Hamburg/Leipzig. Übergangsrituale haben auch heute eine große Bedeutung. Über die Kraft von Bräuchen. Was Jugendliche und Experten in Ost und West sagen
Greta huscht als Letzte in den großen, hellen Saal. Die Achtklässlerin ist sorgfältig geschminkt, die langen blonden Haare hat sie zu einem strengen Knoten zusammengefasst. Marlene ist gekommen, obwohl sie noch für eine wichtige Arbeit in Chemie lernen muss. Levi hat den letzten Termin verpasst, seine Hockeymannschaft hatte ein wichtiges Spiel. Alle sind ein bisschen aufgekratzt, denn es ist nicht mehr lange hin, bis zu ihrem großen Tag. Anton freut sich schon auf seine Paten, die er nicht so häufig sieht. Georg auch, er wird ein großes Fest mit Familie und Freunden feiern.
So kurz vor dem Höhepunkt will Sabine Simon noch einmal testen, was aus den vielen Gesprächen in den vergangenen zwei Jahren hängen geblieben ist. „Das habt ihr sehr gut gemacht. Da stimmt fast alles“, lobt die Diakonin, als ihre Schützlinge Stichworten wie „Weihnachten“, „Amen“ oder „Kyrie eleison“ die richtigen Erläuterungen zuordnen. Die Jugendlichen, die im großen Saal der evangelischen Gemeinde St. Markus in Hamburg-Hoheluft versammelt sind, stehen kurz vor ihrer Konfirmation, so wie zurzeit viele andere Jugendliche deutschlandweit.
Die Jugend ist die Zeit, um sich auszuprobieren
Knapp 400 Kilometer von Hamburg entfernt eine ähnliche Situation: Lotte, Paul, Louis, Anja, Pia und noch einige andere, die sich zur Jugendweihe angemeldet haben, sitzen ebenfalls im Kreis. Sie hören Christel Gräske zu. Das Thema lautet: „Was macht Gewinner aus?“ Die Leipzigerin, die als Personal Coach arbeitet, möchte von den Jugendlichen wissen, was sie antreibt und wer ihre Vorbilder sind. Statt über die Aufgaben des Kirchengemeinderates zu diskutieren und die Frage, was zu Ostern gefeiert wird, sprechen die Achtklässler in Leipzig über Ziele, die sie für ihr Leben haben und darüber, wie es gelingen könnte, sie zu erreichen.
Louis will sein Hobby zum Beruf machen, deshalb ist er schon heute in der Jugendfeuerwehr aktiv. Pia möchte unbedingt einen Ausbildungsplatz zur Tierpflegerin im Zoo ergattern, „am liebsten bei den Tigern“. Dafür strengt sie sich in der Schule an. Anja, die Vizemeisterin im Schach ist und ihren Vater dafür bewundert, dass er so fleißig ist, möchte einmal eine eigene Firma gründen. Paul trainiert Karate und möchte in den Nationalkader.
Und Lotte, die nicht nur Leichtathletik und Fußball liebt, sondern auch Klavier spielt und singt, kann sich gut vorstellen, einmal als Lehrerin zu arbeiten. Noch zählen für die meisten vor allem gute Noten in der Schule. Auch Hobbys und Praktika sind wichtig, um sich auszuprobieren. Aber alle spüren schon, dass es bald um mehr gehen wird, darum seinen ganz eigenen Weg einzuschlagen.
Mehr als 2500 Mädchen und Jungen werden in diesem Jahr in Hamburg konfirmiert
Zehntausende Jugendliche in Deutschland werden in den Wochen zwischen Ostern und Ende Mai mit einem Ritual symbolisch in die Welt der Erwachsenen aufgenommen. Obwohl die Gesellschaft in Deutschland im 21. Jahrhundert aufgeklärt, divers, plural und individualisiert ist, setzen erstaunlich viele noch immer auf die Kraft von alten Bräuchen.
Dabei zeigen aktuelle Statistiken zunächst einmal, dass die Zahl derjenigen, die Mitglied einer christlichen Kirche in Deutschland sind, beständig abnimmt. Dementsprechend ist auch die Zahl der Konfirmanden im Norden im Zehnjahresvergleich deutlich gesunken. In diesem Jahr werden nach Angaben der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland voraussichtlich 12.561 Jugendliche konfirmiert. 2013 waren es noch 21.140 Konfirmanden, 2018 nur noch 15.655 Jungen und Mädchen.
