Hamburg. Schießerei in der Heide und „Verbrecher-WhatsApp“: Nach langer Vorgeschichte schlagen Ermittler am Donnerstag an mehreren Stellen zu.

Mehmet S. ist ein Schwergewicht im Drogenhandel. Von 2019 bis 2020 schmuggelte er als Chef einer siebenköpfigen Bande über drei Tonnen Kokain im Wert von mehr als 300 Millionen Euro über den Hafen nach Hamburg. Deswegen sitzt er für zwölf Jahre in Haft.

In seiner Zelle in dem Hochsicherheitsgefängnis Santa Fu hat er offenbar eine neue Bande mit initiiert. Jetzt schlug die Kripo zu. Allein in der berüchtigten Haftanstalt wurden 13 Zellen durchsucht. Ein „Läufer“ – ein Häftling, der in Körperöffnungen Drogen in das Gefängnis geschmuggelt hatte – löste offenbar die Ermittlungen aus.

Razzia: Läufer liefert „Drogenbaron“ aus Santa Fu aus

Er plauderte bei der Kripo und Staatsanwaltschaft über Schmuggelrouten, Auftraggeber und Abnehmer. Die besorgten sich insgesamt 26 Durchsuchungsbeschlüsse, die neben der berüchtigten Haftanstalt auch die Haftanstalt Glasmoor in einem Fall und neun Wohnungen in Hamburg sowie jeweils eine Wohnung in Barsbüttel, Hasloh und Hollern-Twielenfleth betrafen.

Verdächtig waren insgesamt 24 Männer im Alter von 19 bis 48 Jahren. Sie sollen unter anderem als Auftraggeber und Läufer in den illegalen Handel mit Kokain, Haschisch, Marihuana und Spice involviert gewesen sein, wie ein Polizeisprecher sagte.

Drogen wurden offenbar aus dem Gefängnis gedealt

Am Donnerstagmorgen schlugen die Ermittlungsbehörden mit Unterstützung von Polizisten aus Niedersachsen zu. Bei der Aktion beschlagnahmten die Beamten Kokain, synthetische Cannabinoide, die ähnlich wirken wie Marihuana, Haschisch und Amphetamine sowie rund 8.000 Euro Bargeld.

Das in die Haftanstalt geschmuggelte Rauschgift wurde offenbar auf den Gefängnisfluren und Zellen gedealt. Mehrere Durchsuchungsbeschlüsse betrafen die Zellen von Abnehmern.

Auch Hafenmitarbeiter Teil des Drogen-Netzwerks?

Auch die Zelle von Mehmet S. wurde durchsucht. Der 41-Jährige sitzt aktuell zwölf Jahre Haft wegen Drogenschmuggels ab. Zusammen mit einem Komplizen hatte er eine Bande gegründet, die Kokain in Empfang nahm, das unter anderem in Containern zwischen Bananen aus Ecuador versteckt war und via Burchardkai in Hamburg angelandet wurde.

Zu dem Netzwerk, das das Duo aufbaute, gehörten auch Mitarbeiter aus dem Hafen, die für einen möglichst reibungslosen Ablauf der Drogentransporte sorgen sollten.

IT-Spezialist mit Kontakten nach Südamerika

Mehmet S.s Komplize Ashraf M., der als zweiter Gründer der Bande gilt, soll nicht nur Verbindungen zu südamerikanischen Kokain-Kartellen gehabt haben. Er hatte als IT-Spezialist in einem Logistikunternehmens auch Zugang zum internen IT-Netz im Hafen und so Containerabfertigungsprozesse manipuliert.

Aufgeflogen war die Bande mithilfe ausländischer Sicherheitsbehörden. Die hatten dem BKA Chatverläufe aus der verschlüsselten „Verbrecher-WhatsApp“ EncroChat übermittelt. Die Soko „HHammer“ erfuhr so von dem florierenden Drogenschmuggel und hob die Bande im Dezember 2020 aus, gegen die bereits im Zusammenhang mit einer Schießerei in der Fischbeker Heide ermittelt wurde, bei der im April 2020 ein Mann schwer verletzt wurde.

Mehmet S. wurde zu zwölf Jahren Haft verurteilt

Bei der Aktion im Dezember 2020 wurden 38 Wohnungen, unter anderem in Neugraben, Wilhelmsburg und Berne, sowie auch Häuser und Geschäftsräume in Rosengarten im Landkreis Harburg, in Dollern bei Stade, in Quickborn im Kreis Pinneberg und in Bremen durchsucht.

Im November vergangenen Jahres fiel das Urteil gegen Mehmet S. beim Prozess vor dem Landgericht. Weil er ein Geständnis abgelegt hatte, wurde er statt zu 15 „nur“ zu zwölf Jahren Haft wegen bandenmäßigem Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Für die neuen Drogengeschäfte in Santa Fu wird sich der Mann absehbar wieder vor Gericht verantworten müssen.

Kriminalbeamter: Santa Fu „Lehranstalt im negativen Sinn“

Jan Reinecke, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in Hamburg, zieht aus der Aktion diesen Schluss: „Die Ermittlungen und heutigen Durchsuchungsmaßnahmen zeigen, dass der gute und richtige Grundgedanke der Resozialisierung von verurteilten Straftätern bei Berufsverbrechern der Organisierten Kriminalität ins Leere läuft.“

Haft würde von solchen Schwerkriminellen genutzt, um neue Verbindungen und Vertriebswege in der Rauschgiftszene zu erschließen oder sich auszutauschen, was man das nächste Mal besser machen sollte. Reinecke: „Insofern ist die Haftanstalt für Rauschgiftkriminelle auch als Lehranstalt im negativen Sinne zu verstehen.“

Viele der am Donnerstag „besuchten“ mutmaßlichen Dealer sitzen bereits im Gefängnis, die anderen kamen mangels Haftgründen nach den Durchsuchungen wieder auf freien Fuß.