Dulsberg. Am Alten Teichweg legen sich Hamburgs Nachwuchsathleten für Abitur und Olympia ins Zeug. System soll sich bald sichtbar auszahlen.
Am Montagabend hieß es für die zwölfte Klasse der Eliteschule des Sports Nachsitzen. Hamburgs Ruderlegende Peter-Michael Kolbe, 62, war ihrer Einladung in die Aula der Stadtteilschule Alter Teichweg gefolgt und erzählte aus seinem bewegten Leben. Die Fragen an ihn hatten die Schüler selbst erarbeitet, unterstützt von Fernsehmoderator Johannes B. Kerner.
Eine Karriere wie Kolbes, mit fünf Weltmeistertiteln und drei olympischen Silbermedaillen im Einer: Das ist der Stoff, aus dem die Träume von Lasse Palm sind. Der 17-Jährige vom Hamburger und Germania Ruder-Club ist einer von insgesamt 230 Eliteschülern aus elf Disziplinen, die in Dulsberg zusammenbringen, was sonst kaum zusammengeht: intensives Training und Unterrichtsalltag. „An meiner alten Schule hat das gar nicht funktioniert“, sagt Lasse Palm, „da wurde auf den Sport wenig Rücksicht genommen.“
An seiner neuen Schule ist er kein Außenseiter, sondern einer unter Gleichgesinnten. Pro Jahrgang sind am Alten Teichweg ein bis zwei Sportklassen eingerichtet, der Stundenplan ist auf die Bedürfnisse der Nachwuchsathleten zugeschnitten. An bis zu vier Wochentagen ist in der ersten und zweiten Stunde Training vorgesehen, die Gestaltung erfolgt durch Lizenztrainer in enger Abstimmung mit den jeweiligen Verbänden. Die Wege sind kurz, zum Olympiastützpunkt Hamburg/Schleswig-Holstein sind es nur wenige Schritte. Wer von außerhalb kommt, kann im benachbarten Internat wohnen.
Etwa ein Drittel aller Talente gehen dem deutschen Sport im Alter zwischen 16 und 18 Jahren verloren. Mit seinem Eliteschulkonzept will der Deutsche Olympische Sportbund gegensteuern und die duale Karriere erleichtern. Die damalige Gesamtschule Alter Teichweg erhielt im Dezember 2006 das Prädikat Eliteschule verliehen, als eine von heute bundesweit 43.
Zehn Jahre später soll sich das System sichtbar auszahlen. „Wir hoffen, dass wir 2016 erstmals einen Olympioniken entsenden können“, sagt Sportklassenkoordinator Christian Andresen. Die Hoffnung ruht vor allem auf Jacob Heidtmann, 21, vom Swim-Team Elmshorn, der im Sommer seinen Abschluss am Alten Teichweg gemacht hat. Bei der WM im August schwamm er in deutscher Rekordzeit über 400 Meter Lagen auf den fünften Platz.
Auch Maxine Wolters kann es nach Rio schaffen. Die 16-Jährige von der SG Bille fehlte beim Fototermin mit dem Abendblatt. Überhaupt ist die Klasse nur selten vollzählig anwesend. 15 Wochen im Schuljahr sind allein die Schwimmer für ihren Sport in Deutschland und der Welt unterwegs. Der Schulstoff geht ihnen dennoch nicht verloren. Auf SchulCommSy, einer virtuellen Lernplattform, werden die wichtigsten Inhalte hinterlegt. Auch Klausuren können fernab der Heimat geschrieben werden, die Trainer übernehmen dann die Aufsicht. Zudem wird der Unterricht von den Klassenkameraden protokolliert, was wiederum als mündlicher Beitrag in die Benotung einfließt. Bei längeren Trainingslagern reist schon mal ein Lehrer mit und hält den Unterricht vor Ort ab.
Die schulischen Leistungen leiden statistisch nicht unter der Doppelbelastung. Wenn doch, wird statt Training Nachführunterricht angesetzt. Aber das sei die Ausnahme, versichert Manfred Schäffer, Lehrer und Öffentlichkeitsbeauftragter am Alten Teichweg: „Die Sportler sind sehr gut organisiert und heben sich auch in der Schule durch ihre Leistungsbereitschaft ab.“
Die Studienstufe soll auf drei Jahre gestreckt werden
20 Trainer und fast ebenso viele Lehrer sind in das Eliteschulsystem eingebunden. Verständnis für die Bedürfnisse der jungen Sportler darf beim Kollegium vorausgesetzt werden. Das Personal wird entsprechend ausgesucht. So gehört der frühere Spitzenruderer Ole Rückbrodt zum Lehrkörper, die Beachvolleyballerin Jana Köhler absolviert derzeit ein Referendariat.
Bei aller Optimierung aber gerät auch das Ganztagssystem am Alten Teichweg an Grenzen. „Leistungssportler benötigen acht Stunden Schlaf. Das ist mit dem Schul- und Trainingsalltag selbst bei uns kaum zu vereinbaren“, sagt Andresen. Die Sportschüler stehen um 5 Uhr auf, um morgens vor dem Unterricht die erste Trainingseinheit zu schaffen. Wenn für die anderen um 16 Uhr die Freizeit beginnt, geht es für sie wieder zum Training. Und nach dem Abendbrot warten die Hausaufgaben. „Das ist schon hart“, sagt Handballer Niklas Böhm, 17, vom AMTV.
Deshalb hat die Schule beantragt, die sogenannte Studienstufe der Klassen zwölf und 13 von zwei auf drei Jahre strecken zu dürfen. Trotz der Sonderbehandlung legt Andresen aber Wert darauf, „dass wir keine Athleten im Reagenzglas züchten. Der Leistungssport findet hier mitten im Leben statt.“ Deshalb würden die Eliteschüler auch in den anderen Klassen akzeptiert. „Früher waren wir die doofen Sportler“, erinnert sich Volleyballerin Merle Dickau, 17, „inzwischen gibt es keine Vorurteile mehr.“ Zur Verständigung trugen auch die Dulsberg-Spiele bei: ein großes Schulsportfest, das die Eliteschüler selbst organisiert haben.
2024 wollen sie dann die Hauptdarsteller sein, wenn Hamburg den Zuschlag für Olympia bekommen sollte. „Das wäre die Erfüllung eines Kindheitstraums“, sagt Schwimmerin Leona Redmann, 17. Lasse Palm wäre dann im besten Ruderalter. Wenn er an 2024 denkt, dann fällt ihm zuerst „Erfolg“ ein. Wie man den hat, konnte er gestern bei Peter-Michael Kolbe erfragen.