Die meisten Konfirmanden im Norden kommen aus Schleswig-Holstein – in diesem Jahr werden es laut Nordkirche voraussichtlich 8595 sein. Zehn Jahre zuvor waren es noch 15.924. In Hamburg werden 2713 Konfirmationen erwartet – 2013 waren es 3964. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Zahl mit 1217 erwarteten Konfirmanden im Zehnjahresvergleich fast gleich geblieben.
„Die Gründe für die sinkenden Zahlen sind vielschichtig und betreffen nicht nur die Kirche“, sagt Pastorin Irmela Redhead, Beauftragte für die Konfirmandenarbeit der Nordkirche, zu den Gründen des Rückgangs. „Es gibt einen demografischen Aspekt: Die Zahl der Jugendlichen sinkt generell und damit auch die Zahl der potenziell zu Konfirmierenden.“ Zudem sei die Bevölkerung vielschichtiger geworden. „Es leben inzwischen mehr Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen und religiösen Bindungen bei uns.“
In den östlichen Bundesländern ist die Jugendweihe 30 Jahre nach der Wende als Ritual etabliert
Diesen Befund bestätigt Michael Domsgen. Der Professor für Evangelische Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg forscht unter anderem zu religiösen Bindungen im Kontext mehrheitlicher Konfessionslosigkeit und religiöser Pluralität. „Die Gesellschaft ist heute viel heterogener als vor 50 Jahren. Der Anteil der Konfirmanden unter den Jugendlichen ist dennoch nach wie vor relativ stabil, auch wenn die absolute Zahl abnimmt“, sagt Domsgen.
Die Gemeinde St. Markus im Hamburger Stadtteil Hoheluft begleitet mit 41 Konfirmanden in diesem Jahr „so viele wie noch nie“, sagt Diakonin Sabine Simon, die seit 17 Jahren die Jugendarbeit der Kirchengemeinde leitet, die etwa 4000 Mitglieder zählt. Auch die weltliche Alternative zur Konfirmation liegt weiterhin im Trend, wie ein Blick nach Leipzig verrät. Die Anmeldezahlen zur Jugendweihe in der Messestadt liegen seit Jahrzehnten, abgesehen von den Pandemiejahren, erstaunlich stabil um 2000 pro Jahr.
„In Sachsen nutzen in diesem Jahr 12.696 Jugendliche das Angebot, gut 800 mehr als im Vorjahr“, sagt Carla Hentschel vom Sächsischen Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe. Und auch in Hamburg, wo 1890 die erste Jugendweihe öffentlich gefeiert wurde, sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Angaben des Verbands Jugendweihe Hamburg e. V. in diesem Jahr besonders zahlreich. Was genau zieht Menschen heute an diesen Riten noch so an?
Für viele Konfirmanden ist die gemeinsame Fahrt ein besonderes Highlight
„Das Vaterunser oder der Glockenschlag sind etwas, das es schon sehr lange gibt. Das hat eine große Kraft. Die Jugendlichen merken, dass Rituale wichtig sind. Die Taufe und die Konfirmation gibt es für jeden nur einmal im Leben, das ist etwas ganz Besonderes“, sagt Diakonin Sabine Simon.
Auf die Frage, warum sie demnächst öffentlich ihr Glaubensbekenntnis ablegen möchte, antwortet Greta: „Meine Oma ist sehr gläubig. Sie hat sich gewünscht, dass ich mich konfirmieren lasse. Und weil wir ein sehr enges Verhältnis haben, habe ich mich angemeldet.“ „Meine Schwestern haben schon vor mir Konfirmation gefeiert. Das wollte ich auch“, sagt Levi. „Außerdem habe ich schon einen evangelischen Kindergarten besucht.“ „Ich habe einen älteren Bruder, bei dem ich die Konfirmationszeit miterlebt habe“, sagt Marlene.
„Ich wurde einfach angemeldet“, sagt Georg und zuckt mit den Schultern, während die anderen in der Runde lachen. „Ich konnte mich nicht dagegen wehren“, setzt er noch eins drauf. Trotzdem hat auch er, wie alle anderen in der Gruppe, die Treffen in der zwei Jahre dauernden Konfirmationszeit regelmäßig besucht, ist mit auf Konferfahrt ins schleswig-holsteinische Plön gefahren, hat sich an den Gruppenprojekten, Workshops und Diskussionen beteiligt und sein ganz persönliches Glaubensbekenntnis geschrieben. „Ich nehme auch etwas mit: neue Freunde“, sagt Georg und grinst Levi an.
