Neustadt. Das Konzept der Polizei am Jungfernstieg fruchtet offenbar nicht. Anwohner und Grüne fordern Tempolimits und schärfere Kontrollen.
Die Sonne senkt sich am Jungfernstieg. Im Restaurant Alex sind fast alle Außenplätze besetzt. „Sehen und gesehen werden“, lautet das Motto. Fußgänger flanieren übers Trottoir, manche essen ein Eis. Fahrradfahrer bahnen sich ihren Weg durch das Getümmel. Wochenendstimmung am Jungfernstieg.
Die Ampel am „Alex“ zeigt Rot. In der ersten Reihe buhlen junge Männer mit verspiegelten Sonnenbrillen im offenen BMW-Cabrio und in einem Porsche Boxster um Aufmerksamkeit. Das Gaspedal wird zum Pulsbeschleuniger. Eine Gruppe junger Mädchen verdreht die Köpfe. Die Ampel springt auf Grün. Mit ohrenbetäubendem Lärm jagen die Wagen über den Jungfernstieg in Richtung Gänsemarkt. Ein perfekter Auftritt. Und ein brandgefährlicher dazu.
Jetzt im Frühjahr werden die Straßen rund um die Binnenalster wieder zur illegalen Rennstrecke. Aufheulende Motoren, genervte Passanten, empörte Geschäftsleute – die Lage ist aus dem vergangenen Jahr bekannt. Und nicht selten kracht es am Jungfernstieg und am Ballindamm. Genaue Unfallzahlen werden laut Polizei in dem Bereich allerdings nicht erhoben: Es sei nun einmal kein Unfallschwerpunkt, heißt es.
Ballindamm sei ein Beschleunigungsstreifen für die Formel 1
Im Sommer vergangenen Jahres wurden Hunderte Passanten Zeugen eines spektakulären Unfalls infolge eines illegalen Wettrennens am Jungfernstieg, das für einen Smart-Fahrer, 20 Jahre alt, der in Höhe Große Bleichen einen Mercedes abhängen wollte, an einem Ampelmast endete. Und den jungen Mann ins Koma katapultierte. Es war der traurige Höhepunkt der illegalen Autorennen im Herzen der Stadt.
Ein Aufschrei ging durch die Öffentlichkeit. Die Polizei verstärkte daraufhin ihre Präsenz im Bereich Binnenalster: Motorradpolizisten nehmen seither verstärkt Raser aufs Korn, es gebe Verkehrskontrollen mit Schwerpunkt auf Alkohol und Drogen sowie mobile und stationäre Tempokontrollen, heißt es auf Anfrage. Auch Platzverweise habe man bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ausgesprochen, die Pferdestaffel sei präsent – insbesondere freitags und sonnabends. Bisher haben die getroffenen Maßnahmen allerdings offenbar nicht dazu geführt, die Situation dauerhaft zu entschärfen. Weitere Maßnahmen, so heißt es von der Polizei, sind nicht geplant.
Bei Geschäftsleuten am Ballindamm wächst der Ärger. „Diese Straße ist ein Beschleunigungsstreifen für die Formel 1“, sagt Richard Winter, Niederlassungsleiter von Jones Lang LaSalle Immobilien in Hamburg. Er wünscht sich eine Flaniermeile nach Art der „Ramblas“ in Barcelona – verkehrsberuhigt mit Tempo 30 und gepflegter Außengastronomie.
Kaum Tempokontrollen am Jungfernstieg
Die Grünen hatten 2014 – noch in der Opposition – ein neues Verkehrskonzept vorgeschlagen, das zur Verkehrsberuhigung am Jungfernstieg und Ballindamm beitragen sollte. Motto: weniger Raum für Autos, mehr Raum für Radfahrer und Fußgänger. Es ist ansatzweise umgesetzt worden: So wurde im Bereich Jungfernstieg/Neuer Wall der wasserseitige Fahrstreifen zur Busspur umgewidmet. Damit fließt der Individualverkehr nur noch einspurig pro Fahrtrichtung – zumindest theoretisch.
Was die Raser zurückdrängen sollte, entpuppt sich jedoch im Nachhinein als Nachteil: „Am Jungfernstieg können wir wegen der Busspuren nur sehr schwer messen. Deshalb finden Tempokontrollen dort kaum statt“, räumt Polizeisprecher Andreas Schöpflin ein. Also wird rund um die Alster fröhlich weiter gerast und lautstark vor den Ampeln posiert, was das Zeug hält. Auf der Lombardsbrücke wurden bei Tempokontrollen seit Sommer vorigen Jahres in der Spitze bis zu 102 Stundenkilometer gemessen, am Ballindamm hatte der Spitzenreiter sogar 110 Stundenkilometer auf dem Tacho – mehr als doppelt so viel wie erlaubt.
Den Grünen gehen die bisherigen Kontrollen nicht weit genug. Zwar habe man versucht, die Partymeile am Jungfernstieg in den Griff zu bekommen. Aber: „Gegen Tempoüberschreitungen wird nichts unternommen“, kritisiert Michael Osterburg, Fraktionschef der Grünen im Bezirk Mitte. Es gebe im Bereich Jungfernstieg viele Unfälle, die Polizei spiele das Thema herunter.
Wird eine Blitzanlage am Jungfernstieg eingeführt?
Allerdings ist im Koalitionsvertrag vom Verkehrskonzept der Grünen nichts zu finden. „Es gibt weiterhin Handlungsbedarf am Jungfernstieg und am Ballindamm. Unsere Forderungen zur Verkehrsberuhigung gelten fort“, stellt der Verkehrsexperte der Grünen in der Bürgerschaft, Martin Bill, klar. Gerade am Ballindamm gebe es viel zu viel Raum für Pkw. Man wolle Hamburg zur Fahrradstadt machen und werde im laufenden Geschäft entsprechend auf die SPD zugehen.
Das Konzept der Grünen sieht vor, den Ballindamm auf der Wasserseite für den Autoverkehr zu schließen und Fußgängern und Radfahrern dort mehr Raum zu geben. Auch die Gastronomie in dem Bereich solle „hochwertiger“ ausgerichtet werden.
„Wir fordern außerdem, die Straße Jungfernstieg schmaler zu gestalten und zumindest in den Abend- und Nachtstunden für den individuellen Autoverkehr zu sperren“, sagt Michael Osterburg. Nur die Anlieger der Großen Bleichen und des Neuen Wall sollten von diesem Verbot ausgenommen werden. Beschlossen ist zumindest, die Durchfahrt von der Petrikirche über die Bergstraße in Richtung Jungfernstieg spätestens zum Ende des Jahres zu sperren. Osterburg fordert darüber hinaus, am Jungfernstieg eine stationäre Blitzanlage aufzustellen, um die Raserei in den Griff zu bekommen.