch die Interaktion mit dem Kind. „Es erlebt dieses als einen unberechenbaren Abbruch der Zuwendung und kann mit Unruhe oder sogar Resignation reagieren.“
Kinder können schon sehr früh einen Bildschirm bedienen
Kinder brauchen im Alltag eine emotional verfügbare Bezugsperson, sagte auch Meike Kollmeyer. „Es ist wichtig, dass man nicht nebenbei immer wieder aufs Handy schaut. Nur so lernen Babys, dass ihre Eltern ihre sichere Basis sind. Wenn das funktioniert, wirkt sich das sogar positiv auf die Selbstständigkeit der Kinder und auf ihren Nachtschlaf aus.“
Kleinkinder könnten sehr früh über einen Bildschirm wischen. Aber die Empfehlung gelte, dass Kinder bis zu ihrem dritten Lebensjahr bildschirmfrei leben, weil ihr Nervensystem das Gesehene noch nicht ausreichend gut verarbeiten kann, sagt Dr. Brandi. Sie verweist auf die Studie Bildschirmfrei bis 3 und das aktuelle Positionspapier der Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit e.V., in dem gefordert wird, die Problematik der überbordenden Mediennutzung stärker ins öffentliche Bewusstsein zu bringen.
Hamburger Expertin: Kleinkinder sollten beim Essen kein Handy vor sich haben
Vor allem am Esstisch müsse es ohne iPad oder Handy gehen. Wenn Kleinkinder beispielsweise nur schwer zum Essen zu bewegen sind, erscheine es immer mehr Eltern als Lösung, sie einen Film schauen zu lassen. Dr. Brandi: „Wenn ein Kind schlecht isst, erzeugt das großen Druck bei den Eltern.“ Gerade die Zeit am Esstisch sei aber Beziehungszeit, sagen die beiden Expertinnen. Dabei sollte eine schöne Atmosphäre herrschen. Und die Kinder sollten lernen, am Essen Spaß zu haben. Essen sei auch eine Ruheinsel im Tag.
„Ich erlebe Kinder vor einem Tablet wie hypnotisiert“, sagt Dr. Brandi. Sie beobachte das häufig im Restaurant, „da sitzt oft jedes Kind vor einem eigenen iPad.“ Aber nur, weil man es so oft sehe, sei es noch lange nicht normal und gut, sagt auch ihre Kollegin. Auch beim Zähneputzen oder auf Autofahrten würden vielen kleinen Kindern zur Ablenkung kleine Filme gezeigt. Wenn es gar nicht anders gehe, dann könne man Kindern ein Standbild mit Kindermusik zeigen, lautet der Rat von Dr. Brandi. Das sei deutlich besser als viele bewegte Bilder.
Hamburger Expertinnen raten: Digitale Medien mit Bedacht nutzen
Doch auch ungünstige Gewohnheiten könne man verändern, sagt Kollmeyer. „Man kann neue Rituale schaffen. Schon den ganz Kleinen kann man erklären, dass man sich überlegt hat, ab heute das Tablet zur Seite zu legen. In den Beratungen besprechen wir dann, wie das konkret gehen kann.“ Und ja, die Frustration der Kinder auszuhalten, sei wirklich anstrengend.
Dr. Brandi nimmt die Eltern auch in Schutz – denn der Druck sei gewachsen, die Welt sei komplexer geworden und die Anforderungen seien höher. Sie beobachtet zudem, dass der Anspruch von Müttern und Vätern an sich selbst und an ihre Kinder deutlich gewachsen ist: „Sie vergleichen sich sehr oft. Das liegt auch an der Social-Media-Welt. Wir wollen eine Art Kompass entwerfen, der für Kinder und Eltern gut ist.“ Es gehe nicht darum, digitale Medien komplett aus dem Alltag von Eltern zu verbannen, sondern sie mit Bedacht zu nutzen.
- Utopische Vorgaben, ständige Überforderung – Lehrer am Limit
- Päckchenaktion Abendblatt hilft: Warum ich schon voll in Weihnachtsstimmung bin
- Märchenschiffe: Beliebte Tradition kehrt endlich an Jungfernstieg zurück
Angebot für junge Eltern in Hamburg: Kostenloser Kurs rund um die Geburt
Wer sich wirklich gut auf die Elternschaft vorbereiten möchte, dem empfiehlt sie den Elternkurs „Sicherer Hafen“ der Babyambulanz. Dieser kostenlose Kurs rund um die Geburt bis ins zweite Lebensjahr wird an mehreren Standorten der Beratungseinrichtung angeboten. Die Familien werden 20 Monate lang von einer Beraterin begleitet. Dazu gehören elf Einzelberatungen und vier Gruppentreffen, damit sich die jungen Eltern austauschen und Kontakte knüpfen können.
„Es ist gut, jemanden an der Seite zu haben, der Übersetzungshilfe für das Kind gibt, um es besser zu verstehen. Jemanden, der einem sagt, welcher Entwicklungsschritt als Nächstes ansteht. Warum das Kind gerade so viel weint oder so schlecht schläft. Was man tun kann, um es zu unterstützen und wie man selbst wieder Kraft tanken kann“, sagt Kollmeyer.
Bei einer Fachtagung mit Vorträgen und Workshops können sich Eltern am Montag, 25. November, mit Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis austauschen. Eine Anmeldung ist erforderlich.