Hamburg. Mädchen seit zwei Wochen vermisst. Vater sucht und glaubt: „Ihr Ziel ist Syrien.“ Von 60 Hamburger IS-Kämpfern kamen dort 15 ums Leben.
Er ist in halb Europa unterwegs, auf der Suche nach seiner Tochter. Sie ist verschwunden, einfach so. Sharin Lisa, 17, ist nicht mehr da. Von einem auf den anderen Tag war das Mädchen verschwunden. Sascha Mané kann es nicht fassen. Und er will es nicht hinnehmen. „Meine Tochter ist mit ihrem Freund Hamudi auf dem Weg in den Jihad“, sagt Sharins Vater. Er ist überzeugt: „Ihr Ziel ist Syrien.“
Vor zwei Wochen noch hatte er sich mit seiner Tochter, die in der Filiale einer Hamburger Bäckerei eine Ausbildung zur Bäckereifachverkäuferin macht, in Altona getroffen. Kaffee trinken, spazieren gehen, reden. So wie jeden Freitag. Sharin lebt bei ihrer Mutter, in einer Wohnung an einer Parallelstraße zur Alsterdorfer Straße.
Die Eltern sind geschieden. „Nichts hatte bei meinem letzten Treffen mit Sharin darauf hingedeutet, dass sie vorhatte, wegzugehen. Das hätte ich nie geglaubt“, sagt Sascha. Er geht davon aus, dass seine minderjährige Tochter mit den großen braunen Augen von ihrem Freund und dessen Weggefährten politisch verführt und entführt worden sei, wie er es nennt. Deshalb sucht Sascha, selbst Moslem, nun mit Freunden im syrischen Grenzgebiet nach seiner Tochter.
Sie soll in die Türkei gelockt worden sein
„Sharin hatte mir und meiner Ex-Frau vor wenigen Tagen erzählt, dass sie auf eine Familienfeier ihres Freundes in Dänemark eingeladen ist. Sie wollte angeblich mit Hamudis Familie am Montag, 17. August hinfahren und am nächsten Tag um 10 Uhr wieder da sein. Wir haben Sharin die Reise aber verboten.“ sagt Sascha. Sein Vater stammt aus Guinea, er selbst ist in Deutschland geboren. Deutsch ist seine Muttersprache. In Hamburg betreibt er eine eigene Sportschule für Thaiboxen.
Fest steht: Sharin ist weder mit ihrem Freund nach Dänemark gefahren, noch gab es eine Familienfeier. Stattdessen machte sich Sharin an dem Montag zum Flughafen Fuhlsbüttel auf – und flog in die Türkei nach Istanbul. Sharins Mutter Susanne erstattete Vermisstenanzeige. Die Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamts Hamburg hat die Ermittlungen übernommen.
„Wir wissen, dass die Reise in Richtung Türkei gegangen ist“, bestätigte Polizeisprecher Andreas Schöpflin dem Abendblatt. „Wir nutzen alle uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen, um den Aufenthaltsort der Jugendlichen zu ermitteln.“ Die bisherigen Ermittlungen hätten jedoch keine Hinweise auf eine Straftat ergeben. Sharins Vater geht von einer Falle aus, in die seine Tochter getappt sei. Sharin sei von Hamudi mit dem Versprechen, in den Urlaub zu fahren in die Türkei gelockt worden. Das gehe aus Nachrichten hervor, die Hamudi per WhatsApp an seine Freunde in Hamburg verschickt habe. Hamudi selbst sei zu dem Zeitpunkt bereits mit seinem älteren Bruder und seiner Mutter in die Türkei ausgeflogen. Hamudis zweiter älterer Bruder Ahmet sei bereits vor einem Jahr in Syrien erschossen worden. „Wir haben Sharins Handy von unserem Mobilfunkanbieter orten lassen“, sagt Sascha. „Das Ergebnis war die Türkei.“ Bis zum 21. August sei das Handy noch eingeschaltet gewesen.
