Hamburg. Geburtstagsserie des Abendblatts mit den 75 wichtigsten Geschichten aus diesen Jahren. Heute: Die Flugzeugkatastrophe von 1971.
„6.9.1971, 18.18 Uhr. Chartermaschine vom Typ BAC Super 1-11 der Pan International mit 115 Reisenden an Bord, Start Fuhlsbüttel, Ziel Malaga.“ Hinter diesen nüchternen Daten verbirgt sich eines der spektakulärsten Unglücke der zivilen Fluggeschichte Deutschlands, das auch heute nichts von seinem Schrecken verloren hat und an Dramatik jedem Hollywood-Katastrophenschinken Konkurrenz machen kann.
115 Passagiere freuen sich an diesem Montag auf ihren Urlaub in Südspanien. Doch dort werden sie nie ankommen. Um 18.19 Uhr, also kurz nach dem Start der Maschine (Flugnummer DR 112), fangen die Triebwerke des voll besetzten Charterflugzeugs vom Typ British Aerospace 1-11 der Münchner Gesellschaft Paninternational nach Explosionen Feuer. Flugkapitän Reinhold Hüls wird Jahre später in einem Interview sagen, dass er in kurzer Abfolge zwei Explosionen gehört habe – „Bang Bang“.
Flugzeugabsturz: Urlaubsmaschine muss auf der Autobahn notlanden
Hüls reagiert schnell und bereitet eine Notlandung vor. Ihm bleibt nichts anderes übrig: Noch 42 Sekunden bis zum Aufsetzen hätten die Instrumente ihm angezeigt, berichtet der Pilot später – zum Umkehren nach Fuhlsbüttel reicht die Zeit nicht. Hüls entscheidet sich zu einer Landung auf der erst kurz zuvor eröffneten Autobahn 7 nahe Hasloh.
In Fahrtrichtung Hamburg ist an diesem Abend nur relativ wenig los, während auf der Gegenfahrbahn reger Feierabendverkehr herrscht. Der Kapitän und sein Team setzen alles auf eine Karte. Die Maschine fliegt unter eine Hochspannungsleitung hindurch, und einigen Autofahrern gelingt es im letzen Moment auszuweichen, beziehungsweise unter dem trudelnden Riesenvogel hindurchzurasen.
Die Notlandung schien zu klappen – dann stand da eine Brücke
Die Maschine setzt dann mit schätzungsweise 200 Stundenkilometern hart auf, das linke Fahrwerk bricht ein, und sie gerät in Schräglage. Unter normalen Umständen hätte die Notlandung wie geplant klappen können, doch zum Unglück kommt Pech hinzu. Das Flugzeug rast mit nach wie vor hoher Geschwindigkeit bei Kilometer 45,5 gegen einen Pfeiler einer noch im Bau befindlichen Brücke.
Beide Tragflächen werden abgerissen, Seitenruder und Heck zerstört, der Rumpf zerbricht in drei Teile. Wer in der Nähe der Abbruchkanten sitzt, ist sofort tot. Während das Cockpit rund 80 Meter weit wegschleudert, dreht sich der Rest des Flugzeugs seitlich unter der Brücke hindurch und kommt erst 100 Meter weiter an einer Böschung zum Stehen. Ein Ende mit Schrecken.
Binnen kurzer Zeit schlagen meterhohe Flammen aus den Treibstofftanks, der riesige Rauchpilz ist bis in die Hamburger Innenstadt zu sehen. Er lockt viele Hundert Schaulustige an, die die Rettungsarbeiten später massiv behindern werden.
Am Flughafen wird Großalarm ausgelöst, 80 Löschwagen, fünf Züge der Berufsfeuerwehr und 25 Rettungswagen rasen zur Unfallstelle. Ihnen bietet sich vor Ort ein Bild des Grauens: Leichen- und Wrackteile liegen weit verstreut auseinander – die Such- und Bergungsaktion wird schließlich auf einen Radius von rund einem Kilometer ausgedehnt.
