Hamburg . Mehrere Hamburger Gemeinden bieten Unterkünfte für eine Nacht an. Sie versorgen die Durchreisenden mit dem Nötigsten.
Der böige Wind treibt kalte Regenschwaden über den Hachmannplatz. Viele Flüchtlinge, die auf ihrem Weg in ein anderes Land am Hauptbahnhof gestrandet sind, haben sich in die Wandelhalle geflüchtet. Andere stehen draußen im Dunkeln, vor den Versorgungszelten. Plötzlich kommt Bewegung auf. Junge Menschen in bunten Westen, die sich hier als Helfer und Dolmetscher engagieren, teilen die Flüchtlinge in Gruppen ein.
Sie führen einen großen Teil, überwiegend Männer, über die Kirchenallee zur Al-Nour-Moschee, die seit Wochen Nacht für Nacht 500 Geflüchtete aufnimmt. Die anderen, darunter viele Kinder und Jugendliche, begleiten sie in vom Kirchenkreis Ost gecharterten Bussen zu den 15 Hamburger Kirchengemeinden, die derzeit ebenfalls Transitflüchtlinge beherbergen.
Ins Nachtquartier der Kirchengemeinde Winterhude-Uhlenhorst geht es der Einfachheit halber mit der Buslinie 6. Miriam Krohn, die heute für den Transport verantwortlich ist, marschiert mit vier Familien und einigen jungen Männern im Schlepptau zur Bushaltestelle. „Die meisten Fahrer winken uns durch, sofern der Bus nicht allzu voll ist“, sagt die Projektleiterin der Initiative „Q8“, die sich in Winterhude-Uhlenhorst für die Quartiersentwicklung einsetzt und die Hilfsaktion seit zwei Wochen mit der Heilandskirche und dem Goldbekhaus organisiert.
Jede Nacht dürfen 40 Flüchtlinge im Gemeindesaal schlafen. Sie bekommen außerdem Abendessen und Frühstück, kannenweise heißen Tee und werden bei Bedarf ärztlich versorgt. Den Weg von der Bushaltestelle legen die Geflüchteten erschöpft, aber froh über die Übernachtungsmöglichkeit zurück. Im Gemeindehaus werden sie mit einem gut gefüllten Büfett, warmen Worten und ein paar freundlichen Hinweisen begrüßt. Aref, der 2011 selbst als afghanischer Flüchtling nach Hamburg gekommen ist und sich seit Wochen als ehrenamtlicher Dolmetscher am Hauptbahnhof betätigt, übersetzt. „Dort hinten sind getrennte Toiletten, geraucht wird draußen, hier können Sie Ihre Handys aufladen, dort liegen Decken und Kissen für Sie bereit – und das hier ist die Ärztin, Frau Hemmi.“
Fast alle Flüchtlinge husten und niesen, manche haben sich auf ihrer Flucht verletzt. Tanja Hemmi, Anästhesistin aus der Asklepios Klinik St. Georg, hat viel zu tun. Der neunjährige Rezar etwa hat eine verkrustete Wunde an der Stirn, die Arme seiner Mutter Hariba sind übersät mit kleinen Narben. „Unser kleines, völlig überfülltes Boot ist an den Felsen von Lesbos zerschellt“, erzählt die Afghanin, die bei dem Unfall ihren Mann und ihren Bruder verloren hat. „Jetzt bin ich ganz allein für unser Leben verantwortlich“, sagt sie verzagt. Fotografieren lassen will sie sich nicht. „Wenn die Taliban mich so sähen, würden sie mich töten“, sagt sie und zupft das Tuch, das lose über ihrem Haar liegt, zurecht.
Die Taliban sind auch der Grund, warum Sagia, ihre Mutter, ihre drei Brüder und zwei Cousins aus Kabul geflohen sind. „Sie haben vor zwei Monaten meinen Vater erschossen. Vor meinen Augen“, erzählt die 17-Jährige und fängt bitterlich an zu weinen.
