Eppendorf. Feuerwehr: Bombe hätte “jederzeit hochgehen können“. 6000 Menschen von Evakuierung betroffen. Busunfall sorgte für zusätzliches Chaos.
Peter Bodes muss lange warten, bevor er seinen Job machen und wieder mal sein Leben riskieren darf. Bis alle Wohnhäuser in der Umgebung evakuiert sind und alle Passanten die Gefahrenzone im Herzen von Eppendorf verlassen haben, vergehen Stunden. Der Chef des Kampfmittelräumdienstes der Hamburger Feuerwehr sitzt mit seinem Team in einem roten, auf der Geschwister-Scholl-Straße aufgestellten Container und wartet.
Wer haftet bei einer Explosion? Das sollten Sie wissen
Auf einer Baustelle, nur wenige Meter entfernt, ragt aus dem Boden die Spitze einer 250 Kilogramm schweren britischen Fliegerbombe, die am Donnerstagvormittag von einem Bautrupp entdeckt worden war. Das Tückische: Die Bombe enthält einen Langzeitsäurezünder. Und der hat bereits ausgelöst. „Die Bombe“, sagt Feuerwehrsprecher Martin Schneider, „kann jederzeit hochgehen.“ Hochgefährlich ist der Blindgänger nicht nur, weil er 140 Kilogramm Sprengstoff enthält, sondern auch, weil Splitter aus den übrigen 110 Kilo des Materials unkontrolliert durch die Gegend fliegen und beträchtlichen Schaden anrichten könnten.
Eine Bombe dieses Typs musste Bodes erst Mitte Dezember an der Bernadottestraße entschärfen. Es war eine Zitterpartie: Die Bombe war von einem Bagger bewegt und der Zünder beschädigt worden. Dass Peter Bodes kurz vor der Entschärfung noch seine Frau anrief, werteten Beobachter damals als Zeichen dafür, dass selbst der nach fast 30 Dienstjahren extrem routinierte Sprengmeister Nerven zeigt. Am Donnerstag hingegen ist von Anspannung bei Bodes nichts zu spüren. Die Situation sei anders als vor einem Monat, zumal die an der Geschwister-Scholl-Straße entdeckte Bombe nicht bewegt worden und frei zugänglich sei, sagt er.
Gefährliche Fliegerbombe in Eppendorf gefunden
Per Lautsprecher werden Anwohner gebeten, Fenster und Türen zu schließen
Bomben mit Langzeitzündern wurden im Zweiten Weltkrieg in großer Zahl abgeworfen, um nach den Angriffen die Löscharbeiten zu behindern oder die Bevölkerung zu demoralisieren. Sie detonierten erst Stunden oder Tage später, wenn die Gefahr scheinbar vorüber war. Von den im Hamburger Boden vermuteten 3000 Blindgängern sind, schätzen Experten, rund 400 mit Langzeitzündern ausgerüstet.
Besonders brisant: Auch nach 70 Jahren sind der Sprengstoff und der gespannte Schlagbolzen noch intakt. Der Säurezünder selbst enthält Azeton, das je nach Konzentration eine halbe Stunde bis mehrere Tage braucht, um ein Zelluloidplättchen zu zersetzen, das wiederum den Schlagbolzen zurückhält. Und das Plättchen wird mit der Zeit immer brüchiger. Nur kann am Donnerstag niemand – selbst Bodes nicht – sagen, wie lange es dauert, bis die Bombe explodiert.
Um 14.30 Uhr beginnt die Polizei, alle Wohnungen in einem Umkreis von 300 Metern um den Fundort zu evakuieren, 250 Beamte sind im Einsatz, Streifenwagen mit Blaulicht versperren Straßeneinfahrten. Per Lautsprecher werden Anwohner aufgefordert, Fenster und Türen geschlossen zu halten.
Die Menschen auf der Straße bleiben erstaunlich gelassen. „Ich frage mich, wo ich jetzt laufen kann, nachdem alles gesperrt ist“, sagt eine Joggerin. Nur einige Jugendliche, die mit gezücktem Handy durch die Straßen hasten, wirken ein bisschen aufgeregt.
Wie alle rund 100 Bewohner muss auch Antje Netz, 67, am Nachmittag den Kampe-Altenstift an der Schedestraße verlassen. Ihre Gedanken, sagt sie, gelten nun Peter Bodes und seinem Team. „Der arme Sprengmeister hat einen lebensgefährlichen Job“, sagt Antje Netz und ergänzt mit ernster Miene: „Er kämpft für uns alle.“ Auch Ulrike Barisic muss ihre Wohnung an der Tarpenbekstraße räumen. Weil die 68-Jährige gehbehindert ist, wird sie wie viele andere gebrechliche Menschen per Rettungswagen aus der Gefahrenzone gebracht. Bis zu 6000 Menschen, schätzt die Feuerwehr, sind von der Evakuierung des Gebiets betroffen.
Wer keine alternative Bleibe hat, findet im „Auffangpunkt“ an der Löwenstraße oder auf dem UKE-Gelände Unterschlupf. Der Warnradius, in dem „luftschutzmäßiges Verhalten“ geboten ist, umfasst sogar 500 Meter. Abgesperrt werden auch der Lokstedter Weg und die Tarpenbekstraße – mit der Folge, dass der Verkehr zusammenbricht. Mehrere Buslinien stellen ihren Betrieb ein. Noch während die Evakuierung läuft, beginnt die heiße Phase: Gegen 16.30 Uhr baut ein technischer Zug der Feuerwehr am Fundort Flutlicht auf. Eine Stunde später hat das Team von Bodes das Erdreich um die Bombe herum per Hand zur Seite geschaufelt und die Hochdruckwasserschneideanlage in Position gebracht.
Die Entschärfung selbst beginnt um 19.30 Uhr. Weil auch der Luftraum wegen der Gefahr von Detonationswellen bis in 1000 Meter Höhe gesperrt ist, dürfen keine Flugzeuge mehr am Hamburger Flughafen starten oder landen. 16 Flüge werden gestrichen, bei weiteren kommt es zu Verspätungen.
Am Ende geht es ganz schnell. Um 20.01 Uhr sei die Bombe entschärft worden, sagt Feuerwehrsprecher Martin Schneider. Der Zünder sei herausgefräst und der Detonator gesprengt worden. „Jetzt ist wieder alles sicher.“
Während sich die Staus rund um den Ring 2 auflösen, sorgte ein Verkehrsunfall auf der Hoheluftchaussee für weiteres Chaos. Ein bislang unbekannter Pkw-Fahrer war auf der Hoheluftchaussee plötzlich auf die Sonderfahrbahn der HVV-Busse gefahren. Ein Busfahrer musste daraufhin nach links ausweichen. Dabei riss der Tank des HVV-Busses auf. Der 20-jährige Busfahrer verletzte sich bei dem Unfall leicht. Fahrgäste wurde nicht verletzt.
Die Hoheluftchaussee musste stadteinwärts von 17.45 Uhr bis 21.45 Uhr gesperrt werden. Da ein extra Kran zur Bergung des Busses benötigt wurde, musste die Straße ab 21.45 Uhr sogar in beide Richtungen gesperrt werden.
Die Unfallstelle war erst in der vergangenen Nacht gegen 0.30 Uhr wieder freigegeben worden. Laut Polizei werde nun der Pkw-Fahrer gesucht.