Der Alkoholkonsum auf den Straßen und öffentlichen Plätzen in Wilhelmsburg beschäftigt den Sanierungsbeirat Südliches Reiherstiegviertel. Das Bürgerbeteiligungsgremium sieht in Repression keine Lösung
Wilhelmsburg. Die von der Hamburger CDU kritisierten Verwahrlosungstendenzen in den Stadtteilen lassen sich auch in Wilhelmsburg erkennen: Trinker auf öffentlichen Plätzen und Unrat im Reiherstiegviertel sind kein seltenes Bild. Die Bewohner des lebendigen Viertels lassen sich aber nicht zu Forderungen hinreißen, Trinker von den Straßen und Plätzen mit Repressalien zu verdrängen. Bei einer Diskussion im Sanierungsbeirat Südliches Reiherstiegviertel über Alkoholkonsum im öffentlichen Raum waren besonnene Stimmen deutlich in der Mehrheit: „Wir sollten keine Ausgrenzung betreiben“, sagt das Beiratsmitglied Ingeburg Kiesewetter.
Eine hemmungslose Partyszene auf dem Jungfernstieg und die offene Trinkerszene auf dem Hansaplatz nahe des Hauptbahnhofes haben in der vergangenen Woche die Hamburger Bürgerschaft beschäftigt. Die CDU fordert den abgeschafften Bezirklichen Ordnungsdienst zurück.
Der Sanierungsbeirat Südliches Reiherstiegviertel sieht dagegen in behördlichen Repressalien nicht den geeigneten Weg, dem Alkoholkonsum auf den Straßen und Plätzen zu begegnen. Das Bürgerbeteiligungsgremium könnte zwar mit einem Beschluss eine Diskussion im Ausschuss für Wohnen und Stadtteilentwicklung der Bezirksversammlung Hamburg Mitte herbeiführen, hat aber im Falle der Trinkerszene in Wilhelmsburg darauf verzichtet.
Jörg Penning vom Sanierungsträger Gesellschaft für Stadtentwicklung berichtet, dass ein Verbot des Alkoholkonsums im öffentlichen Raum grundsätzlich kaum durchzusetzen sei. Verwaltungsgerichte hätten verschiedene Versuche von Stadtverwaltungen in Deutschland, ein Alkoholverbot zu erlassen, wieder aufgehoben. Es müsse der Nachweis erbracht werden, dass von Leuten die öffentlich Alkohol trinken, tatsächlich Gewalt ausgehe oder Müll liegen gelassen werde.
Die Trinker in Wilhelmsburg, heißt es im Beirat, würden ihre Bierflaschen ja meist zu den Kiosken zurückbringen, um das Pfandgeld zu kassieren. Beliebte Plätze der Trinker im Reiherstiegviertel sind der Stübenplatz und das Ufer am Veringkanal. Gruppen von Trinkern wandern auch von Kiosk zu Kiosk und verweilen dort jeweils lange. Das sei für Anlieger schon belästigend.
Der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Reiherstieg, einem Zusammenschluss von Geschäftsleuten, hatte die Diskussion im Beirat initiiert. Trinker würden überall urinieren, wo es möglich sei, sagt Peter Flecke. Er sehe nicht ein, dass Kinder sich das ansehen müssten. Sein Vorschlag: Der Beirat solle Kioskbesitzer darauf aufmerksam machen, dass vor ihren Verkaufsständen nicht getrunken werden dürfe. Die Gesellschaft für Stadtentwicklung denkt über einen Appell an die Kioskbetreiber nach.
Mathias Bölkow (Grüne) rät, die Verkaufszeiten an den Kiosken einzuschränken. Das sei seiner Meinung nach der einzige Erfolg versprechende Ansatz, um auf die spezifischen Situation der Trinkerszene in Wilhelmsburg zu reagieren. An den „Klappen“ genannten kleinen Kiosken sei an sieben Tagen in der Woche und nahezu 24 Stunden täglich Alkohol erhältlich. „Wir müssen nachdenken, ob dieses Geschäftsmodell tragbar ist“, sagt Bölkow.
Die Idee hat im Beirat keine ernsthafte Chance. Nirgendwo in Hamburg gibt es mehr Kioske als in Wilhelmsburg. Die „Klappen“ genannten Verkaufsstellen haben eine lange Tradition und gelten in dem Stadtteil als Kulturgut.
Das Bezirksamt Mitte macht auf Nachfrage des Abendblattes deutlich, dass die meisten Kioske Konzessionen als Gaststätten hätten und deshalb Bier und Wein in „geschlossenen Behältern“ nahezu rund um die Uhr verkaufen dürften. Das Bezirksamt sieht in rechtlichen Beschränkungen der Kioske keinen Ansatz, das Trinkerproblem zu lösen.
Der Mehrheit im Beirat schwebt ohnehin lieber ein betreutes Angebot für Trinker vor. Das als Hans-Fitze-Haus in Harburg bekannte Zentrum für soziale Integration von suchtgefährdeten Menschen könnte ein Vorbild sein. „Wir haben zu wenig einladende Orte für Menschen, die kein Geld haben“, sagt Michael Rothschuh. Diese müssten geschaffen werden. „Alles andere“, sagt er, „wäre Verdrängung.“