Hamburg. Bettina Mittelacher und der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel legen mit „Totenmoor“ ihren zweiten Thriller vor. Ist er besser?

Der Titel klingt schon nach einem echten Püschel/Mittelacher-Opus. Er lautet: „Totenmoor – Ich sehe dich“. Nicht wenige Leichen tauchen in dem neuen Roman des Autorenduos auf, fünf (!) Freunde, die ein schreckliches Geheimnis hüten und ein fieser Rächer im Blutrausch, der sogar auf Helgoland meuchelt. Kaum ein Buch in ihrem inzwischen gar nicht mehr so schmalen Portfolio, das sich nicht irgendwie um diesen finalsten aller Seins- (oder besser) Nichtseinszustände dreht. Das sich wiederholende Sujet vom Tod überrascht nicht, hat doch Professor Klaus Püschel, inzwischen im Ruhestand, über Jahrzehnte das rechtsmedizinische Institut am UKE geleitet. Und die Journalistin Bettina Mittelacher ist auch vom Fach: Sie betreibt mit Püschel den erfolgreichen Abendblatt-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ und berichtet aus den Hamburger Gerichtssälen.

Das sei vorab erwähnt: Von ihrem vorigen Roman, ihrem ersten, mit seiner Vorliebe für „knirschen, sägen, reißen, spritzen, knacken, splittern“ unterscheidet sich „Totenmoor“ erheblich. War „Totenpuzzle“ noch ein literarisches Hack’n’Slay mit Pulp-Charme, eine Art Schnitzeljagd nach Leichenteilen, nimmt sich das neue Werk zurück, setzt mehr auf Figurenentwicklung, Spannungsaufbau, sucht mehr Erzählebenen. Es ist damit reifer, vielschichtiger und trifft den Ton im Allgemeinen präziser als der Roman-Erstling des Autorenduos. Und ja, es fließt Blut, und zwar nicht zu knapp. Gemessen an einem 08/15-Thriller aus deutschen Landen ist der Gore-Level hoch, gemessen an dem der beiden Autoren eher moderat.

Warum Püschel-Fans diesen Rache-Roman lieben werden

In gewisser Weise bedeutet das Buch auch eine Abkehr vom Prinzip „Viel (Blut) hilft viel“. Während sich der Serienmörder mit dem Namen Raptor in „Totenpuzzle“ wie ein Irrer (der er auch ist) durch seine Opfer sägt, messert, metzelt und, nun ja, durchwurschtelt, bedient sich ein lange namenloser finsterer Rächer in diesem Buch deutlich kreativerer Tötungsmethoden. Eingebettet ist der im Kern archaische Rache-Roman in eine Geschichte, die leicht an den Vergeltungs-Plot des Teenie-Schockers „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ erinnert. „Totenmoor“ weiß aber auf originellere, raffiniertere Weise zu unterhalten als der ohnehin gar nicht mal schlechte Vorgänger.

Die Geschichte beginnt mit einer Rückblende: Fünf Freunde schwören sich im Jahr 1999, ein schreckliches Geheimnis für immer in sich zu tragen. Dieses Geheimnis offenbart sich schon im nächsten Kapitel und einem Zeitsprung von 24 Jahren in der Zukunft. Im Jahr 2023 findet ein Vogelfreund erst ein Bein im Schnakenmoor bei Blankenese, dann entdeckt die Polizei die Leichen von zwei Frauen, beide seit 1999 nach einer Party in den Elbvororten vermisst.

Zwei junge Frauen. Die eine stirbt sofort, die andere wird ertränkt

Wie sich zeigt, sind sie in jener Nacht von einem Auto angefahren worden, eine von ihnen ist sofort tot, die andere wird – noch lebendig – im Wasser ertränkt, ein grausames Sterben. Um die Tat zu vertuschen, gelobt das Quintett ewiges Schweigen. Während die Hinterbliebenen der Getöteten 24 Jahre später mit dem Auftauchen der Leichen traurige Gewissheit erhalten, macht ein eiskalt mordender Racheengel Jagd auf die fünf im Auto. Einer nach dem anderen lässt sein Leben.

