Hamburg. 2017 wird die frühere Oberpostdirektion am Überseering abgerissen. Dort soll dann ein Turm mit Büros und 500 Wohnungen entstehen.
Die Idee hatte 1958 der damalige Oberbaudirektor Werner Hebebrand von einem New-York-Besuch mitgebracht: Und schon ein Jahr später starteten in Hamburg die ersten Planungen für die City Nord, einer reinen Bürostadt weit außerhalb der eigentlichen Innenstadt. Riesige Büropaläste zwischen großzügigen Grünflächen – das prägt dieses Areal immer noch. Hier präsentierten sich die Zentralen großer Konzerne wie BP oder Shell. Wer an die City Nord denkt, hat bis heute das Bild von Büroblöcken vor dem geistigen Auge. Ein Stadtteil, der nur fürs Arbeiten in unzähligen Bürowaben konzipiert scheint und abends zur Geisterstadt mutiert. „Brutalistische 70er-Jahre-Funktionsarchitektur“ hieß es schon einmal. Entsprechend schlecht war in späteren Jahren das Image. Seit einiger Zeit schon aber erlebt die City Nord eine Art Wiedergeburt, Gebäude wurden wieder saniert.
Doch ein echter Zeitenwandel, der komplett mit der eigentlichen Konzeption bricht, steht nun bevor: Mit der Oberpostdirektion am Überseering wird Anfang nächsten Jahres einer der großen, prägnanten Blöcke abgerissen und ersetzt. Und das nicht durch einen neuen Büroriegel, sondern durch einen Neubau, der zum größten Teil Wohnungen enthält. Immerhin 500 Einheiten sind dort geplant. „Erstes Wohnungsbauprojekt in der City Nord“, schrieben am gestrigen Donnerstag die Investoren stolz in einer Pressemitteilung.
Und der Hamburger Stadtforscher Dieter Läpple spricht von einem möglichen „Einstieg“ in eine tief greifende Veränderung. Für die Stadt wäre es ein Gewinn, wenn sich dieses „monofunktionale Quartier“ jetzt in einen gemischten Stadtteil wandeln könnte, sagt Läpple. Auch Hamburgs heutiger Oberbaudirektor Jörn Walter setzt auf positive Effekte durch den Einstieg in den Wohnungsbau an dieser Stelle: „Wir begrüßen das sehr. Der Wohnungsbau ist eine gute Entwicklung für die City Nord, die hier an die bestehende Nachbarschaft anknüpfen und positiv zur Quartiersentwicklung beitragen kann.“
Was wohl eher vorsichtig formuliert ist: Tatsächlich stellt ein so großes Wohnungsbauprojekt die ursprüngliche Idee der City Nord wohl ziemlich auf den Kopf. Im Grunde stehen der Abriss und Neubau eines völlig anders genutzten Gebäudes daher auch für einen Zeitenwandel generell in der Stadtplanung. Die Planer der City Nord orientierten sich noch stark an der „Charta von Athen“, die der Architekt Le Corbusier bereits in den 1930er-Jahren formuliert hatte.
Das Leitbild einer solchen Planung, die immer noch tief im deutschen Baugesetzbuch verankert ist, orientiert sich an einer Aufteilung der Funktionen: Arbeiten und Wohnen sind dabei strikt voneinander getrennt. Zu verstehen ist ein solcher Gedanke, wenn man sich die engen Verhältnisse der damaligen Städte vor Augen führt. Lärm und Schmutz wollten die Architekten einer neuen Zeit von den Wohngebieten fernhalten. „Licht und Luft“ sollten auch die kleinen Leute in ärmeren Stadtteilen bekommen dürfen. Doch dieses Dogma erwies sich später oft als Fluch. Zum einen produzierte die Trennung der Funktionen die großen Pendlerströme unserer Zeit. Und reine Arbeitsstadtteile wie die City Nord waren zwar irgendwie luftig angelegt – aber im Sinne eines urbanen Lebens auch tot.
Das könnte sich nun in der City Nord ändern: Mit dem Quartier 21 entstand ganz in der Nähe bereits mit 600 Wohnungen ein neues Wohnquartier. Nicht weit weg liegt auch das Pergolenviertel, wo in diesem Jahr etwa 1400 Wohnungen gebaut werden sollen. Und später dann jetzt eben auch mittendrin in der City Nord.
