Die ehemalige Sondermüll-Deponie an der A1 gehört zu Hamburgs höchsten Erhebungen. Mittlerweile hat sich hier eine vielfältige Vogelwelt angesiedelt. Vogelkundler führen Besucher durch das ungewöhnliche Biotop.
Hamburg. Das Eingangstor von Hamburgs ehemaliger Giftmüll-Deponie Georgswerder scheint auch die Reviergrenze zweier Zaunkönige zu sein. Gut abgedichtet lagern hier rund 200.000 Tonnen zum Teil hochgiftiger Haus- und Industriemüll. Doch in den Büschen und Sträuchern über der Abdeckung haben sich mittlerweile Singvögel angesiedelt, die das Gelände zwischen Autobahn und Industrie idyllisch erklingen lassen.
Regelmäßig werden zwischen April und Juni auf der ehemaligen Mülldeponie zu früher oder später Stunde Vogelstimmen-Wanderungen angeboten. Jens Sturm, Mitarbeiter der Umweltbehörde, kennt die Vogelstimmen seit seiner Kindheit in der Haseldorfer Marsch. Die Mönchsgrasmücke flötet, die Gartengrasmücke klingt so ähnlich – „nur etwas schwatzhafter“, erläutert Sturm. Ein Rotkehlchen stößt einen Warnruf aus. Dazu tiriliert die Singdrossel. „Einer der schönsten Gesänge in Deutschland.“
Das sah früher ganz anders aus. Nach dem Krieg wurde das Gelände auf der Veddel als Deponie für Trümmer und Hausmüll genutzt. Ende der 60er Jahre kamen auch Industrieabfälle dazu – Farben und Lösungsmittel, Kühlschränke und Autoteile. Auch eines der größten Tabakvorkommen soll in dem Müllberg lagern, weil der Zoll die beschlagnahmten Zigaretten hier entsorgte.
1979 wurde der Betrieb eingestellt. Bis dahin war die Deponie bereits auf über 40 Meter angewachsen und damit eine der höchsten Erhebungen Hamburgs. Mit ihren rund sieben Millionen Kubikmetern hätte sie etwa zwei mal in die Außenalster gepasst.
Ende 1983 teilte die Umweltbehörde mit, dass hochgiftiges Dioxin austrat und ins Grundwasser gelangte. Außerdem wurde bekannt, dass hier das Pflanzenschutzmittel E605 (Parathion) lagert. Hamburg hatte einen weiteren Umweltskandal. Seit 1986 wurde der Müllberg dann aufwendig abgedichtet und mit einer Kunststoffhülle überzogen. Die Kosten betrugen knapp 100 Millionen Euro.
Eine zwei Meter dicke Erdschicht wurde mit Büschen und Sträuchern bepflanzt. Bäume dürfen hier nicht wachsen, weil sie die Abdichtung schädigen würden. Windräder, eine Photovoltaikanlage und auch die Deponiegase werden für die Energiegewinnung genutzt. Mittlerweile heißt die Giftmüll-Deponie daher „Energieberg“ und war 2013 ein Projekt der Internationalen Bauausstellung IBA. Besucher genießen auf dem neu gestalteten Rundweg einen eindrucksvollen Blick auf Industrie, Hafen und Stadtkern.
Inzwischen hat sich die erste Generation der Singvögel schon verabschiedet. Noch vor einigen Jahren sei der Fitis weit verbreitet gewesen, erinnert sich Jens Sturm. Doch die immer dichter werdende Vegetation habe ihn offenbar vergrault. In den 90er Jahren hat hier auch die Feldlerche gesungen. Vermutlich wurde sie von den Schlagschatten der Windräder verscheucht.
Dass im Hintergrund stetig der Autobahnverkehr rauscht, scheint die Tiere nicht zu stören. Fasane haben sich hier angesiedelt. Am Rand des Geländes leben Graureiher und Kormoran, in den Teichgräben quaken Teichfrösche. Vogelkundler entdecken Zilpzalp, Braunkehlchen und Steinschmätzer. Ganz selten schlägt auch mal eine Nachtigall. „Das ist Idylle pur hier“, sagt Jens Sturm.