Hamburg. Zu Fuß nach Lübeck, drei Tage ohne Strom und Co: Bei dem Projekt stellen sich Schüler aus Langenhorn ganz besonderen Aufgaben.
Eigentlich sitzt Jeremy am liebsten vor dem PC und spielt Computerspiele. Fast jeden Tag und nicht selten stundenlang. Doch vergangene Woche hat sich der 16-Jährige gesagt: Der PC bleibt aus.
Das Plan: Drei Tage lang ohne Computer. Und nicht nur das. Jeremy und sein Klassenkamerad Lion von der Stadtteilschule am Heidberg in Hamburg-Langenhorn haben auch sonst komplett auf Strom verzichtet. Der Computer blieb aus, der Kühlschrank unbenutzt, der Fernsehbildschirm schwarz. Stattdessen baute Jeremy einen Stuhl aus Holz, reparierte sein Fahrrad selbst, bekam die Grillkohle zum Glühen und las endlich das Buch, das seit Monaten in seinem Zimmer lag.
Schule Hamburg: Jugendliche aus Langenhorn gehen an ihre Grenzen
Jeremy, genannt Jemmy, ist einer von 26 Schülern der Klasse 10e der Stadtteilschule am Heidberg, die vergangene Woche an der sogenannten „Mission Impossible“ teilgenommen haben – eine Herausforderung, bei der die Schülerinnen und Schüler an ihre Grenzen gehen und eine für sie ganz besondere Aufgabe meistern sollen.
Ideengeber der „Mission impossible“ ist Klassenlehrer Stefan Rieger. Der 40-Jährige ist seit 2011 als Sonderpädagoge und Fachlehrer für Mathematik und Sport an der Schule tätig. Über einen Freund und Berufskollegen war er auf die Idee gekommen, den Alltag der Schülerinnen und Schüler für ein paar Tage im Jahr praxisnah umzukrempeln. „An drei Tagen tauschen die Schülerinnen und Schüler den Unterricht im Klassenzimmer gegen Herausforderungen im echten Leben“, so Rieger.
Stadtteilschule in Hamburg-Langenhorn: „Mission Impossible“ – Scheitern gehört dazu
Dabei gehe es um Dinge, die im Alltag oft untergehen: „Zum Beispiel darum, eigenverantwortlich zu planen und Verantwortung dafür zu übernehmen“, so Rieger. Welchen Herausforderungen sich die Schüler stellen wollten, blieb ihnen überlassen. Rieger schaltete sich nur ein, wenn er die Aufgaben als zu schwer oder zu leicht erachtete oder als zu nah an der tatsächlichen Lebenswirklichkeit: „Es ging für jeden Schüler darum, eine für sich passende Herausforderung zu finden, die machbar ist, aber nicht mit Sicherheit klappt. Auch das mögliche Scheitern gehört bei der Mission Impossible dazu.“
Die 26 Schülerinnen und Schüler wählten unterschiedliche Aufgaben, einige als Einzelleistung, andere in der Gruppe. Und die Ideen waren vielfältig: „Jeremy und sein Freund wählten drei Tage Stromverbot, eine Gruppe nahm sich vor, 100.000 Schritte an drei Tagen zu gehen. Wieder andere klapperten alle U- und S-Bahn-Stationen in Hamburg ab und machten dort ein Foto von sich, und ein paar eher stillere Schüler haben sich zur Aufgabe gemacht, 150 unbekannte Menschen anzusprechen“, sagt Rieger.
Lehrer in Langenhorn: Der Wille, es zu schaffen, war bei allen da
Die Bilanz: „Die meisten haben ihre Aufgabe geschafft. Aber einige mussten auch erkennen, dass ihre selbst gesteckten Ziele zu groß waren. Mit großem Engagement dabei waren aber alle“, so Rieger. Und das habe ihn positiv überrascht: „Ganz ehrlich hatte ich nicht erwartet, dass sie mit dieser Intensität bei der Sache sind“, erzählt der 40-Jährige. Warum nicht?
„Corona war einfach für viele Aktivitäten ein Dämpfer“, erzählt Rieger. „Viele Schüler, die sonst sportlich waren, verbrachten viel Zeit in der Pandemie und danach lieber zu Hause. Die aktive Freizeitgestaltung ist schwer wiederzubeleben.“
Zudem stünden gerade die Sommerferien vor der Tür und die Noten auf dem Zeugnis fest. „Es ging also auf dem Papier um nichts mehr. Und trotzdem war er plötzlich da, der unbedingte Wille, etwas zu schaffen, was man sich selber vorgenommen hat.“
Genauso ist es auch Florian Storch ergangen, ebenfalls Schüler der 10e. Der 16-Jährige und drei weitere Jungs aus der Klasse haben sich zum Ziel gesetzt, zu Fuß bis nach Lübeck zu laufen. Insgesamt rund 66 Kilometer, die die Gruppe zum Teil an ihre Grenzen gebracht haben. „Ich war mir zwischendurch nicht sicher, dass alle durchhalten. Gegen Ende waren wir jedenfalls alle am Ende mit unseren Kräften“, sagt Florian.
Er selbst wuchs auf der Strecke offenbar über sich hinaus und wurde zum Motivator der Gruppe. „Ich konnte die Anstrengung vergleichsweise gut wegstecken und habe den anderen gut zugesprochen.“ Eine Erfahrung, die ihn sichtbar stolz macht.
Hamburger Schüler – was sind meine Stärken und Schwächen?
Zu Recht, wie Klassenlehrer Stefan Rieger findet. „Die Jugendlichen haben etwas aus eigener Kraft geschafft, ohne dass immer ein Erwachsener zur Stelle war und helfen konnte.“ Zudem hätten sich die Schülerinnen und Schüler wichtigen Fragen stellen müssen. Etwa: „Was sind meine Stärken und Schwächen? An welchen Stellen kann ich noch dazulernen? Und kann ich das besser allein oder im Team?“
Klar ist: Etwas dazugelernt haben alle. Ob sie nun wissen, wie man sich ohne Google-Maps orientiert, wie man Berührungsängste überwindet oder – im Fall von Jeremy – wie man einen Grill zum Laufen bekommt. „Und das war gar eigentlich nicht so schwer“, findet der 16-Jährige.
Was er aus der Challenge zieht? „Ich überlege jetzt dreimal, bevor ich den Computer anschalte, weil ich weiß, dass es noch andere Sachen gibt, die Spaß bringen.“