Hamburg. Stahlskelett-Bau ist so spektakulär wie umstritten. Nun fordert die Behörde Eignerin auf, ihn zu sichern. Die will lieber abreißen.
Matthias Iken
Die Schilleroper auf St. Pauli ist ein besonderer Bau: 1891 als Spielstätte des Circus Busch eröffnet, war sie Manage, Theater, Operettenhaus, Clubhaus. Und seit mittlerweile einem Jahrzehnt sind die Überreste des Baus einer der zentralen Streitpunkte des Denkmalschutzes in Hamburg. Zwar wurde das Gebäude wegen seines Stahlskeletts als Beispiel frühindustrieller Tragwerksarchitektur schon 2012 unter Denkmalschutz gestellt. Doch die Schilleroper rottet weiter vor sich hin.
Mit einem neuen Gutachten erhöht die Kulturbehörde nun den Druck auf die Eigentümerin. Es weist nach, dass sich die denkmalgeschützte Stahlkonstruktion „in einem sehr guten Zustand“ befindet. Lediglich rund zehn Prozent der Bestandsbauteile müssten erneuert werden, um die denkmalgeschützte Stahlgerüstkonstruktion zu erhalten.
Schilleroper: Gutachten erhöht Druck auf Eigentümerin
„Das Gutachten macht sehr fundiert deutlich, dass und wie die Schilleroper erhalten werden kann“, sagt Kultursenator Carsten Brosda (SPD). „Wir hoffen sehr, auf dieser Grundlage mit der Eigentümerin in das konstruktive Gespräch über die Zukunft dieses besonderen Denkmals einsteigen zu können.“ Hier sei vieles denkbar, sagt der Senator in Richtung Besitzerin. „Dies wäre ganz sicher für die Schilleroper und das Quartier der beste Weg.“ Neben dem Zuckerbrot zeigt Brosda die Peitsche: „Um das Denkmal zu erhalten, wird das Denkmalschutzamt aber auch weiter alle uns rechtlich zur Verfügung stehenden Mittel nutzen.“
Die Experten haben verschiedene Varianten durchgespielt: Die günstigste Variante bezieht sich auf die reine Standsicherung, Konservierung der Stahloberfläche und des Stahltraggerüsts, Wiederherstellung der Verkehrssicherheit und ein Konzept zur Ertüchtigung der Gründung. Geschätzt liefen dafür Kosten von 1,18 Millionen Euro auf. Teurer wird es, wenn ein zusätzlicher Wetterschutz durch ein Holzdach erfolgt. Dieses würde den Bau besser bewahren und seine Kubatur im Stadtbild betonen.
Schilleroper: Gutachten kostete mehr als 75.000 Euro
Für das Gutachten hat die Behörde weder Kosten noch Mühen gescheut: Mithilfe eines detaillierten 3-D-Laserscans wurde Veränderungen und Verformungen der Statik berechnet, Restauratoren bewerteten die Materialqualitäten und Oberflächenbeschaffenheiten. Insgesamt kostete das Gutachten rund 75.000 Euro.
„Der Bau ist weit über Hamburg hinaus von großer Bedeutung“, sagt Enno Isermann, Sprecher der Kulturbehörde. Deshalb pocht sie auf den Erhalt: Das Denkmalschutzamt hatte das Gutachten der Eigentümerin, der Schilleroper Objekt GmbH, Mitte Januar zugesandt, am vergangenen Donnerstag traf man sich in der Behörde zum Austausch.
Streit um Schilleroper: Eine Einigung ist nicht in Sicht
Die Eigentümerin möchte sich auf Anfrage des Abendblatts nicht äußern, die Behörde stellt lediglich fest: „Erste Priorität hat die Sicherung der denkmalgeschützten Stahlkonstruktion“, sagt Isermann. „Daher ist als Nächstes der Erlass einer Sicherungsverfügung beabsichtigt.“ Das klingt nicht nach einer Einigung.
Doch auch für diese Sicherungsverfügung ist zunächst eine Anhörung der Eigentümerin erforderlich. Erst danach kann eine Erhaltungsverfügung mit der Aufforderung, das Denkmal zu sichern, unter Fristsetzung erlassen werden. Die Eigentümerin kann gegen die Verfügung Rechtsmittel einlegen, wodurch sich die Sicherung weiter verzögert.
Die rechtlichen Möglichkeiten hat die Schilleroper Objekt GmbH bislang stets ausgeschöpft: Mit Gutachten und Gegengutachten streiten die Stadt und die Investorin seit Jahren. 2014 erwarb die jetzige Eigentümerin im Wissen um den Denkmalwert die Immobilie. Ende März 2021 ließ sie die nicht denkmalgeschützten Anbauten der Schilleroper abreißen. Auch danach gab es Streit mit der Stadt.
