Hamburg. Stellen Sie sich vor, Ihre Wohnung ist mit einem Mal leergeräumt und die Schlösser sind ausgetauscht. Katja B. hat genau das erlebt.
Katja B.* wollte einfach für ein paar Tage wegfahren. Die Unternehmensberaterin lässt am letzten Augusttag ihre Wohnungstür einrasten, der Dauerauftrag für die Miete läuft wie immer, sie trägt eine Reisetasche. Unten vor dem Haus in Winterhude steht der Vater ihres Vermieters. Diesen Moment erinnert Katja B. genau. Wie den Beginn eines schlechten Films.
Zwei Tage später kommt Katja B. zurück. Ihr Schlüssel passt nicht mehr zur Haustür und nicht zu ihrer Wohnung. Auf ihrem Klingelschild steht ein fremder Name. Ihr ganzer Besitz sei weg gewesen, berichtet sie, ihre Möbel, ihre Kleidung, ihr Laptop, selbst ihr Siegelring.
Eine Wohnung bei gültigem Mietvertrag zu räumen, ist eine schwere Straftat. Im Fall von Katja B. kommt die Polizei, nimmt eine Strafanzeige auf, aber unternimmt nichts weiter. Sie ordnet das als Streit zwischen Privatleuten ein.
Nun schläft sie bei Freunden
Der Vermieter sagt, alles sei rechtens verlaufen. Katja B. habe den Schlüssel in den Briefkasten geworfen und die Wohnung selbst geräumt. Sein Anwalt behauptet, es hätten sich nur wenige Gegenstände in der Wohnung befunden, allesamt wertlos. Ein Gericht wird dagegen urteilen, der Vermieter habe „verbotene Eigenmacht“ ausgeübt. Von einem freiwilligen Auszug könne keine Rede sein.
Katja B. fühlt sich verraten und bestohlen. Die 39-Jährige sitzt Anfang November in einem Café und erzählt, wie sie ihr Zuhause verlor. Sieben Jahre wohnte sie in einem der ältesten Häuser des Alsterufers auf 120 Quadratmetern. „Ich saß noch vor wenigen Monaten mit Bekannten auf dem Balkon“, sagt sie. Nun schläft sie bei Freunden, versucht auf die Beine zu kommen. Als das Abendblatt sie kontaktiert, sagt sie, der Schock sitzt tief.
Mieterverein ist empört
Ihr Vermieter Markus A.* ist der Sohn der Eigentümerin. Er hat die Wohnung seit 2009 an Katja B. untervermietet, mit einem sogenannten Kettenmietvertrag. Ob die Befristung in diesem Fall gilt, ist umstritten. Der Vermieter sagt, dass auch der Hauptmietvertrag zum September endete: „Eine Räumung musste nicht angekündigt werden“, sagt der Medienanwalt des Vermieters. Laut dem Gericht wäre die Wegnahme der Sachen aber auch bei endendem Mietvertrag unrechtmäßig.
Markus A. weigert sich bislang, Katja B. die Wohnung oder ihre Sachen auszuhändigen; er sagt nicht einmal, wo sie sich befinden. Katja B. habe außerdem Wasser- und Bodenschäden in Höhe von 18.300 Euro verursacht, wie nun festgestellt worden sei. Deshalb habe der Vermieter nun von einem Pfandrecht Gebrauch gemacht. „Unser Mandant hat rechtmäßig gehandelt“, heißt es. Katja B. weist das zurück. Es habe einen Wasserschaden gegeben – den habe sie ordnungsgemäß im Januar der Versicherung gemeldet, der Vermieter habe dort aber keine Ansprüche geltend gemacht.
Vom Mieterverein heißt es, der Fall sei ein krasses Beispiel dafür, dass sich einzelne Vermieter über das Recht hinwegsetzen. Der Vermieter sieht die Forderungen nach Herausgabe der Sachen und der Wohnung als unbegründet. Katja B. sieht sich deshalb gezwungen, einen mühsamen, langen Kampf zu fechten.
