Hamburg. Die Childhood-Stiftung benötigt dringend eine Immobilie in Hamburg, um traumatisierten Mädchen und Jungen zu helfen.
Einmal dem großen Plüschpferd über das Fell streicheln. Oder den riesigen Teddy drücken. Für viele Kinder sind diese Kuscheltiere zugleich Ablenkung und Anker, wenn sie in die Untersuchungsräume kommen, die ähnlich wirken wie in einer Kinderarztpraxis.
Doch die Kleinen haben ihren Arm meist nicht beim Radfahren gebrochen, sondern durch Gewalt. Sie haben keinen Schnupfen, sondern Striemen. Hierhin kommen Kinder, die neben ihren körperlichen Verletzungen auch Narben auf ihrer Seele davongetragen haben. Sie sind Opfer von Misshandlungen, sexuellem Missbrauch und Vernachlässigung geworden.
1000 Untersuchungen im Jahr
Rund 1000 Untersuchungen kleiner Patienten werden hier, im Kinderkompetenzzentrum des Rechtsmedizinischen Instituts am UKE, jährlich vorgenommen. Der Bedarf ist groß, und so stößt man in den Räumlichkeiten an seine Kapazitätsgrenzen. Da passt es gut, dass Hamburg mit seinem Kinderkompetenzzentrum von der Childhood Foundation Deutschland als neuer Standort für ein „Kinderhaus“ ausgewählt wurde.
Die Childhood-Stiftung wurde vor 20 Jahren von der schwedischen Königin Silvia gegründet und setzt sich für die Rechte von Kindern ein, die von Vernachlässigung, Gewalt und sexuellem Missbrauch betroffen oder bedroht sind. „Die belasteten Kinder erhalten dort einen geschützten Raum“, hatte Königin Silvia im September in Heidelberg bei der Eröffnung des zweiten Childhood-Hauses in Deutschland gesagt. Die erste dieser Einrichtungen auf deutschem Boden entstand in Leipzig. Nun könnte Hamburg hinzukommen. Auch in der Hansestadt würde die schwedische Monarchin zur Eröffnung erwartet.
Immobilie fehlt
Die Finanzierung eines solchen Kinderschutzhauses, in dem sich ein Team von Spezialisten um die Opfer von Gewalt kümmert, wäre vermutlich gesichert. Es könnte bereits im kommenden Herbst eröffnet werden. Eigentlich. Es fehlt allerdings die geeignete Immobilie. „Es wäre uns wichtig, ein Kinderschutzhaus ohne Krankenhaus-Atmosphäre zu haben. Wir wollen einen Ort schaffen, an dem sich die Kinder und ihre Angehörigen wohl fühlen“, erklärt Prof. Dragana Seifert, Rechtsmedizinerin und Leiterin des Kinderkompetenzzentrums am UKE. Nicht nur, dass der Platz im Institut knapp wird. „Hier in der Rechtsmedizin ist ja auch das Thema Tod, das über allem schwebt. Da bedeutet es für viele Überwindung, hierher zu kommen.“
Das Childhood-Haus vereint Elemente einer Klinik und eines Gerichts. Unter anderem gibt es Untersuchungs- und Befragungsräume. Ärzte, Richter, Polizisten und Jugendamtmitarbeiter arbeiten dort zusammen. Durch die Bündelung von Medizin, Justiz, Polizei und Sozialstationen an einem Ort soll erreicht werden, dass die jungen Opfer in kindgerechter Umgebung untersucht und befragt werden. „Es geht um Untersuchung, Beratung, psychologische Hilfe sowie Beweissicherung, Spurensicherung, polizeiliche Feststellung“, erklärt Seifert. So werde erreicht, dass im Ermittlungsverfahren das Kind möglichst nur eine einzige Aussage machen muss, die vor Gericht verwertet werden kann.
Es geht um Schicksale wie das von Hannah (Name geändert). Die Fünfjährige hat seit einiger Zeit große Angst, in den Kindergarten zu gehen. Warum, erzählt sie ihren Eltern in ihren Worten: Es gebe dort einen Erzieher, der mit ihr allein in einen Raum geht und sie sexuell missbraucht. Die Eltern erstatten Anzeige. Rechtsmedizinerin Dragana Seifert hat Kinder erlebt, die nach einer ärztlichen Untersuchung gefragt haben, ob sie nicht „für immer bei ihr bleiben können“. Weil die Kleinen bei der Medizinerin vielleicht zum ersten Mal im Leben echte Zuwendung erfahren haben. All das sind Schicksale aus Hamburg.
Konkurrenz zu anderen Städten
Mit der Einrichtung des Kinderschutzhauses in Zusammenarbeit mit der Childhood-Stiftung steht Hamburg in Konkurrenz zu mehreren anderen deutschen Städten. „Der Wettbewerb ist da“, sagt Dr. Axel Heinemann, Leitender Oberarzt am Institut für Rechtsmedizin. Gesucht wird eine Immobilie schon länger. „Wir müssen bis zum 15. Februar 2020 ein fertiges Konzept vorschlagen, um unsere Chancen bei der Stiftung zu wahren.“ Die Stiftung würde den Aufbau unterstützen und beispielsweise alle benötigten technischen Geräte finanzieren. „Wir hoffen, dass den Löwenanteil der Kosten die Behörden für Justiz, Inneres, Gesundheit und Soziales tragen.“
Der Bedarf betrage etwa 150 bis 250 Quadratmeter. „Und es sollten möglichst sieben Räume werden“, sagt Heinemann. Denn es werden zwei Untersuchungszimmer, zwei Wartezimmer, ein Vernehmungsraum und ein Beobachtungsraum und am besten noch ein Spielzimmer gebraucht sowie eine Toilette und eine Teeküche. „Ideal wäre ein frei stehendes Haus, möglichst in der Nähe unseres Instituts, damit die zuständigen Ärzte, die für ihre Arbeit zwischen dem Institut und dem Kinderschutzhaus hin- und herpendeln, kurze Wege haben.“ Vorzugsweise käme deshalb Eppendorf und die Stadtteile in der Umgebung in Betracht. „Wir möchten die Immobilie gern für mehrere Jahre mieten.“ Seifert betont: „Es wird kein Blaulicht geben, keine uniformierten Polizeibeamten — sondern eine Atmosphäre wie bei einer Kinderarztpraxis."