Begünstigt wird diese Entwicklung im Herzen der Bürostadt wohl durch den Umstand, dass die 1974 bis 1977 gebaute Oberpostdirektion schon länger als Problem-Immobilie gilt, weil der Brandschutz nicht mehr modernen Anforderungen entspricht. Abrisspläne für das Gebäude, in dem einst fast 1500 Postler arbeiteten und das wegen seiner Form auch immer wieder als „Post-Pyramide“ bezeichnet wird, gibt es schon länger.
Bereits 2005 kaufte ein Investor das Haus, das zuletzt komplett leer stand. Jetzt übernahmen drei Unternehmen das Areal: Als Joint Venture wollen das Hamburger Bauunternehmen Otto Wulff, der Projektentwickler Team Hamburg sowie die Berliner Christmann Gruppe einer Pressemitteilung zufolge etwa 200 Millionen Euro in das Projekt investieren.
Nach dem für Anfang 2017 geplanten Abriss soll dort ein Gebäude mit einer Bruttogeschossfläche von 66.000 Quadratmetern gebaut werden. 48.000 Quadratmeter sind dabei für den Bau der rund 500 Wohnungen vorgesehen, die restliche Fläche wird voraussichtlich wieder Büroraum.
Grundlage der Planung ist ein städtebaulicher Wettbewerb, den das Hamburger Büro KBNK Architekten im Sommer gewonnen hatte. Der zuständige Bezirk Nord arbeitet unterdessen für die notwendige Planrechtsänderung an einem neuen Bebauungsplan, der speziell auf das Vorhaben zugeschnitten sein soll.
Im Bezirk steht man dem Vorhaben ebenfalls positiv gegenüber: „Ich bin froh, dass hier eine Altlast durch etwas Neues und Modernes ersetzt wird“, sagt Bezirksamtsleiter Harald Rösler. Das Gebäude vermittele einen äußerst schlechten Eindruck der City Nord. Zudem sei die Technik veraltetet, Sicherheitsstandards würden nicht erfüllt, und es wäre asbestbelastet. „Nicht ohne Grund haben wir die Nutzung des Gebäudes untersagt“, so Rösler.
Auch die Interessengemeinschaft GIG (Mieter und Eigentümer) der City Nord begrüßt das Vorhaben. „Dass auf dem Areal der Postpyramide Wohnen entsteht, bringt den gesamten Standort nach vorne“, sagt Sprecherin Sylvia Soggia. Dieser Satz mag sich nach viel Optimismus anhören, tatsächlich bringt dieses Jahr für die City Nord aber noch an anderen Stellen Projekte, die einen Wandel der reinen Bürostadt hin zu einem gemischten Quartier begleiten.
Ein Hotel mit 18 Stockwerken wird das höchste Gebäude im Quartier
Und es ist auch nicht der erste Abriss, der jetzt ansteht: Bereits Ende 2014 wurde an der Ecke Überseering/Jahnring das alte BP-Gebäude abgerissen. Derzeit entsteht dort neben der neuen Telekom-Zentrale ein Viersternehotel der Kette Holiday Inn. Mit 18 Stockwerken und einer Höhe von 60 Metern wird es das höchste Gebäude der City Nord werden. Die Fertigstellung der beiden Gebäude ist für Ende 2016 geplant.
Temporäres Wohnen soll es künftig auch am Kapstadtring 1 geben. Das Gebäude dort wurde im Juni 1966 von dem Schüttgutspezialisten Claudius Peters bezogen – als erstes in der City Nord. Nachdem das Unternehmen 1988 auszog, war der Standort bis 2012 Sitz von Land- und Sozialgericht. Seit 2012 steht das denkmalgeschützte Gebäude leer. Jetzt soll es saniert und zu einem Boardinghouse umgebaut werden. „Seit den Anfängen hatten wir hier noch nie so viele Baumaßnahmen gleichzeitig“, sagt Sylvia Soggia.
Man könnte also sagen, die City Nord wird derzeit neu entdeckt. Eben auch zum Wohnen.