Hamburg. Seniorin wurde Wohnrecht eingeräumt – doch auf den Grundbucheintrag muss sie warten. Warum es beim Nachlassgericht stockt.
Helga Dommel könnte es schön haben. Sie hat ein reifes Alter erreicht, hat ein erfülltes Leben und wohnt in einem Haus, in dem sie sich wirklich wohlfühlt. Doch die 86-Jährige aus Hamburg macht sich große Sorgen. Denn wie lange sie bleiben kann, erscheint ihr ungewiss. Dabei hat sie in dem Reihenhausbungalow ein lebenslanges Wohnrecht. Eigentlich.
Doch die Eröffnung eines Testaments, in dem das dauerhafte Wohnrecht festgelegt ist, lässt auf sich warten. „Das dauerte jetzt schon sechs Monate, und lange ist nichts passiert“, erzählt Dieter Hottendorf, der Sohn von Helga Dommel. „Aber meine Mutter möchte endlich Rechtssicherheit!“
Nachlassgericht Hamburg: 86-Jährige wartet Monate auf Testamentseröffnung
Der Hamburger beklagt, dass das zuständige Nachlassgericht Hamburg-Barmbek den Fall seiner Mutter lange nicht bearbeitet habe und spricht von einer „Untätigkeit der Verwaltung. Wenn jemand einen Angelschein will oder einen Pass beantragt, geht es schnell. Aber eine Testamentseröffnung kriegt man in sechs Monaten nicht hin!“
Der Reihenhausbungalow in Hamburg-Berne, um den es geht, ist seit einem Vierteljahrhundert das Zuhause von Helga Dommel. Mit dem Mann, dem das Eigenheim gehörte, war sie 25 Jahre lang liiert. „So lang hält manche Ehe nicht“, meint ihr Sohn.
Der Lebensgefährte der 86-Jährigen, Dieter Rustmann, habe sicherstellen wollen, dass seine Partnerin über seinen Tod hinaus in dem Bungalow wohnen bleiben kann. Deshalb habe der Rentner das lebenslange Wohnrecht testamentarisch festgelegt. Erben sollte das Haus allerdings der Sohn von Dieter Rustmann. Auch das steht in dem Testament.
86-Jährige sorgt sich, wie es mit ihrem Zuhause weitergeht
Damit alles Hand und Fuß hat, so schildert es Dieter Hottendorf, habe der Lebensgefährte seiner Mutter sein Testament beim Nachlassgericht Barmbek hinterlegt. Im November vergangenen Jahres verstarb Dieter Rustmann. Zu der tiefen Trauer um ihren langjährigen Partner kommt für Helga Dommel nun die Unsicherheit, wie es mit ihrem Zuhause weitergeht.
„Theoretisch sollte alles klar sein. Es ist ja alles eindeutig verfügt“, sagt ihr Sohn. Aber solange das Wohnrecht nicht im Grundbuch eingetragen ist, sei dies nicht rechtsgültig. Und die Grundbucheintragung könne erst dann erfolgen, wenn das Testament eröffnet ist.
Bearbeitung beim Nachlassgericht: „Wieso dauert das so lange?“
„Wieso dauert das so lange?“, wundert sich Hottendorf. Der eigentliche Akt der Testamentseröffnung müsste nach seiner Einschätzung sehr übersichtlich und unaufwendig sein. „Das müsste sich doch nur jemand anschauen, dann einen Stempel rauf – und dann kann es verschickt werden.“
Jedenfalls rechtfertige aus seiner Sicht nichts den monatelangen Zeitraum, den seine Mutter warten müsse. Außerdem sei die unerfreulich lange Bearbeitungszeit, die seine Mutter sehr belastet habe, offenbar in Barmbek kein Einzelfall, meint Hottendorf.
Das bestätigt auch Gerichtssprecher Kai Wantzen auf Abendblatt-Anfrage: „Leider ist das Nachlassgericht Barmbek einer der Bereiche, die von unserer prekären Personalsituation besonders betroffen sind.“ Auf den Geschäftsstellen fehle es an qualifizierten Mitarbeitern. Der Personalmangel in Kombination mit Langzeiterkrankungen und Vakanzen habe dazu geführt, „dass Rückstände sprunghaft zugenommen haben und es zu langen Wartezeiten bei der Bearbeitung von Anträgen kommt“.
Justiz in Hamburg: „Prekäre Personalsituation bei den Gerichten“
Es sei gut nachvollziehbar, dass die Betroffenen sich darüber ärgerten und mit Unverständnis reagierten. „Viele Menschen haben ihr Leben lang nichts mit der Justiz zu tun und fühlen sich vor den Kopf gestoßen, wenn ihr Anliegen bei Gericht nicht genauso zügig bearbeitet wird, wie sie es von anderen Behörden gewöhnt sind. Das Schlimme daran ist, dass wir in diesen Fällen unseren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden können“, so Wantzen.
