Hamburg. Geschäft boomt: Kokain-Handel im Wert von 16 Milliarden Euro läuft über den Hafen. Wie das funktioniert und was dagegen getan wird.

Am Montag kommen in der Speicherstadt Vertreter der Stadt und der Hafenwirtschaft unter Leitung von Innensenator Andy Grote (SPD) zusammen. Es geht „um eine noch engere Zusammenarbeit im Kampf gegen Drogenkriminalität im Hafen auf allen Ebenen“. Denn intern schlagen Kriminalisten Alarm. Das Geschäft mit dem Kokain boomt.

Insider gehen davon aus, dass über den Hamburger Hafen jährlich Kokain im Wert von bis zu 16 Milliarden Euro Straßenverkaufswert umgeschlagen wird. Das Geschäft, davon geht man beim Landeskriminalamt aus, ist dabei fest in den Händen der organisierten Kriminalität.

Polizei Hamburg: Innentäter aus der Hafenwirtschaft werden rekrutiert

Sorgen machen den Ermittlern dabei vor allem die sogenannten Innentäter. Darunter versteht man die Mitarbeiter der Hafenwirtschaft, die gezielt von kriminellen Gruppen angeworben werden. Die organisierte Kriminalität (OK) braucht sie, um einen reibungslosen Schmuggel des Kokains abzuwickeln, das per Schiff aus Südamerika kommt.

2004 wurde der sogenannte International Ship and Port Facility Security Code, kurz ISPS-Code, eingeführt, der weltweit umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen für Schiffe und Hafenanlagen vorschreibt. Das hat den Schmuggel erschwert. Ohne Zugang zu den Terminals und den Schiffen wäre Kokain deutlich schwerer zu schmuggeln.

Drogen-Szene: Zwischen „Raubtierstadium“ und „Friedhofsruhe“

Tatsächlich läuft das Geschäft mit dem Kokain offenbar reibungslos. Während bei den Marihuana-Dealern in Hamburg nach den Fahndungserfolgen durch die Encrochat-Verfahren die Szene nachhaltig erschüttert und teilweise zerschlagen wurde und sich mittlerweile Gruppen bilden, die sich „im Raubtierstadium“ befinden und sich Schießereien auf offener Straße um Marktanteile liefern, herrscht in der riesigen Kokain-Szene „Friedhofsruhe“.

Für die Polizei ein Zeichen, dass die Kokain-Geschäfte reibungslos laufen. Daran ändern auch riesige Sicherstellungsmengen, in diesem Jahr wird es wieder ein zweistelliger Tonnenbereich, nichts. „In der Szene ist das kein Thema“, so ein Beamter gegenüber dem Abendblatt. Optimisten gehen davon aus, dass etwa 20 Prozent des Kokains, das über den Hafen ankommt, von den Sicherheitsbehörden aus dem Verkehr gezogen wird. Realisten sehen die Sicherstellungsmenge eher bei unter zehn Prozent.

Drogen-Schmuggel: „Nichts ist profitabler“ als das Riesengeschäft mit Kokain

In Südamerika wird immer mehr Kokain angebaut, in Europa immer mehr konsumiert. Die Droge wird zugleich billiger. Crack, aus Kokain hergestellt, ist mittlerweile eine „Armutsdroge“. „Es ist ein Riesenbusiness, an dem viele viel verdienen“, sagt ein Beamter. „Nichts ist für Kriminelle profitabler als Kokain-Schmuggel.“ Hier beherrschen nicht Clans das Geschäft, sondern Gruppen Krimineller, deren Mitglieder sich für einzelne Geschäfte zusammenschließen.

Dabei benötigen sie Hilfe. „Kokain-Einfuhr über Häfen ist nahezu unmöglich, ohne dass die Gruppen der organisierten Rauschgiftkriminalität auf Kontaktpersonen in den Logistikbereichen der Seehäfen zurückgreifen“, heißt es in einer internen Information der Hamburger Polizei.

Hafen Hamburg: Mitarbeiter sollen beim Schmuggel der Ware helfen

Deshalb nimmt sie die Innentäter in den Fokus, die aus den Reihen der legalen Hafenwirtschaft rekrutiert werden. „Der Hafen ist eine eigene Szene, mit einer eigenen Sprache und eigenen Regeln“, so ein Kripomann. Die Szene ist riesig. Rund 100.000 Menschen haben auf unterschiedlichen Ebenen und mit verschiedenen Berechtigungen Zugang zu Schiffen und Hafenanlagen. Sie werden von den Kokain-Schmugglern benötigt, um Drogen aus dem Versteck auf einem Schiff oder Container herauszunehmen und aus dem Hafengebiet zu schaffen.

