Hamburg. Bisher mehr als 1700 Polizeieinsätze im laufenden Jahr. Hundertschaft sichert Verlegung von 32 Flüchtlingen in Langenhorn.
Die Gewalt in Hamburger Flüchtlingsheimen reißt nicht ab. Nach den schweren Ausschreitungen in der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung (ZEA) am Grellkamp wurden am Montag aus Sicherheitsgründen 32 der insgesamt etwa 600 Bewohner der Unterkunft in andere Flüchtlingsheime verlegt, am heutigen Dienstag sollen weitere 20 folgen. Mit einer ganzen Hundertschaft sicherte die Polizei die Verlegung. Das Ziel: neue Ausschreitungen verhindern.
Die Massenschlägerei mit mehreren Verletzten war nicht die erste schwere Auseinandersetzung in einem Hamburger Flüchtlingsheim – aber es war die bisher schlimmste. Gewalttaten, wenn auch meist weniger gravierende, sind in den Unterkünften inzwischen an der Tagesordnung, wie aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Dennis Gladiator hervorgeht.
Allein im November sind 23 Schlägereien in den Erstaufnahmeeinrichtungen aktenkundig geworden, hinzu kommen 42 Körperverletzungen und eine Sexualtat – insgesamt 66 Gewaltdelikte. Die Polizei rückte demnach im November 342-mal in die 32 ZEAS der Stadt aus (Oktober: 360). Bisher summiert sich die Zahl der Einsätze auf mehr als 1700 im laufenden Jahr. Häufig werden Beamte allerdings wegen Diebstahlsdelikten, Hausfriedensbruch, Feueralarm und Sachbeschädigung gerufen.
Massenschlägerei in Flüchtlingsunterkunft im Grellkamp
In den Erstaufnahmeeinrichtungen kracht es laut der Senatsantwort besonders häufig – allein neunmal wurde die Polizei im November in die ZEA an der Kurt.-A.-Körber-Chaussee in Bergedorf gerufen, weil es zu Ausschreitungen unter den Bewohnern gekommen war oder Streitigkeiten zu eskalieren drohten. Achtmal schritten Beamte in der ZEA Harburger Poststraße ein. Und wegen Schlägereien und Körperverletzungen rückte die Polizei sechsmal zur größten Hamburger Erstaufnahmeeinrichtung an der Schnackenburgallee aus. Überraschend: Obgleich mit 450 Plätzen im Vergleich eher eine kleine Unterkunft, hat die Polizei in der ZEA an der Kieler Straße sechs Gewalttaten mit mehreren Beteiligten aufgenommen.
Meist entzünden sich die Streitigkeiten an Banalitäten wie der Bad- oder der Toilettenbenutzung, hinzu kommt, dass Aggressionen durch die häufig schlechte Unterbringungssituation und die drangvolle Enge schneller in Ausschreitungen münden.
„Die Wartezeit macht die Menschen reizbar. Sie haben in ihrer Heimat alles aufgegeben, hier aber noch lange nichts erreicht“, sagt Susanne Schwendtke, Sprecherin von „Fördern & Wohnen“. Fast immer folgten die Streitigkeiten einem bestimmten Muster: „Meistens streiten sich zunächst zwei Bewohner aus unterschiedlichen Herkunftsländern, die ohnehin angespannte Lage in den Unterkünften sorgt dafür, dass sich dann schnell die jeweiligen Landsleute solidarisieren.“ Auch der Auseinandersetzung am Grellkamp ging eine Nichtigkeit voraus: „Es ging um eine Drängelei in der Warteschleife der Kantine“, so Schwendtke. Eigentlich handele es sich aber um eine „sehr ruhige Einrichtung“, gleichwohl sei der Vorfall sehr gravierend.
Wie berichtet war die Situation am Grellkamp völlig außer Kontrolle geraten, nachdem am Sonnabend ein Eritreer, 24, nach einem Angriff auf zwei Wachleute in eine andere Unterkunft verlegt werden sollte. Dutzende Landsleute stellten sich dagegen und griffen auch das Sicherheitspersonal an – das wiederum von mehreren Syrern unterstützt wurde. Die Polizei, mit mehr als 20 Streifenwagen im Einsatz, brachte die Situation zunächst unter Kontrolle.
Der zweite Akt des brutalen Schauspiels folgte am Sonntag um 19 Uhr: 60 bis 80 Bewohner, vorwiegend aus Syrien und Eritrea, gingen mit Steinen, Holzlatten und Stöcken aufeinander los. Zunächst griffen Wachleute ein. Als diese auch attackiert wurden, flüchteten sie in ihr Büro und verbarrikadierten sich. Nach Abendblatt-Informationen durften andere Wachleute, die zum Spätdienst gekommen waren, auf Anweisung der Polizei das Gelände nicht betreten, es herrsche „Lebensgefahr“. Fünf Wachleute und drei Bewohner wurden verletzt, ein Wachmann erlitt einen Armbruch. Von den zwölf ermittelten tatverdächtigen Bewohnern der Unterkunft sind laut Polizei zehn vorläufig festgenommen worden.
Der personelle Aufwand für die Polizei durch die Einsätze in den Flüchtlingsheimen ist nach wie vor immens. So waren am 27. November 24 Streifenwagen zum Bargkoppelstieg beordert worden, nachdem ein Streit eskaliert war. 27 Streifenwagen waren am 25. November wegen einer Schlägerei im ehemaligen Baumarkt am Rugenbarg im Einsatz, 33 am 3. November in der ZEA Neuland II bei einer Massenschlägerei unter rund 40 syrischen Flüchtlingen. Fast 40 Streifenwagen waren jetzt am Grellkamp eingesetzt.
Vor diesem Hintergrund fordern CDU und Hamburger Polizeigewerkschaften eine personelle Aufstockung. „Die ohnehin sehr angespannte Personallage bei der Polizei wird durch die dauernden Einsätze an den Flüchtlingsheimen zusätzlich verschärft“, sagt Horst Niens von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Weil unsere Beamten in Einsätzen an den Flüchtlingsheimen gebunden sind, verlängern sich für den Bürger so Wartezeiten bei anderen polizeilichen Einsätzen.“
Dennoch will die Polizei an ihrem mobilen Einsatzkonzept festhalten, mit dem Streifenwagen im Notfall schnell anzurücken. „Der Vorfall am Grellkamp war außergewöhnlich“, sagt ein Sprecher. „Eine ständige Präsenz in den 35 Unterkünften ist dadurch nicht gerechtfertigt.“ Gegenüber dem Abendblatt hatte Innensenator Michael Neumann (SPD) die Einrichtung von festen Polizeistationen abgelehnt. Das gebe „die Lage nicht her“.