In Eppendorf und Alsterdorf haben Bauunternehmer den Grundwasserspiegel über lange Zeit abgesenkt, um Baugruben trocken zu halten. Dadurch sollen Schäden entstanden sein. Anwohner erheben Vorwürfe gegen Behörde.
Hamburg. Edeltraud Neß aus Alsterdorf versteht die Welt nicht mehr. Ihr Grundstück sieht aus wie nach einem Erdbeben, der Garten ist zu einer Seite abgesunken. Auch der Swimmingpool ist schief, er ist ebenfalls einseitig abgesackt, in der Mauer klafft ein breiter Riss.
Kein Einzelfall. Edith Aufdembrinke von der Bürgerinitiative „Wir sind Eppendorf“ und Karin Haas von der Bezirksfraktion Die Linke haben monatelang recherchiert und viele nicht öffentliche Akten eingesehen. Das Resultat: Beide sehen das gesamte Areal zwischen Hochzeitskirche und Eppendorfer Marktplatz als gefährdet an. Ursache ist ihrer Meinung nach ein Neubau mit 37 Wohnungen, Supermarkt und Tiefgarage, der an der Eppendorfer Landstraße 108–110 entstanden ist. Während der Bauphase wurde über einen Zeitraum von neun Monaten eine halbe Million Kubikmeter Grundwasser in die Alster gepumpt.
Genehmigt waren nur drei Monate – doch als die Pumpen nach Ablauf dieser Frist das erste Mal abgestellt wurden, lief die Baugrube voll. „Offenbar hatten sich die verantwortlichen Ingenieure bei den Berechnungen geirrt“, sagt Haas. „Spätestens da hätte die Behörde einen Baustopp verhängen oder verlangen müssen, dass der Investor Spundwände einzieht, um die Baugrube trocken zu halten. Doch sie verlängerte einfach die Genehmigung.“
Der massive Eingriff in den Grundwasserspiegel soll bereits zu Schäden an Gebäuden geführt haben. Eines davon ist die Trattoria Campo an der Ludolfstraße. „Es hat mehrfach Erschütterungen gegeben, dann sind Risse in der Fassade aufgetaucht“, sagt Betreiber Franco Cristofaro. Außerdem traten rund um den Eppendorfer Markt Rohrbrüche auf, durch Unterspülungen sanken Gehwegplatten ab – etwa vor der Haspa. „Es ist eine Zeitbombe, die hier tickt“, sagt Aufdembrinke. „Durch grob-fahrlässige Nachlässigkeit bei der Vergabe und Kontrolle von Baugenehmigungen könnte ein ganzes Viertel in sich zusammenbrechen.“
Bei einem Eingriff in den Grundwasserspiegel wirken gewaltige Kräfte. Sie verändern die Bodenbeschaffenheit und können dazu führen, dass Gebäude absacken. „Gerade in den alsternahen Ballungsgebieten Hamburgs sind Schäden durch Grundwasserbeseitigung bei Baumaßnahmen ein großes Problem“, sagt Peter Jens Wagner, Gutachter für Bauschäden. Besonders bei historischen Nachbargebäuden muss man davon ausgehen, dass noch Schäden auftreten werden. Sie haben meist harmlose Setzrisse, die bei einer Baugrundveränderung aufbrechen können. Bis zum Auftreten dieser Sekundärschäden kann es jedoch Jahre dauern. „Baugrund ist träge. Die Verursachung kann später kaum ermittelt werden“, sagt der Bauingenieur. „Mich wundert es daher, wie wenig in Hamburg kontrolliert wird.“ Die Schuld daran gibt er der personellen Ausdünnung in den zuständigen Behörden; deren Mitarbeiter seien oft mehr Verwaltungs- als Fachkräfte.
Zudem dauert die Prüfung einer Baugenehmigung seit 2006 nur noch drei statt sechs Monate. Die Folge: Die Stadt überlässt es den Bauherren, die erforderlichen Angaben zu machen. In einem Merkblatt zum Umgang mit Baugrubenwasser heißt es: „Im Antrag sind neben Angaben zu den erwarteten Fördermengen ... auch Angaben ... zu Bodenaufbau und Grundwasserständen erforderlich.“ In Bereichen mit Bodenschichten, die auf Grundwasserentzug empfindlich reagieren, müssen außerdem Angaben zur Nachbarbebauung gemacht werden.