In der Kirche St. Markus in Hoheluft gestalten Teenager den Gottesdienst
„Es ist mir wichtig, dass die Jugendlichen selbst denken und sich Widerspruch trauen. Genauso wichtig ist es, dass sich alle in der Gruppe respektvoll und auf Augenhöhe begegnen. Das gelingt sehr gut“, sagt Sabine Simon. Bevor die Mädchen und Jungen konfirmiert werden, gestalten die Jugendlichen wenige Wochen vor ihrem großen Tag einen Gottesdienst komplett in Eigenregie. Dann ist die Kirche etwas voller als sonst. Und es klingt auch alles ein wenig anders. Gepredigt wird in Jeans, Kapuzenpulli und Sneakern. Thema: „Jesus ist ein guter Hirte“. Es geht um Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Hilfsbereitschaft und den tiefen Wunsch, die Welt möge eine bessere werden. Armut, Hunger und Naturkatastrophen beschäftigen die Jugendlichen.
Matthis, weite Hosen und die blonden Haare so frisiert, wie sie auch St.-Pauli-Mittelfeldspieler Marcel Hartel trägt, zitiert Psalm 23: „Mein Platz ist im Haus Gottes.“ Johanna und Marlene schauen selbstbewusst in die Gesichter der Gottesdienstbesucher und lesen kurze Auszüge aus ihren Glaubensbekenntnissen. Romy, große goldene Kreolen zu langen roten Haaren, predigt souverän von der Kanzel, Anton spendet am Ende des Gottesdienstes der Gemeinde den Segen. Volker Simon, Pastor der Gemeinde St. Markus, hat beobachtet, dass nicht nur den Jugendlichen und den Verwandten die Konfirmation nahegeht, sondern auch den Eltern. „Viele Mütter und Väter sehen ihre Kinder in diesem Augenblick gewissermaßen zum ersten Mal als Erwachsene.“
Rituale helfen nicht nur in Krisensituationen, sondern auch im Alltag
Wer heute jung ist, wächst mit Debatten über Klimawandel, Kriege und Konflikte auf, in einer Gesellschaft, die pluraler, diverser, aber auch viel fragmentierter ist als in den Generationen davor. Zwar lebt die Mehrzahl der Kinder heute in Deutschland behütet und in materieller Sicherheit, aber in den der Jugend eigenen Zukunftsoptimismus mischen sich bei vielen Ängste. Schaffe ich es, den Anforderungen in der Schule gerecht zu werden, die Erwartungen meiner Eltern und auch meine eigenen zu erfüllen? Wie wird meine Zukunft aussehen, wenn die Umwelt immer weiter zerstört wird? Was kann helfen, gegen Polarisierung und das Erstarken extremer politischer Positionen in vielen Ländern der Welt?
„In unsicheren Zeiten können Rituale, die den Alltag strukturieren, helfen, Übergänge zu gestalten“, sagt Michael Domsgen. Öffentliche Übergangsrituale wirken ihm zufolge auch als gesamtgesellschaftlicher Kitt. Sie schaffen Gemeinsamkeiten. Dass bestimmte Rituale von so vielen Menschen gefeiert werden, hat mit ihrer Sozialisierung zu tun. „Diese Feste haben eine lange Tradition, denn ‚damals machte man das so‘, man hörte auf seine Eltern. Es ist erstaunlich, dass sich das so lange gehalten hat“, sagt der Hochschullehrer, der auch Direktor des Forschungszentrums Christliches Empowerment in der Säkularität ist.
Aber wie ist es heute? „Heute ist das nicht mehr zwangsläufig so. Es gibt viele Menschen, über die wir nicht wissen, wie sie diesen Übergang begehen. Wer sich nicht bei einem der Anbieter für so ein öffentliches Ritual anmeldet, muss ja nicht zwangsläufig nichts machen. Über diese privat gestalteten Feiern weiß man nichts.“ Die Zahl der Möglichkeiten sei sehr groß.
