Hamburg. Geistig behinderter Zehnjähriger war beim Spielen ins Wasser gefallen. Wie konnte er aus der Schule abhauen und dorthin gelangen?

Das tragische Unglück an der Elbe, bei dem ein zehn Jahre alter Junge mit Behinderung mutmaßlich ertrunken ist, sorgt in ganz Hamburg für Bestürzung. Am Mittwoch äußerte sich die Schulbehörde zu dem Vorfall. Zudem war die Polizei Hamburg am Vormittag im Einsatz – sie war in der Schule Nymphenweg in Marmstorf vor Ort, die der Junge besuchte.

Behinderter Junge versinkt in Elbe – Schulbehörde äußert sich

Der Zehnjährige hatte am Dienstag offenbar unbemerkt das Schulgelände verlassen und war am Vormittag im Bereich des Fähranlegers Bubendey-Ufer im Hamburger Hafen in die Elbe gefallen und trotz Rettungversuchen untergegangen.

Ein Junge war am Dienstag aus seiner Schule verschwunden und in die Elbe gestürzt. Am Mittwoch suchte die Polizei die Schule auf.
Ein Junge war am Dienstag aus seiner Schule verschwunden und in die Elbe gestürzt. Am Mittwoch suchte die Polizei die Schule auf. © André Lenthe

„Die Schulbehörde und die Schulgemeinschaft der Schule Nymphenweg sind bestürzt und tief betroffen angesichts des gestrigen tragischen Unfalls und in Gedanken bei der Familie des Jungen“, sagte Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Die Familie wird in dieser sehr schwierigen Situation von einem Kriseninterventionsteam begleitet.“

Behinderter Junge in Elbe ertrunken? Schule suchte nach dem Kind

Der mutmaßlich ertrunkene Zehnjährige besuchte demnach die 5. Klasse der Sonderschule für Kinder mit geistigen Behinderungen am Nymphenweg. Offensichtlich hat der Schüler am Dienstag im Laufe des Vormittags während der Schulzeit das Gelände unerlaubt verlassen“, so Albrecht. „Wie der Schüler das Gelände verlassen konnte, ist derzeit noch ungeklärt.“

Die Schulbehörde verweist darauf, dass das gesamte Gelände der Schule und der Nachbarschule rund 1,60 Meter hoch eingezäunt sei. Albrecht: „Die Ausgänge sind in der Regel verschlossen.“ Es sei kein Vorfall aus der bisherigen Schullaufbahn des Jungen bekannt, bei dem er das Gelände verlassen hat.

Wie legte der behinderte Junge die 15 Kilometer bis zur Elbe zurück?

Nach Angaben der Behörde suchte die Schule am Dienstag das gesamte Gelände, das Schulgelände der Nachbarschule und auch die direkte Umgebung ab, um den Zehnjährigen zu finden. „Nach einer rund dreiviertelstündigen, ergebnislosen Suche wurden gegen 11.30 Uhr die Polizei und auch die Sorgeberechtigen informiert“, sagte Albrecht. Es wurde eine Vermisstenanzeige aufgegeben.

Völlig unklar ist noch, wie der geistig behinderte Schüler den sehr weiten Weg von rund 15 Kilometern von seiner Schule in Marmstorf zum Fähranleger Bubendey-Ufer in Finkenwerder zurückgelegt hat. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln dauert dieser Weg eine Stunde und ist nur durch Umsteigen möglich.

Krisenteam betreut Mitschüler des vermissten Jungen

„Alle weiteren erforderlichen Prozesse bei einem solchen Vorfall sind gestern seitens der Schule und der Schulbehörde unmittelbar eingeleitet worden, Schulaufsicht und Expertinnen und Experten der Schulbehörde unterstützen alle Beteiligten“, betonte Albrecht. Das Krisenteam der Beratungsstelle Gewaltprävention und des zuständigen ReBBZ sei seit Mittwochmorgen vor Ort in der Schule und betreue Schulbeschäftigte und Mitschüler des vermissten Jungen.