„Ich wundere mich, was heutzutage so alles genehmigt wird“, sagt auch Bauunternehmer Jonny Kahl. Er selber habe bei der Erweiterung seines Hauses auf der Brabandinsel in Alsterdorf strenge Auflagen erhalten. „Der Charakter des Einfamilienhaus-Wohngebiets durfte auf keinen Fall verändert werden“, so der 80-Jährige. Für die TOP-Bauträger GmbH gilt das nicht. Sie baut auf einem Kanalgrundstück, auf dem früher das Haus von Schauspielerin Witta Pohl sowie drei weitere kleine Gebäude standen, vier Stadthäuser mit insgesamt acht Wohnungen. Dafür wurden 100.000 Kubikmeter Grundwasser abgepumpt. Die Folge: Das Grundstück von Kahls Nachbarin Edeltraud Neß ist abgesunken; wie sehr, sieht man an der waagerechten Wasseroberfläche des Gartenpools, der nun völlig schief ist.
„Die Pumpen liefen Tag und Nacht“, klagt Neß. Nachdem am Pool und im Haus tiefe Risse auftauchten, beauftragte sie Anwalt und Gutachter. Der Gutachter sah die Risse als alt an – machte sie aber nicht darauf aufmerksam, das Setzrisse bei Grundwasserabsenkung aufreißen können. Eine vom Bauträger vor Beginn der Maßnahmen angekündigte Schadensbestandsaufnahme wurde nie gemacht, also steht Wort gegen Wort. Von einem Prozess nimmt Edeltraud Neß Abstand. „Wie soll ich das bezahlen?“
„Wer zahlt das?“, will auch Dietrich Schulteß wissen. Gemeint sind die Folgeschäden, die Nachbarn eines Neubaus an der Ecke Alsterkrugchaussee/Maienweg erwarten. Wo früher das Strohdach-Anwesen der Verlegerfamilie Jahr stand, baut Investor Hans-Jörg Graubner 58 Wohnungen und eine Tiefgarage. „Das Gebäude ist das einzige, das unter die Grundwasserlinie geht“, sagt Schulteß. „Und zwar mehr als zwei Meter.“ Für das Bauvorhaben wurden mehr als 100.000 Kubikmeter Grundwasser abgepumpt. Wie die Grundstücke auf der Brabandinsel liegt auch dieses Areal dort, wo die Alster vor ihrer Kanalisierung floss. Es gilt als Überschwemmungsgebiet.
Im Untergrund sind Torf, Lehmlinsen und andere Sedimente. Wenn dieses Gemisch austrocknet, senkt sich das Gelände, und es besteht die Gefahr von Setzrissen; das haben Experten für die Häuser von Schulteß und seinen Nachbarn bereits prognostiziert. Auf der nahe gelegenen Alsterdammbrücke, einem massiven, denkmalgeschützten Bauwerk, und dem dazugehörenden Trafohäuschen sind bereits Risse und ein Absatz in der Fahrbahn zu sehen.
Auch Schulteß bescheinigt den zuständigen Ämtern mangelhafte Fachkenntnis. „Wir Anwohner und der zuständige Architekt haben eine noch tiefer gehende Bauweise an der Alsterkrugchaussee verhindert, obwohl die Baugenehmigung bereits erteilt war“, sagt er. „Sonst hätte das Gebäude sogar mehr als drei Meter unter dem Grundwasserspiegel gelegen.“ Die Folge: Wie ein Bollwerk hätte es dem Grundwasser den Weg zur Alster abgeschnitten, nach heftigen Regenfällen wären Keller und Straßen überflutet worden.
Darüber setzte er auch Jutta Blankau (SPD), Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, in Kenntnis. Sie hatte ihm schriftlich „die sorgfältige Antragsprüfung durch die zuständige Abteilung in meinem Hause“ zugesichert. Mittlerweile ist das Anliegen der besorgten Alsterdorfer in der Bezirkspolitik angekommen. Auf eine Kleine Anfrage der CDU Hamburg-Nord hieß es jedoch im Bezirksamt, Schäden durch abgesenktes Grundwasser seien nicht bekannt.
Die Umweltbehörde versicherte auf Abendblatt-Anfrage, dass es zwischen den Bauvorhaben Brabandstraße und Alsterkrugchaussee und den Schäden keinen Zusammenhang gebe. „Generell sind Bauherren aber beraten, den Baugrund vor dem Bau ihres Hauses durch einen Fachmann erkunden zu lassen“, sagt Sprecher Volker Dumann.
„Das technische Wissen der Baubranche wird nur für Neubauten, nicht aber für den Bestandsschutz verwendet“, kritisiert Gutachter Wagner. Schäden durch Grundwasserabsenkung könnten verhindert werden, etwa durch eine wasserdichte Baugrube. Das ist in der Regel jedoch aufwendig und teuer. Behördensprecher Dumann: „Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit wird dieses Verfahren nur vorgeschrieben, wenn die üblichen Maßnahmen zur Grundwasserabsenkung nicht gefahrlos durchzuführen sind.“