Hamburg . UKE-Wissenschaftler wollen unbekannte Risikofaktoren für Volkskrankheiten herausfinden. 45.000 Hamburger sollen teilnehmen.
In einer riesigen Studie wollen UKE-Wissenschaftler bei 45.000 Hamburgern nicht nur Krankheiten von Herz und Gehirn genauer unter die Lupe nehmen, sondern auch noch andere weit verbreitete Krankheiten. Die Teilnehmer der sogenannten Hamburg City Health Studie (HCHS), werden auch auf Anzeichen von Diabetes, Haut- und Prostatakrebs, Gefäßerkrankungen (Thrombose, das Aortenaneurysma und arterielle Durchblutungsstörungen in den Beinen), Lungenerkrankungen und einer Depression getestet. Außerdem werden die Probanden auf ihre Mundgesundheit untersucht und darauf, wie gut sie das Altern bewältigen.
„Wir freuen uns, dass es dem UKE gelungen ist, die HCHS durch eine einzigartige Zusammenarbeit der Kliniken und Institute ins Leben zu rufen. Mit der HCHS werden wir den Wissenschaftsstandort Hamburg und vor allem die Gesundheit der Hamburgerinnen und Hamburger nachhaltig stärken“, sagt Prof. Uwe Koch-Gromus, Dekan der Medizinischen Fakultät am UKE und Gründungsvorstandsmitglied der HCHS.
„Das große Ziel dieser Studie ist, dass wir durch Bildgebung mit dem Ultraschall und der Kernspintomografie, durch Blutuntersuchungen und detaillierte Befragung diejenigen Personen herausfiltern, die bestimmte Volkskrankheiten mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit erleiden werden“, sagt Studienleiter Prof. Stefan Blankenberg, Direktor der Klinik für Allgemeine und interventionelle Kardiologie.
Risikopatienten identifizieren, die bisher durchs Raster fallen
Darauf aufbauend könnte man diese Personen auch schon frühzeitig therapieren. Zum Beispiel fällt das Vorhofflimmern, eine Rhythmusstörung in den Herzvorhöfen, bei der das Herz viel zu schnell und unregelmäßig schlägt, häufig erst dadurch auf, dass der Betroffene einen schweren Schlaganfall erleidet. „Und wenn wir jetzt die Personen identifiziert haben, die zu 80 Prozent ein Vorhofflimmern entwickeln werden, muss man sich überlegen, ob man ihnen Blutverdünner in einer niedrigen Dosis verordnet“, erläutert Blankenberg. „Damit könnten wir mit einem geringen Blutungsrisiko und einem geringen finanziellen Aufwand einen großen Schaden für diese Personen verhindern.“
Es gehe darum, viel besser herausfinden, wer auf welche Krankheit zusteuere, sagt Blankenberg.
Denn um die Wahrscheinlichkeit einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu bestimmen, reiche die Erhebung der schon lange bekannten Risikofaktoren Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht, erhöhte Fettwerte im Blut und Diabetes nicht aus. „Diese Risikofaktoren sind nur ein kleiner Teil. Mit den neuen Kernspinuntersuchungen und molekularbiologischen Untersuchungen sind wir in einer völlig neuen Ära der Risikoberechnungen“, sagt Blankenberg.
„Wir wollen die Risikopatienten identifizieren, die momentan
noch durch das Raster fallen“, sagt Dr. Annika Jagodzinski, Leiterin des Studienzentrums. „Auch wenn wir die klassischen Risikofaktoren berechnen, können wir trotzdem noch nicht allen Leuten sagen, warum sie einen Herzinfarkt bekommen. Und das sind die, die für uns interessant sind. Wir müssen Faktoren herausfinden, die wir bisher übersehen, und damit beschäftigt sich die Studie“, sagt Jagodzinski.
In ein bis zwei Jahren sollen die ersten Ergebnisse vorliegen
Auf sie und die rund 60 Mitarbeiter der Studie kommt jetzt eine Menge Arbeit zu. Denn um auf die anvisierten 45.000 Studienteilnehmer zu kommen, müssen mindestens dreimal so viele vom UKE angeschrieben und eingeladen werden. Auch diejenigen, die nicht teilnehmen wollen, werden in einem Interview zu ihren Gründen befragt.
Für die Teilnahme müssen nur wenige Kriterien erfüllt sein. Die Probanden müssen zwischen 45 und 75 Jahre alt sein und die deutsche Sprache soweit beherrschen, dass sie ohne Mühe an den Befragungen teilnehmen können. „Denn wir können keine Kosten für Dolmetscher übernehmen, das würde den finanziellen Rahmen der Studie überschreiten“, sagt Blankenberg. „Gern kann auch ein Freund oder Verwandter mitkommen und übersetzen, damit alle Untersuchungen durchgeführt werdenkönnen.“.