Gemeinsam zu feiern, stärkt Familien und schafft Erinnerungen für den Rest des Lebens
Bei sogenannten Walkaways etwa verbringen Teenager, ausgestattet mit einem kleinen Rucksack, eine Nacht allein im Wald, um symbolisch die Kindheit hinter sich zu lassen. Forscher Michael Domsgen nennt ein weiteres Beispiel: „Anfang der 2000er-Jahre entwickelte die Katholische Schule in Halle an der Saale ein Übergangsritual zwischen Jugendweihe und Konfirmation, die sogenannte Lebenswendefeier. Das Angebot lief einige Jahre auf sehr niedrigem Niveau, aber vor sechs, sieben Jahren ist die Nachfrage plötzlich regelrecht explodiert. Nun haben wir für dieses Jahr schon 750 Anmeldungen. Und das in einem Kirchenkreis, in dem vermutlich nur etwa 230 Konfirmanden leben.“ Wie es in einem wenig religiösen Gebiet zu einer solchen Entwicklung kommen kann, möchte der Wissenschaftler verstehen und herausfinden, was die Familien daran anspricht. „Ob die Kraft der Rituale abnimmt, weiß ich nicht“, sagt Domsgen. „Aber ich glaube nicht.“
Schulterzucken in Leipzig. Und etwas ratlose Gesichter auf die Frage nach den Motiven, sich für die Jugendweihe anzumelden. Dann fasst sich Nina ein Herz und sagt: „Meine Eltern haben das auch gemacht und haben gute Erinnerungen daran. Deshalb haben sie mir das vorgeschlagen, und ich fand es eine gute Idee.“ „Bei mir war es ähnlich“, sagt Laura. „So ein Fest ist doch etwas ganz Besonderes für die ganze Familie“, findet Lotte. „Und dann ist da noch die Feier mit den Freunden später“, sagt Louis. Alle nicken.
Denn neben dem feierlichen Moment auf der Bühne im Opernhaus oder Stadttheater, wenn jede und jeder Jugendliche eine Urkunde überreicht bekommt, geht es um die öffentliche Anerkennung der Tatsache, dass die Kindheit vorbei ist und zum Erwachsensein nicht mehr viel fehlt. Festliche Kleidung, Familienfeiern, größere (Geld-)Geschenke – und das erste Mal in aller Öffentlichkeit mit einem Glas Sekt anstoßen, gehört für viele dazu.
In Hamburg wurden 1890 erstmals Jugendliche geweiht, die Hansestadt galt als Jugendweihe-Hochburg
Dabei denken die meisten, die heute Jugendweihe hören, automatisch an die staatlich organisierten Veranstaltungen der DDR, die dazu dienen sollten, Jugendliche auf den Sozialismus einzuschwören. Doch die Ursprünge liegen woanders. Vor mehr als 150 Jahren suchten unter anderem freikirchliche Gemeinden nach einer Alternative zur evangelischen Konfirmation. „Das Feiern in diesem Lebensalter stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert, als man die Volksschule verließ und fortan ein Leben als Erwachsener führte“, sagt Professor Michael Domsgen.
Auch andere Gruppen, etwa die damals starke Arbeiterbewegung, übernahmen das Ritual, das 1889 in Berlin zum ersten Mal im Großen Konzertsaal in der Leipziger Straße stattfand und in der Weimarer Republik eine Blütezeit erlebte. Vor allem in Städten mit großer Arbeiterschaft, wie Hamburg, Berlin und Dortmund, nahmen damals etwa ein Drittel der Jugendlichen an der Jugendweihe teil. Die Nationalsozialisten verboten das Ritual nach der Machtergreifung umgehend.
In den 1970er-Jahren nahmen mehr als 94 Prozent aller Achtklässler in der DDR an der Jugendweihe teil
Ihr Comeback, politisch instrumentalisiert von der SED, erlebte die Jugendweihe im Jahr 1955. Nach dem Aufstand von 1953, der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft und der Massenflucht von Hunderttausenden änderte die SED ihre anfänglich ablehnende Haltung gegenüber der Jugendweihe. Fortan war sie ein nützliches Werkzeug, um den Einfluss der Kirchen zu bannen und Heranwachsende früh in die sozialistische Programmatik einzubinden.
