Die „Cargobikes“ stoßen bei der Radreisemesse im CCH auf großes Interesse. Für viele sind sie eine echte Alternative zum Auto.

Hamburg. Mit kritischem Blick betrachtet Janine Spinde das merkwürdige Gefährt, das demnächst ihr Familienauto ersetzen soll: ein Fahrrad mit langem Radstand und großer Schale, die wie bei einer Kutsche mit einem Verdeck überspannt ist. Als Lasten- oder auch Transportrad werden diese Zweiräder im offiziellen Sprachgebrauch bezeichnet. Von der Post kennt man sie, einst brachten damit auch Bäckergesellen die Brötchen. Doch die früher meist schwarzen Transporträder erleben offenbar in nordeuropäischen Großstädten eine bunte Renaissance: Vor allem in Amsterdam und Kopenhagen werden neue Varianten dieses eigentlich alten Fahrzeuges produziert. Aber auch in Hamburg wird das Lastenrad offenbar zu einem neuen Trend der Mobilität. Diesen Eindruck konnten zumindest Besucher der ADFC-Radreisemesse im CCH gewinnen. Gleich mehrere Firmen und Hersteller zeigten dort am Sonntag ihre Produkte, in einer Halle luden sie zu Probefahrten mit den neuzeitlichen Lasteseln. Und davon machten Janine Spinde und ihr Freund wie viele andere Messebesucher auch reichlich Gebrauch. Die 26-Jährige erwartet bald ihr erstes Kind. „Und für den Nachwuchs ist das auch gedacht“, sagte sie. Das junge Paar aus Othmarschen besitzt zwar ein Auto, „doch das lassen wir immer häufiger stehen, weil man doch keinen Parkplatz findet.“ Das Kind zur Kita bringen, den Einkauf, die kurzen Fahrten – das wollen die beiden künftig mit einem solchen Rad erledigen.

Und damit sind sie die idealen Kunden für René Reckschwardt. Der 40-jährige, studierte Stadtplaner hat sich gerade zum Jahresanfang mit einem Geschäft selbstständig gemacht, das ausschließlich auf solche Lastenräder spezialisiert ist. Bei „Ahoi Velo Cargobikes“ am Schlump kann man verschiedene Varianten testen und auch leihen.

Reckschwardt war bei einer Geschäftsreise in Kopenhagen auf diese Transportgefährte aufmerksam geworden. In der dänischen Hauptstadt kurven Schätzungen zufolge bereits 40.000 dieser Lasträder durch die 750.000-Einwohner-Stadt. Hamburg besitzt zwar nicht ein so gut ausgebautes Radwegenetz wie die dänische Hauptstadt. Aber erklärtes Ziel des bisherigen SPD-Senats ist ein Ausbau des Radverkehrs – was sich mit den Grünen als möglicher Koalitionspartner nun noch beschleunigen könnte. Zudem besitzen fast 50 Prozent der Hamburger Haushalte schon jetzt kein eigenes Auto mehr. Genügend Kunden in der mehr als doppelt so großen Stadt Hamburg müssten also vorhanden sein, hofft Reckschwardt. Lastenräder hätten vor allem aus zwei Perspektiven ein großes Potenzial für eine Stadt, sagt der Stadtplaner, der so sehr davon überzeugt ist, dass er eben den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt hatte. Zum einen seien es junge Familien, die wie Janine Spinde das Transportrad als Autoersatz sehen. 100 und mehr Kilogramm lassen sich damit bewegen, ohne im Stau zu stehen oder lange nach Parkplätzen suchen zu müssen. Und man könne eben auch kleine Kinder damit geschützt durch die Stadt transportieren. „Anders als bei Anhängern hat man die Kleinen dann immer gut im Blick“, sagt er. Zudem seien Lastenräder deutlich sicherer als die fragilen Anhänger-Rad-Kombinationen.

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Fahrradmesse
© Roland Magunia

in anderer Kundenzweig dürften Kurierdienste und ähnliche Transportunternehmen sein. Gerade die letzten 1,5 Kilometer des Transportweges gelten als die teuersten, weil in dieser „letzten Meile“ die motorisierten Transporteure oft im Stau stecken oder keinen Parkplatz finden. Nach einer Studie der TU-Dortmund dürfte der Lastenradverkehr daher in den Städten deutlich zunehmen. Vor allem in einer wachsenden Stadt, wo der Platz auf den Straßen immer enger wird. Transporträder seien daher „weniger eine Alternative, sondern vielmehr ein logischer Schritt, um kurzfristig und produktiv Veränderungen im städtischen Wirtschaftsverkehr zu erreichen“, schreiben die Wissenschaftler in ihrem Fazit.

Zumal die heutigen Lastenräder nur noch wenig an ihre klobigen Ahnen erinnern, wie die Beispiele auf der Messe zeigten. Einfache Modelle für knapp 1000 Euro gab es dort zu sehen. Dann aber auch ausgefeilte Fahrzeuge mit kräftigen E-Motoren als Unterstützung, die auch schon einmal fast 5000 Euro und damit so viel wie ein gut erhaltener Gebrauchtwagen kosten können. Klassische Varianten wie das „Long John“ fahren mit einem kleinen Rad ganz vorne, die Last liegt dann zwischen dem vordersten Part und dem Fahrer. Etwas ungewöhnlich gestaltet sich damit am Anfang die Kurvenfahrt – aber es geht.

Bei anderen Modellen liegt die Last direkt auf dem Vorderrad, was so ein Rad agiler macht. Und dennoch lassen sich bei manchen dieser Räder bis zu 150 Kilogramm zuladen. Zwölf Cola-Kisten habe er damit schon gefahren, sagt Lastrad-Spezialist Reckschwardt. Doch so viel muss es wohl nicht immer sein: Selbst für Kinder gibt es mittlerweile kleine Varianten, die aussehen wie Bobbycar-Lkw. Lastenrädern, so scheint es, gehört eben die Zukunft auf den Straßen der Stadt.