Polizeisprecher Andreas Schöpflin bestätigte, dass die verlassene Hamburger Wohnung von Hamudis Familie an der Bornheide inzwischen von der Polizei durchsucht worden ist. Unterdessen klappert Sharins Vater mit bis zu zehn Bekannten, die er zum Teil als Sporttrainer in Hamburg kennengelernt hat und von denen einige in der Türkei leben, mit mehreren Autos die Städte ab: „Istanbul mit dem Moscheenviertel Fatih, Izmir, Hattay im syrischen Grenzgebiet“, nennt er beispielsweise. „Wir sprechen mit den Menschen, wir zeigen ihnen Bilder von Sharin und Hamudi.“
Dabei steht er in ständiger Verbindung mit den Sicherheitsbehörden: dem deutschen Konsulat in Antalya und dem Bundeskriminalamt (BKA) in Ankara. Bisher aber fehlt von Sharin und Hamudi jede Spur.
Verfassungsschutz kennt Anlaufpunkt der Salafisten
Immer wieder tauchen vor allem junge Menschen aus Hamburg ab, um in den sogenannten Heiligen Krieg zu ziehen. Eine zentrale Rolle bei der Rekrutierung spielt dabei offenbar eine Moschee in Harburg. „Die Taqwa-Moschee in Hamburg-Harburg ist nach Erkenntnissen des Hamburger Verfassungsschutzes der zentrale Anlaufpunkt der salafistischen Szene in Hamburg“, sagt Marco Haase, der Sprecher des Hamburger Verfassungsschutzes dem Abendblatt. Auch Sharin soll nach Angaben ihres Vaters mehrmals in der Taqwa-Moschee gewesen sein.
Vor einem Jahr kam es schließlich zum Eklat. „Sharin verschleierte sich. Ich hatte damals schon vermutet, dass Hamudi ein Salafist ist. Ich habe sehr emotional reagiert. Vielleicht war das ein Fehler. Ich habe versucht, meiner Tochter den Koran zu erklären. Es hat aber einfach nicht funktioniert“, sagt Sharins Vater. Dann herrschte erst einmal vier Monate lang Funkstille.
Aus Hamburg sind laut Verfassungsschutz bisher rund 60 Menschen in Richtung Syrien oder Irak mit dem Ziel ausgereist, dort den Jihad logistisch oder durch Kampfhandlungen zu unterstützen. „Gut ein Drittel davon ist bisher nach Hamburg zurückgekehrt, gut 15 Personen sind nach unseren Erkenntnissen gestorben“, sagt Haase.
Von den 60 Ausgereisten sind nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes etwa ein Dutzend Frauen. Für Aufsehen hatte auch der Fall eines Vaters gesorgt, der die Sorgen um seine Tochter nicht mehr ertragen konnte: Ercan B., 50, brachte sich um, weil seine 18-jährige Tochter Ece zusammen mit ihrer Freundin Merve S., 17, aus Billstedt wegliefen, um sich in Syrien der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) anzuschließen. Seit dem 2. Juni sind die beiden Mädchen verschwunden.
„Wir können bestätigen, dass die 18-Jährige an diesem Tag mit einer 17 Jahre alten Freundin in die türkische Hauptstadt Istanbul geflogen ist“, sagt Stefan Jung, Sprecher des Landeskriminalamts (LKA) Schleswig-Holstein. Über die weitere Reiseroute habe das LKA keine Informationen.
Saschas Nachricht an alle, die mit dem Gedanken spielen, in den so genannten Heiligen Krieg zu ziehen ist klar: „Sie gehen den falschen Weg. Sie sollten den Koran lesen. Der Islam ist eine friedliche Religion. Im Koran steht nichts davon, dass man andere Menschen massakrieren soll. Die selbsternannten Gotteskrieger vertreten nicht den Islam.“