„Ein Wunder, dass auch nur einer überlebt hat“, titelt das Hamburger Abendblatt
Die Wasserversorgung vor Ort gestaltet sich so schwierig, dass vier Tanklöschfahrzeuge im Wechsel Wasser zur Einsatzstelle bringen müssen. Schließlich gelingt es mithilfe der Flughafen-Feuerwehr und den herbeigeeilten freiwilligen Wehren, den Brand zu löschen. Für 17 Passagiere kommt jede Hilfe zu spät, fünf der Verletzten, die man im Umkreis der brennenden Maschine findet, sterben später noch im Krankenhaus.
„Ein Wunder, dass auch nur einer überlebt hat“, titelt das Abendblatt am Folgetag. „93 Sekunden war die Unglücksmaschine in der Luft“, schreibt die „FAZ“ später. „93 Sekunden, in denen der schwerste Unfall eines Passagierjets in der alten Bundesrepublik seinen Lauf nahm.“
Als sich der Jahrestag des Unglücks 2021 zum 50. Mal jährte, traf sich Abendblatt-Redakteur Frank Knittermeier mit dem 80 Jahre alten ehemaligen Abendblatt-Fotografen Hans-Günter Kiesel am Ort des Unglücks. Kiesel war am 6. September um 18.30 Uhr zu Hause in Garstedt von der Fotoredaktion angerufen worden: Es habe einen Flugzeugabsturz gegeben, mehr sei nicht bekannt.
Flugzeugunglück: Der Pilot sitzt benommen und blutend im Gras
Kiesel dachte zunächst an eine Notlandung einer kleineren Maschine auf einem Acker – so wie es sie schon häufiger in der Umgebung gegeben hatte. Als er dann am Unglücksort eintraf, wurde der Fotograf völlig unvorbereitet mit erschütternden Eindrücken konfrontiert: Er sah Tote, Schwerverletzte und Menschen, die unter Schock in der Gegend umherirrten.
Kiesel gelangen damals Fotos, die – wie Frank Knittermeier schreibt – „später um die Welt gehen und nicht nur vom Abendblatt, sondern auch von großen Magazinen gedruckt werden“. Das eindrucksvollste und bekannteste zeigt Reinhold Hüls, der mit seiner um die Schulter gelegten Jacke benommen im Gras sitzt.
Die Ursache des Unglücks wird schnell festgestellt. Die Ermittlungen ergeben, dass statt destilliertem Wasser irrtümlich eine mit brennbarem Kerosin gemischte Flüssigkeit in die Zusatztanks der Maschine gefüllt worden war. Techniker hatten Kanister falsch befüllt. Als Schuldige werden 1976 ein Elektriker und ein Flugzeugmechaniker von Paninternational zu je 1500 Mark Geldstrafe verurteilt.
Das schon länger kriselnde Unternehmen Paninternational stellt den Flugbetrieb ein und geht 1973 in Konkurs. Flugkapitän Reinhold Hüls wird allgemein als Held des Tages gefeiert, sein Manöver geht später als „Wunder von Hasloh“ in die Geschichte ein. Allerdings belastet ihn der Unfalltod von 22 Menschen noch jahrelang schwer, wie er später sagt.
Flugzeugkatastrophe hat dann auch noch eine politische Dimension
Die Flugzeugkatastrophe hat dann auch noch eine politische Dimension: Karl Wienand, damals Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, wird 1971 vorgeworfen, die Charterfluggesellschaft Paninternational gegen ein stattliches Honorar vor einer Prüfung durch das Luftfahrt-Bundesamt geschützt zu haben.
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Wienand hatte als „Berater“ von Paninternational Honorare von insgesamt gut 160.000 Mark kassiert und offenbar dafür gesorgt, dass das Unternehmen trotz bekannter Mängel und Sicherheitsdefizite weitermachen durfte.
Notlandung auf der Autobahn – das tragische Schicksal der Co-Pilotin
Hatte Wienand dafür gesorgt, dass die Überwachungsbehörde, also das Luftfahrt-Bundesamt, nicht einschritt? Im Parteienstreit kommt es schließlich zu keiner abschließenden Bewertung, die Sache verläuft im Sande. Der in zahlreiche politische Skandale verwickelte Wienand wird später als DDR-Spion entlarvt.
Besonders tragisch ist das Schicksal von Co-Pilotin Elisabeth Friske, der ersten Jetpilotin Westdeutschlands. Sie überlebt das Unglück, stirbt aber 16 Jahre später, als sie mit der Maschine des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel abstürzt.