Dafür wurden die öffentlichen Feierlichkeiten von Anklam bis Zittau großzügig unterstützt, von prominenten Rednern begleitet, was sich auch in den Teilnehmerzahlen niederschlug. Während an der ersten Jugendweihe 1955 nur etwa 17 Prozent der Achtklässler teilnahmen, waren es Mitte der 70er-Jahre 94 Prozent. Zentraler Bestandteil bis 1989 war das öffentliche Gelöbnis der Jugendlichen, „für die edle Sache des Sozialismus zu kämpfen und zu arbeiten“. Im Westen führte die Jugendweihe nach 1949 ein Nischendasein.
Heute bietet die Jugendweihe Eltern und Kindern einen Anlass und Gelegenheit, sich auf das Leben nach der Schule vorzubereiten, findet Christel Gräske. Sie engagiert sich ehrenamtlich für den Sächsischen Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e. V. „Ich arbeite sehr gern mit Jugendlichen und helfe bei Fragen der Persönlichkeitsentwicklung. Das ist ein Part, der in der Schule leider ein bisschen zu kurz kommt“, sagt die Leipzigerin. „Ich finde es sehr schön und wichtig zu würdigen, dass die Jugendlichen einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Das Vorbereiten auf das Erwachsenenleben ist wichtig, aber auch die Wertschätzung, die die Eltern ihren Kindern mit diesem Fest zeigen. Natürlich kann man Jugendweihe auch ohne den Verein feiern, im privaten Rahmen.“
In Hamburg feiern in diesem Jahr besonders viele Mädchen und Jungen Jugendweihe
Jugendliche, die sich in Leipzig beim Verband für Jugendarbeit und Jugendweihe e. V. anmelden, können aus einer Vielzahl von Kursen wählen, vom Bewerbungstraining, über einen Besuch hinter den Kulissen des Leipziger Flughafens, bis hin zu einem Cocktail-Mix-Kurs ohne Alkohol. Tanzstunden werden ebenso angeboten wie Gesprächsrunden mit den Abgeordneten des Landtages und Besuche in Gedenkstätten. „Oft geben die Eltern den Anstoß, eine Gedenkstätte zu besuchen“, sagt Verbandssprecherin Carla Hentschel.
In Hamburg haben sich in diesem Jahr 420 Jugendliche angemeldet, sagt Tamina Panchacharadevan, Geschäftsführerin des Verbands Jugendweihe Hamburg e. V. „Im vergangenen Jahr hatten wir schon ähnlich viele Teilnehmende und auch im Jahr davor. Wir dachten, dass das mit Nachholeffekten von Corona zu tun hat, aber das ist offenbar nicht der Fall. Im Gegenteil, die Nachfrage ist groß. Das merken wir auch in Schleswig-Holstein. Wir haben gar nicht so viele Kursleiter, um die Nachfrage aufzufangen.“
Für die gestiegene Nachfrage macht Tamina Panchacharadevan mehrere Gründe verantwortlich. „Wir haben wenig Konkurrenz hier im Norden, was nicht-religiöse Feiern zum Übergang angeht. Außerdem ist für viele die Feier in der Laeiszhalle attraktiv.“ Da Hamburg stets eine Jugendweihe-Hochburg war, blickt der Verein auf eine lange Tradition zurück. Ähnlich wie in den östlichen Bundesländern können die Teilnehmenden im Vorfeld des Festaktes aus einem umfangreichen Kursangebot wählen. Im Unterschied zum Anbieter in Sachsen ist in Hamburg jedoch der Besuch der KZ-Gedenkstätte Neuengamme für alle Jugendweihlinge verpflichtend.
In der Jugendzeit entwickelt sich die eigene Persönlichkeit und persönliche Wertevorstellungen
„Wir haben eine andere Tradition als die Landesverbände in den östlichen Bundesländern. Wir leben in einer bewegten Zeit, mit vielen Krisen und Konflikten, und wir sehen, dass wir niemals vergessen dürfen, was in Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus geschehen ist. Das Thema ist nicht durch. Das wird auch daran deutlich, wie viele Menschen auf die Straßen gehen, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren“, sagt Tamina Panchacharadevan.
Der Besuch der Gedenkstätte, gemeinsam mit speziell geschulten Guides sei ein zentraler Baustein in der Arbeit des Vereins. „Natürlich macht der Besuch eines solchen Ortes emotional etwas mit einem. Wir klären auf und lassen Raum für Fragen, es geht aber nicht nur um Wissensvermittlung.“ Es gehe in dem Alter auch um Demokratiebildung, Persönlichkeitsbildung und nicht zuletzt um die Erziehung zur Menschlichkeit.
