Hamburg. Im August 2021 wurde eine 88 Jahre alte Frau in Barmbek-Nord Opfer eines Abbiegeunfalls. Nun wurde der Verursacher verurteilt.
Irgendjemand ahnte wohl, dass sich ein furchtbares Unglück anbahnte. Und dieser jemand hupte „wie wild“, um zu warnen und das Schlimmste zu verhindern.
Doch es war zu spät: Eine Seniorin mit Rollator, die dabei war, bei Grün eine Straße zu überqueren, wurde von dem Fahrer eines Lkw beim Abbiegen übersehen. Das tonnenschwere Fahrzeug erfasste die betagte Dame. Zwei Wochen später starb die 88-Jährige an den Folgen den Unfalls.
Hamburg: Lkw-Abbiegeunfall in Barmbek-Nord wegen „bösem toten Winkel“
Dieses Verkehrsunglück vom 30. August 2021 an der Habichtstraße in Barmbek-Nord reiht sich ein in mehrere vergleichbare tragische Unfälle, bei denen in Hamburg überwiegend Radfahrer, aber auch Fußgänger von Lkw-Fahrern beim Rechtsabbiegen übersehen werden, dann unter das Fahrzeug geraten und meist tödliche Verletzungen erleiden.
Immer wieder wird bemängelt, dass die Sicht aus den erhöhten Fahrerkabinen schlecht sei. Doch nach wie vor sind viele Fahrzeuge nicht mit den sogenannten Abbiegeassistenten ausgestattet. Zwar ist eine europaweite Pflicht vorgesehen. Indes: Eine Nachrüstung für ältere Lkw und Busse besteht nicht.
Angeklagter Lkw-Fahrer: „Es war ein tragischer Tag“
„Es war ein tragischer Tag.“ Wenn Sattelschlepper-Fahrer Andreas G. (alle Namen geändert) an die Ereignisse von damals zurückdenkt, erinnert er sich vor allem daran, dass er die Seniorin am Rollator schlicht nicht gesehen habe.
Er sei „ganz normal abgebogen“, erzählt der 50-Jährige, der sich wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht verantworten muss. Dann habe er „etwas klappern“ hören. „Dann bin ich stehen geblieben und ausgestiegen. Da habe ich die Dame unter dem Wagen liegen sehen.“ Er sei unter Schock gewesen. Bis heute habe er „die Tragödie im Hinterkopf. Ich habe nie gedacht, dass mir so etwas mal passieren würde“.
Zeuge versuchte, Lkw-Fahrer aufmerksam zu machen
Ein Zeuge schildert, wie er seinerzeit noch versuchte, den Fahrer darauf aufmerksam zu machen, dass da eine Fußgängerin die Straße überquert. Der Sattelschlepper sei sehr langsam um die Kurve gebogen, schildert der Zeuge, „wie in Zeitlupe“.
Dennoch habe er die Frau erfasst. „Sie hielt sich an der Front wie an einer Wand fest, rutschte dann weg und unter das Fahrzeug“, erzählt der 59-Jährige. Über den Lkw-Fahrer sagt er: „Als ihm klar wurde, was passiert war, war er verzweifelt und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.“
Polizist: „Da gibt es einen ganz bösen toten Winkel“
Polizist Werner K., als einer der ersten am Unglücksort, benachrichtigte unmittelbar Rettungskräfte und war dabei, als Kollegen sich bemühten, die Schwerverletzte unter dem Sattelschlepper hervorzuziehen. Als die ersten Notfallmaßnahmen abgeschlossen waren, habe er sich selber ein Bild davon machen wollen, „von wo man in der Fahrerkabine was sehen kann“, erzählt der Polizist.
Nach vorn sei es allein wegen der Höhe des Fahrersitzes „schwierig“ zu gucken. „Da gibt es einen ganz bösen toten Winkel.“ Doch Brummifahrer Andreas G. hat offenbar zusätzliche Einschränkungen gehabt. Der Polizist berichtet von einem Fan-Schal einer Sportmannschaft, der von oben an der Decke über die gesamte Breite der Frontscheibe des Sattelschleppers mehrere Zentimeter tief hinunterhing.
Fan-Schal schränkte Sicht des Lkw-Fahrers zusätzlich ein
Auch die seitliche Sicht sei durch den Schal eingeschränkt gewesen, ebenso wie der Blick nach rechts, den ein über dem Armaturenbrett montiertes Display behindert habe. Allein nach vorn seien drei bis dreieinhalb Meter nicht einsehbar gewesen.
Und genau dort ist die Seniorin offenbar von dem Fahrzeug touchiert und umgerissen worden. Als der Sattelschlepper angehalten hatte, lag sie hinter der Vorderachse. Weil die Liegeposition der Frau „unnatürlich verdreht“ gewesen sei, sei sein „allererster Gedanke gewesen, dass wir einen tödlichen Verkehrsunfall haben“, erzählt der Polizeizeuge.
88-Jährige verstarb zwei Wochen nach Unfall auf Habichtstraße
Notfallmediziner konnten die Frau jedoch erstversorgen und brachten die 88-Jährige in eine Klinik. Dort wurden unter anderem schwerste Schädelverletzungen und Rippenserienbrüche festgestellt. Gestorben ist die Seniorin 14 Tage später, nachdem sich eine massive Lungenentzündung entwickelte.
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Damit ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft der Vorwurf der fahrlässigen Tötung erfüllt. Die Anklägerin spricht von einem „schrecklichen Ereignis“, einem „Augenblicksversagen“ des Sattelschlepper-Fahrers und davon, dass er „nicht genug sehen konnte“ – aber ohne auf die von dem Polizisten dargelegten zusätzlichen Sichteinschränkungen einzugehen.
Abbiegeunfall in Barmbek-Nord: Lkw-Fahrer erhält Geldstrafe
Die Staatsanwältin beantragt eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 25 Euro. Genau das ist letztlich auch das Urteil, das die Amtsrichterin verhängt. Sie verweist insbesondere auf die Verpflichtung, beim Rechtsabbiegen nur Schrittgeschwindigkeit zu fahren, also vier bis sieben Kilometer pro Stunde, maximal zehn.
Laut einem Gutachten war Andreas G. mit Tempo zwölf unterwegs. „Er hätte noch langsamer fahren müssen.“ Aber auch die Richterin zieht als Fazit: „Es war ein tragischer Sachverhalt.“