Um den vertrackten Fall zu knacken, ermittelt einmal mehr das Duo Kai Plathe und Emma Claasen, er der erfahrene und hochdekorierte Rechtsmediziner, sie die gestandene Kriminalhauptkommissarin, beide brillant in dem, was sie tun, und ebenso ungefestigt im Leben außerhalb des Jobs. Für Plathe gibt es im Privaten auch noch eine unerwartete, riesige (freudige?) Überraschung.

Die Romanze zwischen Plathe und Claasen nimmt Fahrt auf. Aber nur ein bisschen

Eine schon im „Totenpuzzle“ zwischen den Protagonisten angedeutete Romanze nimmt ein bisschen Fahrt auf, aber eben nicht viel, es bleibt bei Blicken, einem auf die Wange gehauchten Kuss, aufblitzenden Fantasien, die sogleich erstickt werden. Einmal knistert bei einer Umarmung etwas, Plathe fühlt es ja – bis er merkt, dass da nur das Handy seiner Kollegin vibriert. Der Tod hat für Plathe immer Vorfahrt, seine kriselnde Ehe jedenfalls nicht, und für Claasen sind es ihre Fälle, beide sind beseelt von und gefangen in einem fast preußischen Pflichtbewusstsein. Und es soll ja auch unbedingt etwas über die Integrität der Rechtsmedizin gesagt werden, deren fiktiver Vertreter Plathe sich an einer Stelle zu dem Bewerbungsmappen-Sätzchen „Ein pietätvoller Umgang mit den Toten ist für mich absolut essenziell!“ versteigt. Sonst aber gibt es im Buch wenig Pathos.

„Totenmoor“ startet stimmungsvoll, ist verrätselt, die Grundstimmung morbide und die Kulisse einmal mehr Hamburg, so wie man es von dem Autorenduo kennt. Seine Spannung bezieht der Roman, etwas ungewohnt verfasst in der Gegenwartsform, aus der Jagd nach dem zunächst unbekannten Rächer und dessen mitleidslosen, mitunter qualvollen Hochpräzisionsmorden. Ein bisschen moralisches Dilemma ist auch dabei: Verdienen die überwiegend reuigen Fünf von 1999 die Strafe, weil sie den Tod der jungen Frauen auf dem Gewissen und durch ihr Schweigen deren Hinterbliebenen so viel Leid und Kummer bereitet haben?

Die Leichen auf dem Obduktionstisch bergen allesamt Rätsel

Bei Werken von Püschel und Mittelacher stehen immer auch die Tötungsarten im Fokus, der Rechtsmediziner kann hier seine über Jahrzehnte erworbene Expertise in Romanform ausspielen. Der Leser erfährt, wie die Methoden und Erkenntnisse der Rechtsmedizin dabei helfen, Kriminalfälle zu rekonstruieren und aufzuklären. Die Leichen, die durchbohrt, erstickt, ertränkt oder auch nackt und zerhackt auf dem Obduktionstisch liegen, bergen allesamt Geheimnisse, die es durch wissenschaftliche Methodik zu lüften gilt.

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Dass die beiden Frauen einer Kollision mit einem Auto zum Opfer fielen, schlussfolgert Plathe etwa aus der charakteristischen Aufprallverletzung am Oberschenkelknochen, dem sogenannten Messerer-Keil. Und dass eine davon nicht beim Unfall starb, sondern kurz darauf im Moor ertrank, ermittelt er durch die Diatomeenprobe, bei der mit dem Wasser eingeschwemmte Kieselalgen Aufschluss darüber geben, ob ein Opfer in seinen letzten Sekunden bereits Wasser in der Lunge hatte.

Totenmoor Roman
Neuer Roman „Totenmoor – Ich sehe dich“ von Klaus Püschel und Bettina Mittelacher, erschienen am 11. September im Gmeiner-Verlag, 416 Seiten. © Gmeiner-Verlag GmbH | Gmeiner-Verlag GmbH

„Totenmoor“ ist ein typisches Werk aus der Feder des Autorenduos: spannend bis zum Schluss, fachlich fundiert, und immer mit dem Herzen bei den hinterbliebenen Opfern der Getöteten. Es ist softer als der Vorgänger, aber eben nicht soft. Und so wie es sich liest, nährt das Buch die Hoffnung, dass Plathe und Claasen in Zukunft noch mehr miteinander anstellen könnten, als gemeinsam Leichenschau zu betreiben.