Allerdings zwinge die Personalknappheit zu einer gewissen Priorisierung auf solche Gerichtsbereiche, „in denen es um Leib und Leben geht“. Dies seien die Fälle der Strafgerichte, der Familiengerichte, vor allem bei Kindeswohlgefährdung, und der Betreuungsgerichte, die über freiheitsentziehende Maßnahmen zu entscheiden hätten.
Wenn es bei Personalausfällen um Sondervertretungen gehe, müssten andere Bereiche, etwa auch die Nachlassgerichte, in denen Testamente eröffnet werden, „bedauerlicherweise zurückstehen“, erklärt der Gerichtssprecher.
Nachlassgericht: „Dem Einzelnen wird viel Geduld abverlangt“
Es sei nachvollziehbar, dass mancher betroffene Bürger sich nicht ausreichend gut behandelt fühle. Das Bedürfnis, dass Anliegen zügig bearbeitet werden, um Rechtssicherheit zu bekommen, sei verständlich. „Dem Einzelnen wird viel an Geduld abverlangt.“
Allerdings komme man nicht umhin, die Dringlichkeit der Anliegen in Relation zu setzen. Wenn man sich die einzelnen Fälle anschaue, werde deutlich, „dass manche Probleme noch wichtiger sind als andere“.
Wegen des Personalmangels, der auch in anderen Bereichen der Gerichte herrsche, sei es nur in sehr eingeschränktem Umfang möglich, Mitarbeiter aus anderen Bereichen zum besonders betroffenen Nachlassgericht Barmbek umzusteuern.
Fachkräftemangel in der Justiz gibt es schon länger
Der Fachkräftemangel sei ein Problem, so Wantzen, „mit dem wir seit längerer Zeit kämpfen und bei dem wir mit unseren Möglichkeiten versuchen, gegenzusteuern. Allerdings ist die Attraktivität eines Arbeitsplatzes ja nicht zuletzt von der Bezahlung abhängig. Wir wünschen uns seit Langem, unsere Leute besser bezahlen zu können, um mehr Mitarbeiter gewinnen und sie langfristig halten zu können.“
Im vorliegenden Fall der 86-jährigen Dame liegen die Akten insgesamt seit etwa sechs Monaten beim Nachlassgericht, allerdings zunächst beim Gericht in Wandsbek, erst seit Januar sei das Nachlassgericht Barmbek damit befasst, sagt Wantzen.
Mitarbeiter arbeiten „mit Hochdruck gegen Rückstände an“
Das sagt auch Dieter Hottendorf, der sich für seine Mutter um die Testamentsvollstreckung kümmert. Als ihr Lebensgefährte das Testament bei Gericht hinterlegte, lebte dieser noch in Berne, zuständig war also Wandsbek. Durch seinen Umzug in ein Altenheim in Wellingsbüttel, wo er schließlich verstarb, wurde es zum Fall für das Nachlassgericht in Barmbek. Dort wurden die Akten hingeschickt.
- Checkliste Todesfall- Was Angehörige nicht vergessen dürfen
- Testamentsvollstrecker entlassen – Fabrik der Künste bleibt
- 86Fehler im Amt- Hamburgerin irrtümlich für tot erklärt
„Jetzt steht der Fall unmittelbar zur Bearbeitung an“, erläutert Gerichtssprecher Wantzen. „Aber es wäre natürlich unser Wunsch, dass das längst über die Bühne ist.“ Ganz aktuell habe sich die Personalsituation beim Nachlassgericht Barmbek etwas entspannt. „Der Nachlassbereich ist inzwischen wieder voll besetzt, und darüber sind wir sehr froh. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten unter Hochdruck gegen die Rückstände an. Allerdings wird es wohl noch etwas dauern, bis das geschafft ist.“
Mitteilung des Hamburger Nachlassgerichts: Testament ist eröffnet
Vollbracht ist es jedenfalls im Fall von Helga Dommel – endlich und etwas überraschend. Nur wenige Tage, nachdem sich ihr Sohn an das Abendblatt gewandt und sich die Redaktion mit dem Fall befasst hat, ist ein hochoffizielles Schreiben bei der Familie angekommen: die Mitteilung des Nachlassgerichts, dass das Testament eröffnet wurde. „Jetzt haben wir endlich Rechtssicherheit“, sagt Dommels Sohn Dieter Hottendorf dem Abendblatt. „Das ist für uns eine große Erleichterung!“