Hamburg. Kulturbehörde und Investor suchen nach Lösungen im Streit um den Erhalt historischer Gebäudeteile am Neuen Wall.
Lange galt die Fassade des 1711 errichteten Görtz-Palais’ am Neuen Wall als das Einzige, was von der einstigen Residenz des kaiserlichen Gesandten noch übrig war. Das Gebäude dahinter war im Zweiten Weltkrieg zerstört und durch einen Neubau ersetzt worden. Beides ist denkmalgeschützt. Was lange niemand wusste: Hinter der Fassade befinden sich noch Mauern aus der Barockzeit. Sie wurden bei Arbeiten entdeckt, die einen Abriss des 50er-Jahre-Baus vorbereiten sollten.
Die Kulturbehörde hatte signalisiert, den Denkmalschutz aufzuheben, damit das Immobilienunternehmen Quantum hinter der Fassade einen Büro-Neubau errichten kann. Auch die historische Durchgangssituation soll wieder hergestellt werden. Sie soll das Entrée zu den Stadthöfen bilden, einem Quartier mit Läden, Büros und Wohnungen, das Quantum derzeit hinter den historischen Nachbarfassaden errichtet. Bei den abrissvorbereitenden Maßnahmen waren hinter den Wandverkleidungen im vorderen Teil des Neubaus Mauern aus der Originalzeit aufgetaucht, durch Risse, Kabelschlitze und Ausbesserungsarbeiten allerdings weitgehend zerstört. Lediglich im Eingangsbereich gibt es noch Backsteinwände in einigermaßen gutem Zustand, teilweise ist sogar noch Stuck-Dekor erhalten.
Wie berichtet, ist um den Erhalt der alten Mauern ein Streit zwischen Stadt und Investor entbrannt. Die Kulturbehörde will sie erhalten und nur den Abriss des hinteren reinen 50er-Jahre-Baus gestatten. Das hält Quantum für nicht umsetzbar, hat aber als Kompromiss angeboten, die historischen Wände im Eingangsbereich zu rekonstruieren und in den Neubau einzubeziehen. Das wiederum reicht der Kulturbehörde nicht.
Auf Gutachten folgt Gegengutachten. Fast zwei Jahre währt der Streit nun. Bereits vor einigen Wochen hat Quantum daher im Auftrag der Projekt Palais GmbH, der die Immobilie gehört, beim Verwaltungsgericht eine Klage wegen Untätigkeit gegen die Stadt Hamburg gestellt. Eine weitere Klage auf Feststellungsantrag wegen mangelnder Denkmalwürdigkeit ist anhängig.
Nicht nur für den Investor, auch für die Nachbarschaft ist die Verzögerung ärgerlich. „Es wäre nicht hinnehmbar, wenn hier wegen eines Gerichtsverfahrens weitere zwei Jahre Stillstand herrschten“, sagt Sebastian Binger, Sprecher des BID Neuer Wall. „Daher appellieren wir an die Stadt, Prioritäten zu setzen und sich schnell mit dem Investor zu einigen.“ Die im neuen Görtz-Palais vorgesehene Eingangssituation zu den Stadthöfen schaffe eine wichtige Wegebeziehung vom oberen Teil des Neuen Walls hinüber zum Heubergplatz am Ende der Großen Bleichen und wäre eine „Riesenchance“ für die Stadtentwicklung vor Ort.
Die Kulturbehörde dagegen beruft sich auf die „höchste stadtgeschichtliche Bedeutung“, des einzigen zumindest in Teilen erhaltenen Barockpalais’ in der Stadt. Sie kritisiert, dass bei einer Realisierung der Investorenpläne nicht nur einfache Wände, sondern die gesamte Raumstruktur verloren gehen würde. Das Denkmalschutzamt sei daher mit dem Eigentümer in „intensiven Gesprächen“, um neben der barocken Fassade noch die weiteren Bestandteile aus der Barockzeit des stadtgeschichtlich bedeutenden Gebäudes erhalten zu können. so Sprecher Enno Isermann. „Dabei geht es darum, machbare Lösungen zu finden, die das Denkmal auch gut nutzbar und möglichst öffentlich erlebbar machen.“
Um sich ein Bild von dem umstrittenen Zustand der historischen Wände im Görtz-Palais machen zu können, durfte das Abendblatt am Montag einen kurzen Blick in die stillgelegte Baustelle werfen. Der Anblick des historischen Mauerwerks im Eingangsbereich ist beeindruckend. Zwar zieht sich ein dicker Riss durch die Ziegelwand, doch die aufgebrachten Stuckverzierungen in Form einer Säule und eines Spitzbogens sind noch gut zu erkennen. Diese Wand will man als Kompromissangebot an das Denkmalschutzamt restaurieren und in eine geplante Passage integrieren, die ab 2017 vom Neuen Wall in die Stadthöfe mit ihren 26 Läden, 90 Wohnungen, Büros und einem Hotel führt.
Bei den übrigen alten Wänden haben Gutachter dagegen festgestellt, dass nur noch Teile wirklich alt seien – und das sieht man. Die Ziegelmauern wurden an den meisten Stellen mit Ytonsteinen geflickt oder aufgestemmt, um Versorgungsleitungen legen zu können. „Eigentlich bezieht sich der Denkmalschutz nur auf Wandfragmente“, betont BID-Sprecher Binger. Warum man diese in den Neubau einbeziehen wolle, sei ihm ein Rätsel.
Möglicherweise lenkt auch die Stadt ein: Am Montag gab es ein Treffen mit Kulturstaatsrat Carsten Brosda. „Die konstruktive Gesprächsatmosphäre stimmt uns zuversichtlich, eine langwierige juristische Auseinandersetzung mit der Stadt umgehen zu können“, so Quantum-Geschäftsführer Frank Gerhard Schmidt nach dem Gespräch.