Jeder der Flüchtlinge, die hier Abend für Abend auftauchen, hat Schreckliches erlebt – für die Ehrenamtlichen eine enorme Belastung. „Manche mussten aufhören, weil sie das Leid nicht ertragen konnten“, sagt Miriam Krohn. Trotzdem ist das Engagement groß. Rund 100 Freiwillige haben sich gemeldet. Sie koordinieren ihre Einsätze auf einer Liste im Internet, in der sich jeder für den Dienst einträgt. Über Aushänge und auf Zuruf wird organisiert, wer frische Suppe kocht, Kleider sortiert und putzt.
So hilft Hamburg den Flüchtlingen
Auch im Pastorat der Maria-Magdalenen-Kirche in Klein Borstel, in dem seit einer Woche nachts bis zu 50 Transitflüchtlinge unterkommen, ist die Arbeit straff organisiert. „Ab 18.30 Uhr sind drei Küchendienstler, vier Betreuer, ein Arzt, zwei Dolmetscher und fünf bis sechs weitere Freiwillige vor Ort“, sagt Ilka Mamero von der Initiative „Klein Borstel hilft“, die als Organisatorin jeden Tag dabei ist. „Zwischen 22 und 7 Uhr gibt es eine Nachtwache, dann kommen zwei Küchendienstler und zwei Betreuer und um 9.30 Uhr, wenn die Flüchtlinge abgeholt wurden, zehn Leute zum Putzen von Bädern und Schlafräumen.“
Das Pastorat hatten die Klein Borsteler dem Kirchenkreis bereits vor sechs Wochen als Unterkunft für Flüchtlinge angeboten. „Es ist schön, dass jetzt auf Worte Taten folgen können“, sagt der Kirchenvorstandsvorsitzende Jens Diercks. Viele Klein Borsteler, die gegen den von einigen Nachbarn erklagten Baustopp für eine geplante Flüchtlingseinrichtung sind, wären froh, jetzt durch ihre Hilfsbereitschaft ein Zeichen setzen zu können. Als der Kirchenkreis am vergangenen Donnerstag fragte, ob schon am selben Abend Transitflüchtlinge aufgenommen werden könnten, halfen etwa 100 Klein Borsteler, das lange leer stehende Pastorat innerhalb eines Nachmittags wohnlich herzurichten. „In Windeseile wurden Strom und Heizung wieder angestellt, 40 Betten, das nötige Bettzeug und Lampen organisiert“, so Ilka Mamero. Auch die tägliche Versorgung und alles, was dazugehört, funktioniert gut: Die Einzelhändler aus dem nahen Dorfkern spenden Lebensmittel. Und die benutzte Bettwäsche wird täglich von den Klein Borstelern gewaschen, getrocknet und zurückgebracht.
In der Hauptkirche St. Katharinen schlafen seit Sonntagnacht Flüchtlinge vor dem Altar. „Wir können 50 Menschen in der Kirche beherbergen“, sagt Pastor Frank Engelbrecht, während er Isomatten auf dem Kirchenboden ausrollt. Ehrenamtliche Helfer haben Shampoo, Seife und Kleidungsstücke auf langen Tischen aufgebaut. In einem Nebenraum stehen Brot, frisches Gemüse und Getränke bereit. Um kurz nach 20 Uhr rollt der Bus mit den Schutzsuchenden auf dem Kirchplatz vor. „In beiden Nächten war die Stimmung schön“, sagt Engelbrecht. Die Menschen, darunter viele junge Leute, seien dankbar für das Notquartier.
St. Katharinen, Maria Magdalenen und die Heilandskirche werden ihre Notquartiere weiterhin anbieten – auch wenn Entlastung naht. Nach Abendblatt-Informationen wollen der Kirchenkreis Hamburg-Ost, das Erzbistum Hamburg, der Caritasverband und die Stadtmission im Hochhaus „Neue Burg“ neben dem Mahnmal St. Nikolai 300 Schlafplätze für Transitflüchtlinge einrichten..