„Wir haben es hier mit einer Kleinstadt von potenziellen OK-Helfern zu tun“, so der Beamte. Deshalb werden gezielt Hafenmitarbeiter von der OK angeworben. „Oft sind es Verbindungen, die man aus seinem Umfeld, der Familie, vielleicht sogar noch aus der Schule zu einem Mitarbeiter der Hafenwirtschaft hat“, sagt ein Beamter. Dann kommt ein verlockendes Angebot. „Kleinkram“, so der Beamte.

Polizei Hamburg: Will ein Hafenmitarbeiter aussteigen, wird er unter Druck gesetzt

Für ein schnelles Foto, beispielsweise einen Container, wird eine hohe Summe geboten. 15.000 Euro sind in so einem Fall schon mal drin, leicht verdientes Geld für den Mitarbeiter im Hafen. Für die organisierte Kriminalität ist es eine Investition, um „anzufüttern“. Für Leute in richtigen Positionen ist noch einmal mehr drin.

Nimmt ein Insider das Geld an, schnappt die Falle zu. „Wer glaubt, dass es mit einem einmaligen Gefallen gut ist, der hat mit Zitronen gehandelt. Die OK lässt nicht locker“, so der Beamte. „Denn Innentäter sind beim Kokain-Schmuggel essenziell.“ Will der Hafenmitarbeiter aussteigen, wird er unter Druck gesetzt, ihm und oft auch seiner Familie gedroht. Besonders gut funktioniert das, wenn die Familie in einem Land lebt, in der kriminelle Strukturen große Macht haben.

Hafen Hamburg: So installiert die organisierte Kriminalität ihre Handlanger

In anderen Fällen, auch davon geht man bei der Polizei aus, lassen sich Leute, die für die organisierte Kriminalität arbeiten, gezielt von Firmen anstellen, um Zugang zu gesicherten Hafenanlagen zu bekommen. Dabei müssen es nicht die Hafenfirmen selbst sein. Auch Dienstleister sind interessant, um Leute zu positionieren.

Um den Drogenschmuggel durchzuführen, kann es ruppig werden. Es sind Fälle bekannt, bei denen ein loyaler Hafenmitarbeiter zusammengeschlagen wurde, damit er nicht arbeiten kann und durch einen Handlanger der OK ersetzt wird. In einem anderen Fall versuchten Täter einen Laster, in dem Kokain versteckt war, auf dem Weg zur Containerröntgenanlage in Waltershof zu stoppen und umzuleiten.

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Nahezu alle Täter in der OK, die im großen Stil mit Kokain dealen, sind bewaffnet. Dabei geht es nicht um „Revierkämpfe“. Waffen werden besorgt, um die Drogen verteidigen zu können. Gehen Geschäfte schief, weil die Polizei oder der Zoll Drogen beschlagnahmen, versuchen die Täter, die größere Mengen Rauschgift oft auf „Kommission“ kaufen oder im Auftrag eines Dealers abwickeln, nachzuweisen, dass es beschlagnahmt wurde.

Besteht der Verdacht, sie hätten Drogen „abgezweigt“, so sagt ein Ermittler, „geht es schnell um Leben und Tod“. Brisant: Die OK bekommt durch Handlanger im Hafen nicht nur Zugang zu den versteckten Drogen. Über den Hamburger Hafen werden zahlreiche brisante Güter verschifft, darunter auch militärisches Material.

Hafen Hamburg: Ausmaß an Helfern war bislang nicht bekannt

Das Landeskriminalamt hat nach Informationen des Abendblatts ein Lagebild erstellt, in das Erkenntnisse aus 26 Verfahren mit mehreren Beschuldigten, aber auch 70 Einzeltaten einflossen. Hinzu kommen Ergebnisse aus geknackten Chatverläufen von Kriminellen, aber auch Verfahren wegen Hausfriedensbruchs, bei denen unerlaubt Personen auf gesicherten Hafenanlagen festgestellt wurden. Die Bilanz: Man wusste, dass es Innentäter gibt – aber nicht, in welchem Ausmaß.

Inzwischen ist das zunächst auf 18 Monate ausgelegte Projekt „Infiltration der Nordseehäfen durch OK-Strukturen“, kurz INOK, angelaufen, das unter der Federführung des Bundeskriminalamts mit den Bundesländern Hamburg, Niedersachsen, Bremen sowie des Zollkriminalamts initiiert wurde. Bei dem Projekt geht es um repressive, aber auch präventive Maßnahmen.

Polizei Hamburg: Innentäter festgenommen – es gab einen anonymen Tipp

Inzwischen gibt es erste Erfolge. Anfang Oktober hatte das Hamburger LKA neun Innentäter festnehmen können. Gegen fünf wurden Haftbefehle erwirkt. Ein Jahr hatten die Ermittlungen gedauert. Auslöser der Ermittlungen war ein anonymer Tipp gewesen.

Genau hier will die Hamburger Polizei ebenfalls ansetzen. Für das kommende Jahr ist ein Hinweisportal geplant, über das vor allem aus der Hafenszene Hinweise auf Innentäter kommen sollen.