Mathilda wohnt in Hamburg-Eidelstedt und hat kurz vor ihrer Jugendweihe zum ersten Mal eine Gedenkstätte besucht. „Es hat mich sehr beeindruckt. Wir waren in kleinen Gruppen auf dem Gelände und haben eine sehr gute Führung bekommen“, sagt die 14-Jährige. Daneben und der festlichen Feierstunde im Großen Saal der Laeiszhalle werden ihr vor allem die vielen Begegnungen und Gespräche mit anderen Jugendlichen in Erinnerung bleiben. „Die Treffen mit der Gruppe waren immer sehr interessant. Ich habe das Gefühl, ich habe sehr viel gelernt in dieser Zeit.“
Im Gegensatz zur Jugendweihe hat die Konfirmation Konsequenzen für das Leben
Im Gegensatz zur Jugendweihe ist die Konfirmation mehr als ein festliches Ereignis. Wer an dem feierlichen Segnungsgottesdienst teilnimmt, bekräftigt damit seine Aufnahme in die christliche Gemeinschaft, die mit der Taufe geschehen ist. Bente hat sich vor einem Jahr bewusst dafür entschieden. „Ich weiß nicht, ob es nur an der Konfirmation liegt, aber durch sie haben sich viele neue Möglichkeiten für mich ergeben. Ich konnte mich ausprobieren und zum Beispiel meine Teamer-Ausbildung machen, die wieder neue Kontakte und Möglichkeiten mit sich bringt“, sagt die 15 Jahre alte Hamburgerin.
Auch Jannis‘ Leben wurde durch seine Erfahrungen als Konfirmand beeinflusst. „Ich glaube, dass ich mich verändert habe. Auch wenn Glaube ein großes Wort ist, fühle ich mich durch ihn fest verankert in meinem Leben.“ Im Rahmen seines ehrenamtlichen Engagements hat der 18-Jährige inzwischen eine Jugendleiter-Ausbildung absolviert, betreut eine Jugendgruppe und übernimmt in verschiedenen Bereichen in der Gemeinde Verantwortung.
Die gemeinsame Konfer-Zeit nutzen viele Jugendliche, um sich wichtige Fragen zu stellen
„Schwierig zu beschreiben“, findet Marlene ihre Zeit als Konfirmandin und wagt dann doch einen Versuch: „Ich habe nicht nur neue Leute getroffen. Man lernt hier etwas, was man sonst nicht lernt, nicht in der Schule und auch sonst nirgendwo. Jeder kann mitnehmen, was für einen ganz persönlich passt, und niemand wird bewertet. Die Zeit hier stärkt die eigene Mitmenschlichkeit“. Bruno meint: „Ich fand die Hintergründe interessant, hinter all den Riten und Bräuchen, die wir teilen. Warum wir Weihnachten und Ostern so feiern, wie wir es tun. Was es wirklich bedeutet.“
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Und Christian sagt: „Man bekommt einen Eindruck davon, was es heißt, Christ zu sein. Was Glaube überhaupt bedeutet.“ Klar und deutlich bringt Gustav seine Meinung auf den Punkt: „Für mich ist die Konfirmation eine Etappe auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Es ist ein wichtiger Schritt, den man öffentlich macht. Man zeigt, dass man Verantwortung übernimmt, für sich und für sein Leben. Es ist eine Entscheidung.“
Wie sie ihren großen Tag begehen wollen, haben Greta, Georg, Levi und Carla schon vor Wochen entschieden. Georg wird seinen neuen anthrazitfarbenen Anzug anziehen, ob mit Krawatte oder ohne, will er sich noch nicht festlegen. „Für mein Outfit war ich extra mit meinem Vater beim Herrenausstatter“, sagt der blonde 14-Jährige. Carla fand es schwierig, das richtige Kleid zu finden. „Es soll schon feierlich und festlich sein, aber mir auch gefallen und mich widerspiegeln.“ Nun wird sie ein Kleid mit großen Blumen darauf tragen. „Das sieht so toll aus, ich mag es sehr.“ Greta hat ein navyblaues Satinkleid gewählt. Nur ob sie den Segen in hochhackigen Schuhen empfängt, weiß sie noch nicht. „Ich bin unsicher, weil ich nicht die ganze Zeit Angst haben will, dass ich vielleicht stolpern könnte. Ich möchte diesen Moment genießen.“