Am Tag nach dem Großbrand in Hamm werden die Tragödien hinter der Katastrophe sichtbar. Mehrere Geschäftsleute bangen um ihre Existenz.
Hamburg. Von dem Lagerhallenkomplex am Hammer Deich 70 steht am Dienstagmorgen nur noch ein verkohltes Gerippe und über Hamm weiterhin ein Rauchpilz. Die ganze Nacht hindurch hat die Feuerwehr versucht, den Großbrand unter Kontrolle zu kriegen. Sie hat aus allen Rohren Wasser auf das Gebäude gespritzt, hat sogar einen Löschroboter in die Halle geschickt. Vergebens. Am Morgen brennt die Lagerhalle neben der Bille, inzwischen vom Einsturz bedroht, noch immer. Bis zu 70 Angehörige der Berufsfeuerwehr, der Freiwilligen Feuerwehren und des Technischen Hilfswerks kämpfen gegen die Flammen.
Jetzt stellt sich heraus, dass das Großfeuer von Hamm weit schlimmer ist als zunächst angenommen. Denn am Morgen offenbaren sich die Tragödien hinter der Katastrophe. Es sind eben nicht nur ein paar Kühlschränke, Autoteile und Gummiwaren in Flammen aufgegangen. Sondern auch ein Tonstudio, die Kollektion eines jungen Modelabels und mehrere Proberäume Hamburger Bands. Das Feuer hat nicht nur ein Gebäude zerstört – es hat Träume vernichtet. Und es bedroht Existenzen.
Am Dienstagmorgen sind die ersten Mieter gekommen, um sich ein Bild von den Brandschäden zu machen. Viele sind verzweifelt. Auch Jan Thelen steht fassungslos vor den Trümmern der Halle. Am Montagmittag hat er vom Hauswart erfahren, dass das Lager seiner Bekleidungsfirma „recolution“ von dem Feuer betroffen ist. „Rund 80 bis 90 Prozent unseres Lagerbestands war dort“, sagt Thelen.
Fairtrade-Kleidungsstücke aus Bio-Baumwolle im Wert von rund 300.000 Euro seien zerstört worden. Und was nicht verbrannt ist, sei durch Löschwasser und Qualm unbrauchbar. „Wir haben die ganze Zeit gehofft, dass unser Lager nicht brennt. Dass die Ware irgendwie zu retten ist.“
Das Öko-Label „recolution“, das Thelen und sein Geschäftspartner vor dreieinhalb Jahren nach dem Studium gegründet hatten, stand nach ihren Worten vor dem Durchbruch. „Wir verkaufen in Deutschland und Teilen Europas unsere Fairtrade- und Bio-Kleidung. In Hamburg beliefern wir fünf Läden.“ In den Hallen befand sich die Winterkollektion, deren Verkauf auch die kommenden Kollektionen finanzieren sollte. Dieser Verlust kurz vor dem Weihnachtsgeschäft sei nur schwer zu verkraften. Jetzt hofft Jan Thelen, dass die Versicherung für den Schaden aufkommt: „Wenn nicht, dann ist das existenzbedrohend. Dann müssen wir wohl dicht machen.“
Thelen ist nicht der einzige Leidtragende, auch wertvolle Musikinstrumente, Verstärkeranlagen und Studio-Einrichtungen sind zerstört worden. In dem Gebäude befanden sich ein Musikstudio und mehrere Band-Probenräume. Der Schaden für die Hamburger Musikszene ist gewaltig. In den Studios waren zuletzt Aufnahmen der Kultband Deep Purple bearbeitet worden, darunter angeblich der Hit „Smoke On The Water“.
Produzent Eike Freese konnte den Flammen gerade noch entkommen. Der 34-Jährige war mit der Hamburger Band Venatic bei Gesangsaufnahmen, als plötzlich der Strom ausfiel. Vom Küchenfenster des Studios aus sahen er und ein weiterer Musiker die Halle in Brand stehen. Geistesgegenwärtig rettete Freese eine Festplatte, dann flüchteten sie. „Die Wände und die Decke haben schon in Flammen gestanden“, sagt der Produzent. Am Dienstag ist der 34-Jährige am Brandort – und schockiert von dem Anblick. „Das ist, als ob einem das Leben unter den Füßen weggezogen wurde“, sagt er. Die Ton- und Regieräume, die Freese sich mit anderen Musikern teilt, sind nur noch ein Haufen Schutt. In den Aufnahmeräumen fielen auch rund 50 Gitarren den Flammen zum Opfer: „Da ist eine ganze Existenz verbrannt“, sagt Freese.
Neben dem Studio vernichtete das Feuer Proberäume und Instrumente vieler Bands. Viele von ihnen seien nicht versichert, schätzt Freese. „Da ist ein ganzes Stück Hamburger Musikgeschichte verbrannt“, sagt er. Einige seiner Musikerkollegen, mit denen er das Studio teilte, sind derzeit auf Tournee im Ausland.
Von der Katastrophe in Hamm haben sie noch gar nicht erfahren. Auch die Softwarefirma „slf software“ hat der Brand hart getroffen. Die Büroräume sind komplett ausgebrannt. Durch die zerborstenen Fenster im zweiten Stockwerk kann man die Reste der Büroeinrichtung sehen: verschmorte Tische und Stühle, rußgeschwärzte Monitore und überall Pfützen des Löschwassers. Geschäftsführer Dominik Schulze Lohoff schlägt sich bei dem Anblick die Hände vor das Gesicht.
Er schätzt den Schaden auf etwa 50.000 Euro – versichert sei er nicht. „Wir sind noch nicht sehr lange hier. Gerade waren wir dabei, eine Versicherung abzuschließen“, sagt er. Er wolle nun versuchen, das Geschäft von zu Hause aus weiterzuführen. Doch wie er die Firma wieder aufbauen soll, weiß er nicht: „Ich habe alles verloren.“
Am Nachmittag bohren Feuerwehrleute dicke Löcher in die Fassade, fluten das Innere der Hallen mit Wasser – ein Abriss des Gebäudes ist nicht mehr nötig. Am frühen Abend löschen die Retter die letzten Brandnester.
Ein politisches Nachspiel gibt es auf jeden Fall. Die Grünen-Bürgerschaftsfraktion will vom Senat wissen, ob die in der Halle gelagerten Gegenstände brandschutztechnisch hinreichend gesichert waren.