Wer in die Studie aufgenommen wird, durchläuft im Studienzentrum ein sechsstündiges Untersuchungsprogramm. Die Probanden gehen dabei alle 25 Minuten von Raum zu Raum. Dort erwartet sie eine Mitarbeiterin, die die Teilnehmer nach Protokoll untersucht. Auf dem Programm stehen Aufklärung, Messung der Lungenfunktion, Blutentnahme, Herzfrequenzmessung, Blutdruckmessung im Sitzen und im Liegen, Medikamentenvorgeschichte, Ausfüllen von Fragebögen am Computer, Zahn- und Mundgesundheitsuntersuchung, Handgreifkraftmessung, Ultraschall vom Herzen, von der Halsschlagader, der Bauchschlagader sowie Arterien und Venen in den Beinen, 50 Minuten Konzentrations- und Gedächtnistests, ein EKG, eine Funktionsmessung der Blutgefäße sowie die Erhebung von Körpergröße und Gewicht.
Am Ende erhalten die Teilnehmer einen automatisierten Bericht für ihren Hausarzt und teilweise auch noch kleine Geräte, die sie zu Hause über Nacht tragen. „Die in der ersten Phase dieser Untersuchung identifizierten Hochrisikogruppen für Herz- und Hirnerkrankungen werden zu einer zweiten Untersuchung ins MRT eingeladen“, sagt Blankenberg. „Außerdem erhalten sie vorübergehende Untersuchungen wie ein Langzeit-EKG, oder Schlafapnoe-Messgeräte mit nach Hause, die sie dann zu diesem zweiten Termin mitbringen.“
Danach beginnen die Nachbeobachtungen, erläutert Jagodzinski. „In regelmäßigen Abständen werden die Patienten befragt, wie es ihnen geht. Die Teilnehmer sollen sich bei uns melden, wenn sie ins Krankenhaus kommen, wenn sie eine Herzerkrankung oder einen Schlaganfall bekommen oder an Krebs erkranken, damit wir das in die Daten mitaufnehmen und nachverfolgen können. Nach sechs Jahren wird die Basisuntersuchung wiederholt“, sagt Jagodzinski.
Die vier Bereiche der Untersuchungen
Im Vorfeld dieser großen Studie beginnt jetzt eine kleinere sogenannte Pilotstudie, in der das gleiche Untersuchungsprogramm läuft und die ungefähr drei Monate dauert. Für diese Studie werden noch freiwillige Teilnehmer gesucht.
Mit den ersten Ergebnissen der großen Studie rechnen die Experten in ein bis zwei Jahren. Der finanzielle Aufwand für die Studie liegt bei 5,5 Millionen Euro pro Jahr. Diese Kosten werden aus unterschiedlichen Quellen gedeckt. „Jedes der 30 teilnehmenden UKE-Institute hat ein bestimmtes Budget und sich bereit erklärt, einen Teil davon für die Studie zur Verfügung zu stellen. Außerdem wird die Studie von Kooperationspartnern aus der Wirtschaft sowie durch akademische Organisationen und Stiftungen finanziell unterstützt“, sagt Blankenberg.
Nicht zu verwechseln ist die Hamburg City Health Studie mit der Nationalen Kohortenstudie, die kürzlich begonnen hat und an der 10.000 Hamburger teilnehmen. „Die Kohortenstudie untersucht 200.000 Menschen in Deutschland in der Breite und wir untersuchen 45.000 in der Tiefe. Beide Studien haben den Schwerpunkt Volkserkrankungen, aber in unserer Studie schauen wir bei den Hamburgern noch genauer nach. Die Laufzeit der Kohortenstudie ist auf 20 Jahre begrenzt und schließt Teilnehmer zwischen 20 und 70 Jahren ein“, sagt Jagodzinski.
Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) sagte, sie verspreche sich von der Studie „Hinweise darauf, wie wir in Hamburg für gesündere Lebensbedingungen sorgen können“. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) sagte, nur mit belastbaren Erkenntnissen könne die Gesundheitsversorgung weiter entwickelt werden. Sie bitte diejenigen, die vom UKE angeschrieben werden, sich an der Studie zu beteiligen.
Wer an der Pilotstudie teilnehmen möchte, wird gebeten, sich an das UKE zu wenden, unter der kostenfreien Telefonnr. 0800-724 16 94 oder per E-Mail: HCHS@uke.de