Der Investor verspricht „einen Ort zum Wohnen und einen Platz zum Leben“
Die Investorin äußert sich auf ihrer Website, die schon lange unverändert ist: „Wir möchten hier wieder einen Ort zum Wohnen und einen Platz zum Leben schaffen. Die Schilleroper hatte und hat eine besondere Bedeutung im Quartier des Stadtteils St. Pauli – und dessen sind wir uns absolut bewusst.“ Die Planung des Gebäudes bereichere die Umgebung: „Hier entsteht ein großer Platz unter dem Stahlgerüst mit Durchgängen in drei Himmelsrichtungen.“ Man haben Wohnqualität und Nachhaltigkeit im Blick.
Entstehen sollen dort Wohnungen für Senioren. Im Erdgeschoss ist Platz für „nachbarschaftsbezogene kleine Läden, ein Restaurant und einen Bäcker mit Außenbereich“, ein Dachgarten sowie ein Fitnesscenter und Büros unter anderem für einen ambulanten Pflegedienst. „Unser Ziel: Es entsteht ein soziales Wohnprojekt mit einer neuen Rotunde im Innenhof.“ Der Knackpunkt: „Das alte Stahlgerüst kann so nicht erhalten werden.“
Gutachten und Gegengutachten, Verhandlungen und juristische Hakeleien
Genau darum ist der Streit entbrannt. In der Zwischenzeit wurde das Skelett durch eine Stützkonstruktion gesichert. „Seither laufende Gespräche mit der Eigentümerin, dem Bezirk und dem Denkmalschutzamt über den Erhalt des Denkmals sind leider bis heute ohne Erfolg geblieben“, sagt Isermann. Zumindest da klingt er wie der potenzielle Investor, der schon 2022 auf der Website klagte: „Sieben Jahre Stillstand, 339 Tage Verhandlungen und Gespräche mit Behörden, Ingenieuren und Architekten, acht Gutachten, sieben Ortstermine: ein herausforderndes Projekt in herausfordernden Zeiten.“
Diese Zeiten sind durch die Krise am Bau und auf den Immobilienmärkten nicht einfacher geworden. Derzeit fehlt es schon an Investoren für einfache Projekte – für aufwendige Sanierungen gilt das erst recht. Zudem steht über allem die Frage nach der wirtschaftlichen Zumutbarkeit.
Behörde hofft, dass die Eigentümerin einlenkt
Die Behörde hofft dennoch auf ein Einlenken der Schilleroper Objekt GmbH: „Selbstverständlich wäre es sehr wünschenswert, wenn die Eigentümerin umgehend nicht nur mit dem Erhalt der Stahlkonstruktion beginnen würde, sondern auch mit der Erarbeitung und Abstimmung einer denkmalgerechten Nutzung“, sagt Isermann. Zugleich betont er: „Wenn die Eigentümerin der Aufforderung zur Sicherung des Denkmals nicht fristgerecht nachkommt, kann das Denkmalschutzamt die Arbeiten selber in Auftrag geben und der Eigentümerin in Rechnung stellen.“
Die Linkspartei hat längst die Geduld verloren: „Damit die denkmalgeschützte Schilleroper wirklich erhalten bleibt, muss der Senat der Eigentümerin endlich die Daumenschrauben anlegen“, sagt Heike Sudmann, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linken in der Bürgerschaft. „Nicht nur die Schilleroper rostet vor sich hin, sondern auch der Senat in Sachen Zwangsmittel. Seit Jahren lässt er sich von der Eigentümerin auf der Nase herumtanzen, zeigt sich unfähig, die Eigentümerin endlich zu Erhaltungsmaßnahmen zu verpflichten oder diese selbst auf Kosten der Eigentümerin umzusetzen.“
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Von außen mag überraschen, dass ein nacktes Stahlskelett für so viel Streit sorgt. Doch die Schilleroper ist ein mit Geschichte aufgeladener Ort: Ein früherer Zirkus, in dem Elefanten und Eisbären durch die Manage liefen, ein Theater, in dem Hans Albers und Asta Nielsen auftraten, Franz Lehár die Aufführung seiner Operette „Giuditta“ dirigierte. Später lebten in dem Bau Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber, bevor nach der Jahrtausendwende die Subkultur das Haus neu entdeckte.
Unendlich ist die Geschichte der Schilleroper längst – fraglich, ob sie bald ein Happy End findet.