Hamburg. Problematische Jugendliche machen Hamburgs Prachtmeile nachts unsicher. Wer dahintersteckt, wie die Polizei dagegen vorgeht.
Der Ermittlungserfolg kam schnell. Durch gezielte Befragung haben Polizeibeamte der Soko „Alster“ noch am Wochenende den Jugendlichen identifiziert, der nach Zeugenaussagen am Jungfernstieg einen 19-Jährigen niedergestochen und schwer verletzt hat. Der 17-Jährige wurde wenig später festgenommen – dort, wo er die Tat begangen haben soll. Am Jungfernstieg. Nach Erkenntnissen der Polizei Hamburg gehört der Jugendliche, der bereits als Intensivtäter geführt wird, einer der Gruppierungen an, die den Jungfernstieg okkupiert haben.
Sie nennen sich 1920er. Woher der Name kommt, ist nicht bekannt. Manchmal scheint die Namenswahl banal. So wie beim Namen einer anderen Gruppe vom Jungfernstieg, die 315er, die ihre Bezeichnung in Anlehnung an die Nummer eines Parkplatzes in einem Parkhaus in Jenfeld haben, der einmal Treffpunkt war, weil man von dort aus gut den Stadtteil überblicken kann.
Messerstiche am Hamburger Jungfernstieg – Tatverdächtiger soll zu 1920er-Gruppe gehören
Der festgenommene 17-Jährige mit afghanischer Staatsangehörigkeit gehört zu den 1920ern. Er soll der führende Kopf dieser etwa ein Dutzend Personen starken Gruppe sein.
Am frühen Sonnabendmorgen war es auf dem Jungfernstieg zu einer Auseinandersetzung gekommen. Es war der erste größere Vorfall seit einigen Wochen. Eintreffende Peterwagenbesatzungen entdeckten einen Verletzten. Es handelt sich um einen 19-Jährigen. Er war durch zwei Messerstiche und mehrere Schnittverletzungen an Arm und Oberkörper schwer verletzt worden.
Die Beamten leisteten Erste Hilfe, bis Rettungswagen und Notarzt vor Ort waren. Etwas später kam der 19-Jährige ins Krankenhaus St. Georg, wo er sofort operiert wurde. Danach sei der Zustand des Verletzten stabil gewesen.
Polizei Hamburg spürt 17-Jährigen nachts am Jungfernstieg auf
Die Einsatzkräfte der Polizei konnten im Bereich Jungfernstieg noch 14 Jugendliche festsetzen und zur Identitätsfeststellung sowie Befragung an die Wachen St. Georg und an die Lerchenstraße bringen. „Niemandem konnte eine direkte Tatbeteiligung zugeordnet werden“, sagt ein Beamter. Alle kamen später frei.
Doch durch eine andere Aussage wurde der 17-Jährige wiedererkannt und anhand von Fotos identifiziert. Kurz darauf rückte die Polizei zu seiner Adresse aus, eine Jugendhilfeeinrichtung in Bahrenfeld, in der unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben. In dem Zimmer des Jugendlichen sollen, so heißt es, Beweismittel gefunden worden sein. Das Tatmesser wurde nicht gefunden. Ebenso wurde der 17-Jährige dort nicht angetroffen.
Festgenommen wurde er trotzdem schnell. Die Fahndung konzentrierte sich unter anderem auf den Bereich Jungfernstieg. Tatsächlich wurde der 17-Jährige erkannt, als er zu nachtschlafender Zeit um 2.45 Uhr dort unterwegs war. Zivilfahnder sicherten die Gegend ab, und Peterwagen gingen in Bereitstellung, bevor Beamte zugriffen. Denn es kann passieren, dass sich andere Jugendliche solcher Gruppierungen in so einem Fall gegen die Polizei stellen und versuchen, Festgenommene zu befreien.
17-Jähriger war Polizei Hamburg bereits wegen Gewalttaten bekannt
Noch in der Nacht führten die Ermittler der Soko „Alster“ die Erkenntnisse zusammen. Der Vorwurf: gefährliche Körperverletzung. Weil die Messerstiche das Opfer nicht in Lebensgefahr gebracht hatten, liegt kein Tötungsdelikt vor.
Die Staatsanwaltschaft beantragte dennoch einen Haftbefehl. Der 17-Jährige, der im Dezember 2020 nach Deutschland kam und seit Anfang des Jahres der Polizei bekannt ist, ist zwar wegen mehrerer Delikte, darunter auch Gewalttaten, bekannt. Verurteilt wurde er bislang nicht. Trotzdem gab ein Richter dem Haftbefehl statt.
Der Jungfernstieg ist seit Jahren ein Brennpunkt, weil sich dort problematische Jugendliche, überwiegend mit Migrationshintergrund, treffen. Vor allem im Sommer kam es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen innerhalb dieser Gruppen. 2016 wurden dort vier Flutlichtmasten installiert, um das nächtliche Treiben in unangenehm grelles Licht zu tauchen.
Kameras am Jungfernstieg sind nur am Wochenende eingeschaltet
Ab 2017 wurden dort ein Dutzend Überwachungskameras installiert. Allerdings dürfen die Kameras nur an Freitagen und Sonnabenden angeschaltet werden, wenn dort besonders viel los ist. Die Bilder laufen direkt an der zuständigen Wache 14 in der Caffamacherreihe auf. So kann die Polizei schnell reagieren.
Regelmäßig bekommt die zuständige Wache Zusatzkräfte, um regelmäßige Präsenz am Jungfernstieg leisten zu können. Im Juni wurde die Soko „Alster“ gegründet.
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Der Fall ruft auch die Politik auf den Plan. „Viel zu lange haben Bürgermeister Tschentscher und sein rot-grüner Senat die wachsende Kriminalität an immer mehr Stellen in Hamburg verharmlost, dazu zählt auch der Jungfernstieg“, meint CDU-Fraktionschef Dennis Thering. „Viele Maßnahmen kamen zu spät und reichen nicht aus. Beim Jungfernstieg kommt erschwerend hinzu, dass hier abends nach Ladenschluss einfach viel zu wenig los ist und sich dann halt andere hier gerne aufhalten. Hier hilft nur hohe Polizeipräsenz und ein konsequentes Durchgreifen, um die unhaltbare Situation zu entschärfen. Auch muss hier endlich über die Einrichtung einer Waffenverbotszone nachgedacht werden.“
Thomas Jungfer, Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, sieht keine schnelle Lösung. „Es ist eben ein öffentlicher und hoch attraktiver Bereich, der gleichzeitig das Aushängeschild Hamburgs ist. Auch für dieses problematische Klientel, mit dem es die Polizei dort zu tun hat“, so Jungfer. „Es wird sehr schwer sein, der Lage Herr zu werden. Dazu bräuchte es ein konsequenteres Durchgreifen, auch von der Justiz. Der Fall hat aber gezeigt, das sich die Ermittlungsgruppe ‚Alster‘ bewährt hat.“