Die Schule Nymphenweg ist eine spezielle Sonderschule für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der geistigen Entwicklung, hat zwei Schulstandorte und derzeit 133 Schülerinnen und Schüler. Wegen der laufenden polizeilichen Ermittlungen kann die Schulbehörde zurzeit keine weiteren Auskünfte zum Vorfall selbst geben.

Junge stürzt in die Elbe und muss Rettungsstange loslassen

Zeugen berichteten am Dienstag, das Kind habe vor dem Unglück ohne Eltern auf den Steinen am Ufer gespielt. Zwei Schiffsfotografen, die sich in der Nähe aufgehalten, den Sturz aber nicht mitbekommen hatten, versuchten einzuschreiten.

Als der Junge im Wasser gelegen habe, habe er auf sich aufmerksam gemacht, hieß es vor Ort. Sofort griffen die beiden Männer zur Rettungsstange und warfen ihm einen Rettungsring zu. „Zunächst konnte sich der Junge auch an die Rettungsstange klammern, aber dann verließ ihn die Kraft“, berichtete einer der beiden Augenzeugen später am Anleger.

Nach dem vermissten Jungen wurde mit einem Großaufgebot von Polizei und Feuerwehr gesucht.
Nach dem vermissten Jungen wurde mit einem Großaufgebot von Polizei und Feuerwehr gesucht. © dpa

Junge stürzt in Hamburger Elbe: Suche abgebrochen

„Es war schrecklich, mit ansehen zu müssen, wie der Junge unterging“, erklärte der geschockte Mann. Danach habe man ihn aus den Augen verloren. Fast vier Stunden suchten Rettungskräfte die Elbe nach dem Vermissten ab, um 16 Uhr verließ der letzte Polizeitaucher das Gewässer.

Nach dem Jungen wurde am Dienstag mit Tauchern und Hubschraubern sowie Beamten an Land gesucht – ohne Erfolg.
Nach dem Jungen wurde am Dienstag mit Tauchern und Hubschraubern sowie Beamten an Land gesucht – ohne Erfolg. © HA | André Lenthe

Zuvor waren zahlreiche Rettungsboote von Polizei, Feuerwehr und HPA, teilweise mit Sonar, im Einsatz. Ein Rettungshubschrauber suchte die Wasserfläche bis zum Airbus-Werk ab. Leider verlief die Suche erfolglos.

Am Mittwochmittag nahm die Polizei die Suche nach dem Jungen dann wieder auf. Ab 12 Uhr suchten Boote mit Sonar den Uferbereich der Elbe zwischen Bubendey-Ufer und Finkenwerder ab. Um kurz vor 14 Uhr gingen auch noch einmal Taucher ins Wasser – sie suchten besonders den Bereich um die Dalben vor der Lotsenstation ab.

Auch am Mittwoch stiegen wieder Polizeitaucher ins Wasser – in der Hoffnung, den Jungen zu finden.
Auch am Mittwoch stiegen wieder Polizeitaucher ins Wasser – in der Hoffnung, den Jungen zu finden. © HA | André Lenthe

Warum sprangen die Männer nicht hinterher? Das sagt die DLRG

Derweil ist für DLRG-Präsident Heiko Mählmann nachvollziehbar, dass die beiden Männer, die noch versucht hatten, den Jungen zu retten, nicht hinterher sprangen. „Man kann ihnen in keinster Weise einen Vorwurf machen“, so Mählmann.

Ohne Sicherung und spezielle Schutzkleidung in die strömungsstarke und zu dieser Jahreszeit etwa nur 5 Grad kalte Elbe zu springen, sei mit einem unkalkulierbaren Risiko verbunden. „Wenn man in so einer Situation nicht die richtige Ausrüstung hat, bringt man sich selbst in akute Lebensgefahr“, so Mählmann.