Hamburg. Weil an Freitagen inzwischen rund 2500 Gläubige kommen, wird in der Al-Nour-Moschee in St. Georg jetzt in zwei Schichten gepredigt.
Wer um zwölf Uhr durch den Kleinen Pulverteich geht, der könnte sich fragen, warum sich hier zwei Polizisten in neongelben Jacken die Beine in den Bauch stehen. Vor ihnen eine graue Baustelle, die aussieht, als wäre sie vor Monaten vergessen worden. Hinter ihnen ein grauer Zweckbau, der die besten Jahre vielleicht nie gehabt hat, eine Tiefgaragenzufahrt und ein Handyladen. Ab und zu fährt ein Auto vorbei.
Wenige Minuten später stehen die beiden Beamten inmitten eines unübersichtlichen Gewusels, schütteln viele Hände und schmettern „Moin“ scheinbar in alle Richtungen. Immer mehr Menschen kommen jetzt. Die meisten von ihnen sind Männer. Sie tragen Bärte oder keine, Kaftans oder Maßanzug, hüpfen mit ihren Freunden aus der Schule über die Straße oder suchen am Gehstock Halt. Schnell sind es Hunderte, die von überall in die gedrungene Seitenstraße hineinströmen.
So geht es hier seit Neuestem jede Woche zu, wenn in der Al-Nour-Moschee Zeit ist für das Freitagsgebet. „Zu besonderen Vorkommnissen ist es hier noch nie gekommen“, sagt einer der beiden Beamten. „Nur ab und zu gibt es Ärger mit Falschparkern.“
Der Gebetsraum empfängt die Betenden mit dem Charme eines Parkhauses
Die Flüchtlingskrise hat aus einem Routinegebet eine Massenveranstaltung gemacht. Vor ein paar Monaten waren es noch Hunderte, inzwischen strömen bis zu 2500 Gläubige an einem Freitag an den Kleinen Pulverteich. Deswegen wurde jetzt eine zusätzliche Gebetszeit eingerichtet. Wer bei der ersten Schicht dabei sein will, muss zusehen, dass er bis 12.30 drin ist. Dann schließt sich die kleine Tür. An einem schmalen Porzellanbecken waschen sich einige Männer ihre Füße, dann schieben sich die Massen eine schmale Treppe hinab, an einem Infoplakat für Flüchtlinge vorbei. Bis in den Keller, hinein in eine andere Welt.
Der Gebetsraum empfängt die Betenden mit dem Charme eines Parkhauses. An der Decke leuchten kühle Halogenstäbe auf gelbe Pfeiler herab, Kabel baumeln herum, der Schwarm zieht an seitlichen Schuhregalen vorbei und deponiert die Hunderte Paare, bis sich die Böden biegen. „Ich fahre extra aus Bergedorf her“, sagt Mamduh, 24, ein Flüchtling aus Ägypten, seine Augen werden beim Gebet glimmen. „Hier wird arabisch gepredigt, es ist Familie, für alle, egal, ob man schon eine hat oder nicht.“
Auf dem Weg zu den Schuhregalen schmatzen sich bärtige Männerschränke Küsschen auf die Wange, hinten lehnen Senioren an der Wand, in die schon engen Sitzreihen drängen sich immer mehr Jugendliche mit zartem Flaum. „Die Umgebung vergisst man beim Beten schnell“, sagt Mamduh. Nach Minuten ist die Luft milchig, ein beißender Geruch steigt auf und zieht unter der Decke des Gewölbes entlang.
Als vorn ein Geistlicher auf Deutsch den Predigtext verliest, schweigt die Masse. „Seid keusch, indem ihr euch von allem Unehrlichen entfernt“, schallt es monoton aus Lautsprechern. Wenig später erhebt sich vorn der Imam Samir El-Rajab und verliest denselben Text auf Arabisch; er- zählt vom Leben im Moment, von Genügsamkeit, Bescheidenheit, und doch bellt er jedes Wort heraus, als müsste er seine Religion vor Gericht mit flammendem Plädoyer verteidigen. Ein Schwarzafrikaner starrt ihn mit aufgerissenen Augen an. Die meisten sind versunken, reiben sich ab und an das Gesicht, richten die Hände nach oben.
„Die Gemeinschaft hat bei uns einen besonderen Wert“
Die Al-Nour-Moschee ist eine von mehr als 50 islamischen Gotteshäusern in Hamburg. „Und voll ist es derzeit durch die vielen Flüchtlinge fast überall“, sagt Norbert Müller, Vorstandsmitglied der Schura, dem Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg e. V. „Das Freitagsgebet hat im Islam eine besonders große Bedeutung, weil sich dort die Moschee-Gemeinde versammelt. Und die Gemeinschaft hat bei uns einen ganz besonderen Wert.“
Irgendwo schreit jetzt ein Baby, und die Stimme eines Kleinkindes ist zu hören. Zu sehen sind sie für die Männer nicht. Frauen und Kinder sitzen zwar im selben Raum, sind aber durch einen Vorhang von den Männern getrennt – und den Imam können sie nur hören. Rund 50 Frauen hocken hier auf dem vergilbten Teppich. Sie tragen weite Gewänder, die mindestens bis zu den Knien reichen, und Kopftücher. Ihre Babys haben sie vor sich auf den Boden gelegt, damit sie die wiederkehrenden Bewegungen machen können. Erst die Niederbeugung, dann die Niederwerfung. Wieder und wieder.
Fatima bewegt sich wie im Trance, ihre Lippen bewegt sie zu den Worten des Imam. Sie ist erst seit Kurzem eine Muslima, aufgewachsen ist sie als Christin. „Aber mit dem Islam fühle ich mich Gott näher“, sagt die Erzieherin. „Und das Freitagsgebet spielt eine große Rolle, auch wenn es für Frauen nicht verpflichtend ist.“
45 Minuten sind vergangen, seit die Menschen in die Moschee geströmt sind. Immer wieder tönt zum Abschluss „Allahu akbar“, Gott ist groß, die Masse erhebt sich und strömt ins Freie. Wieder wechseln Küsse, Zigaretten glimmen auf, die umliegenden Dönerläden werden bald überquellen. Die Gemeinde verteilt sich in alle Richtungen, in Häuser, Wohnungen und Baumarkthallen.
„Es war unbeschreiblich“, sagt Muhammad, er kam aus Algerien nach Deutschland. Was er mitnehme? „Der Imam hat recht, die Zukunft liegt allein in Gottes Hand. Wir müssen jeden Tag dankbar sein.“