Ein Gericht urteilte eindeutig
Direkt nach ihrer Rückkehr ruft Katja B. den Schlüsseldienst. Sie gelangt bis vor ihre Wohnungstür, dann kommen der Vermieter und sein Vater. Es kommt zu Wortgefechten im Treppenhaus, sodass der Schlüsseldienst abbricht. In die Wohnung lassen die Vermieter die Mieterin nicht. Markus A. und sein Vater stellen eine Anzeige wegen Hausfriedensbruches gegen Katja B.
Am nächsten Tag holt Katja B. erneut die Polizei. Diesmal sichern sie den Mann vom Schlüsseldienst ab, Katja B. gelangt in die Wohnung. Da sind nur noch kahle Wände und wenige Möbel, die dem Vermieter gehören. Da liegt ein roter Koffer mit Damenunterwäsche, der bereits der neuen Mieterin gehören soll. Sonst keine Spur von ihrer Existenz. Auch die Mietverträge und ihren Reisepass habe ihr Vermieter entfernt, gibt sie später an. Die Vermieterseite argumentiert, Katja B. habe unwahre Angaben über den Inhalt der Wohnung gemacht.
Strafanzeige wegen Einbruchdiebstahls
Kurz darauf kommt Katja B. wieder, als sie Licht in ihrer Wohnung sieht, schaltet wieder die Polizei ein. „Mir wurde dann gesagt, ich solle die Polizei nicht mehr anrufen, sie würden nicht mehr kommen.“ Sie hat Strafanzeige wegen Einbruchdiebstahls gestellt, die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Ein Polizeisprecher sagte auf Abendblatt-Anfrage, bei zivilrechtlichen Streitigkeiten agierten die Polizisten vor Ort zurückhaltend. Wegen des Einbruchs werde ermittelt, aber das dauere etwas.
Katja B. schaltet einen Anwalt ein. Der beantragt zwei einstweilige Verfügungen: eine auf Herausgabe der Wohnung und eine weitere auf Herausgabe ihrer Sachen. Ein Gericht stimmt zu. „Schließlich kam der Gerichtsvollzieher, um die Wohnung in Beschlag zu nehmen – aber als er das Klingelschild sah, brach er ab“. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Vollziehers.
Vermieter sieht sich als Opfer
Am 14. Oktober, anderthalb Monate nach der Räumung, fällt das Amtsgericht St. Georg ein Urteil. Es gibt Katja B. recht, ihr steht das gesamte Inventar zu. Bis auf Tassen und Teller, die sie nicht genau genug beschrieben hat. Katja B. könnte nun die Herausgabe ihrer Sachen durchsetzen. Erst muss aber die Urteilsverkündung offiziell zugestellt sein.
Bislang sei das Urteil nicht eingegangen, sagt der Medienanwalt des Vermieters – deshalb könne man inhaltlich nicht weiter dazu Stellung nehmen. Die Mietrechtsanwältin des Vermieters hat ihr Mandat kürzlich niedergelegt, das verzögert das Verfahren. Der Vermieter kann auch gegen das Urteil in Berufung gehen, hat dann einen weiteren Monat Zeit, um diesen Schritt zu begründen.
Die Anwälte von Katja B. haben sich bei Polizei und Staatsanwaltschaft erkundigt, demnach habe der Fall für die Ermittler bislang keine Priorität. Zum Sachstand der Ermittlungen nach zwei Monaten können die Strafverfolger auf Anfrage keine Auskunft geben. Selbst wenn ein Gerichtsvollzieher bei Markus A. klingelt, ist unklar, ob sich Gegenstände der Mieterin dort befinden.
Ihr Aktenordner ist fast voll, mit Dokumenten zum Mietrecht und zum Strafrecht. „Inzwischen ist Winter, ich musste mir alles neu kaufen. Ich finde es unfassbar, dass so etwas mitten in Hamburg passieren kann“ sagt sie. Der Vermieter sieht sich als Opfer von unbegründeten Vorwürfen. Der Mieterverein zu Hamburg forderte die Justiz auf, den Fall schnell zu klären. „Die Rechtslage ist eindeutig. Der Staat muss hier ein deutliches Zeichen setzen“, sagt der Vorsitzende Siegmund Chychla.
*Namen geändert