Von einer Entwicklung zum Szenequartier ist am Reiherstieg in Wilhelmsburg wenig zu sehen, stattdessen kämpft das Viertel mit einem massiven Ladensterben.

Hamburg. Das Reiherstiegviertel in Wilhelmsburg wurde schon als neue Schanze gehandelt. Doch daraus wird vorerst nichts. Von einer Entwicklung zum Szenequartier ist wenig zu sehen, stattdessen kämpft das Viertel mit einem massiven Ladensterben.

Vier Geschäfte und Kneipen haben jetzt geschlossen. „Messie de Luxe“ hat aufgegeben, die Lokale „Mittenmang“ und die „Tonne“ auch. Die Fenster der „Kaffeeliebe“ sind mit Zeitungspapier zugeklebt – bei dem beliebten Café soll es angeblich an der immer teurer werdenden Miete gelegen haben.

Schluss ist auch bei „Wilhelmine“ an der Veringstraße Das ist nicht zu übersehen: „Räumungsverkauf“ prangt in großen Lettern im Schaufenster des trendigen Klamottengeschäfts. Sueheyla Akdeniz hatte hier 2012 ihren Laden eröffnet. „Ich habe an dieses Viertel geglaubt. Aber meine Erwartungen an eine nachhaltige Aufwertung, wurden nicht erfüllt“, sagt Akdeniz.

Eigentlich hat die Unternehmerin gar keine Lust zu reden. Aber dann macht sie ihrem Ärger doch Luft: „Die Politik hat versagt. Es wurde immer suggeriert, dass das hier ein hippes Viertel wäre. Aber das hat sich nicht bewahrheitet.“ Das Fazit der Designerin ist bitter: „Wir haben hier kaum Kaufkraft und Laufkundschaft. Ich würde gerne mal wissen, wie sich die Politik die Zukunft des Reiherstiegviertels vorstellt“, sagt Akdeniz. Was sie in Zukunft macht, weiß Akdeniz noch nicht.

Der „Räumungsverkauf“ zieht in diesen Tagen viele Kunden an. Thema ist dann auch die Entwicklung des Quartiers. Eine Frau aus der Nachbarschaft sagt: „Ich bin hier vor einigen Jahren mit meinem Kind hergezogen, weil ich dachte, dass hier nach und nach eine andere Klientel her zieht.“ Doch die Akademikerin wurde eines Besseren belehrt: „Es hat sich wenig getan. Leider.“

Auch Designer Jörg Rickert hat auf das Reiherstiegviertel gesetzt und sich 2011 mit seinem Partner selbstständig gemacht: „Ich habe für dieses Quartier ein großes Entwicklungspotenzial gesehen, einfach an den Standort geglaubt.“

An der Mokrystraße, die von der Fährstraße abgeht, mieteten sie ein Ladengeschäft und eröffneten „Messie de Luxe.“ Taschen, selbstentworfene Kleidung, Accessoires und Möbel wurden hier angeboten. Zunächst lief es gut: „Wir konnten uns schnell eine Stammkundschaft aufbauen.“ Doch nach und nach wurde es weniger: „Viele kaufkräftige Kunden sind hier wieder weg gezogen und das haben wir auch bei unseren Umsätzen zu spüren bekommen“, sagt Rickert. Schließlich zog Rickert die Reißleine: „Es ging einfach finanziell nicht mehr, und da haben wir unser Geschäft Ende September abgewickelt.“ Seine Taschen, die er selber entwirft, verkauft der Designer jetzt im Internet. Sein Fazit: „Das Reiherstiegviertel wurde gehypt, besonders von der Politik, doch eine wirklich nachhaltige Entwicklung gibt es bis heute nicht.“

Das Reiherstiegviertel stand über Jahrzehnte vor allem für einkommensschwache Menschen und Migranten. Der Einzelhandel war geprägt von Kiosken und Imbissen.

Auch Bezirk und Politik beobachten die aktuelle Entwicklung mit Sorge: „Es ist natürlich keine positives Signal, wenn zahlreiche Ladenbetreiber und Gastronomen im Reiherstiegviertel wieder aufgeben“, sagte Mittes Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD). „Von einer generell negativen Entwicklung kann aber nicht die Rede sein. Es geht aufwärts mit diesem Quartier.“ Es gebe zahlreiche Neubauprojekte, und viele Altbauten werden saniert, und dementsprechend zögen zum Teil auch einkommensstärkere Haushalte ins Reiherstiegviertel, sagt Grote.

CDU-Politiker Jörn Frommann, der demnächst für die Christdemokraten im Regionalausschuss Wilhelmsburg sitzt, sagt: Es ist bedauerlich, dass der Schwung der letzten Jahre zu Ende zu sein scheint.“ Politik und Verwaltung seien aufgefordert, dem Stadtteil auch weiterhin seine volle Aufmerksamkeit zu schenken und sich der Sorgen und Ängste der Bewohner anzunehmen, sagte Frommann weiter.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi analysiert: „Pioniere haben es immer schwer. Einige haben Erfolg und andere nicht.“ Für einige Segmente reiche die Kaufkraft noch nicht. Konkrete Pläne hat Grünen-Fraktionschef Michael Osterburg: „Wir wollen die Entwicklung des Reiherstiegviertels behutsam und gemeinsam mit den Bewohnern vorantreiben.“ Der Politiker ist sicher: „Wenn sich die Konzepte an den Bedürfnissen der Menschen im Viertel orientieren, wird sich das auch langfristig für die Betreiber auszahlen.“