Hamburg. In der Reihe „Wir im Westen“ bieten Menschen Einblicke in ihr Leben. Heute: Architekt Christian Papendick.

Christian Papendick kann erzählen. Lange und ausführlich. Er hat aber auch viel zu erzählen: Im September feiert der Rissener seinen 92. Geburtstag. In diesen neun Jahrzehnten ist ihm viel widerfahren, und häufig hatte er verdammt viel Glück dabei.

Geboren und aufgewachsen ist Papendick in Ostpreußen. Seiner Familie gehörte ein Gut nahe Königsberg. An seine Kindheit und die Landschaft erinnert er sich gerne zurück. „Es war eine schöne Zeit“, sagt er und berichtet, wie sie im Galopp über die Felder preschten, bei der Ernte halfen und wie er in der Weite Ostpreußens „das Sehen lernte“. „Das muss man lernen. Sich die Zeit nehmen, Details wahrzunehmen“, erklärt Papendick. Genau das hat dem Architekten und leidenschaftlichen Maler später sehr geholfen. Vielleicht hat er auch deshalb seiner Heimat mehrere Bücher und Vorträge gewidmet. Dafür erhielt er 2011 den Kulturpreis der Landsmannschaft Ostpreußen für Publizistik.

Ostpreuße vom alten Schlag

Dass sich der junge Papendick mehr für Muße und die Malerei interessierte, störte dessen Vater enorm. Der Jurist war ein Ostpreuße vom alten Schlag. Vor allem Disziplin forderte er von seinem Sohn, dem ältesten von vieren. Der Vater wünschte sich für ihn die Offizierslaufbahn. Damit war der Traum vom hauptberuflichen Malen und dem Künstlerleben für Papendick scheinbar gestorben. Weil der Junge aber immer so viele „merkwürdige Ideen“ hatte, schickte ihn der Vater aufs Internat nach Gütersloh, während die restliche Familie nach Münster zog.

1941 wurde das Elternhaus durch eine Bombe zerstört. Die Familie floh aufs Land, und eigentlich sollte der 15-Jährige zurück ins Internat. Doch das schloss früher als erwartet. Für Papendick die glückliche Chance, seinem Freiheitsdrang nachzugehen. Er besorgte sich Geld und fuhr nach Königsberg, wo er bei einer Tante unterkam. Weil seine Papiere verbrannt waren, verschob sich sein Arbeitsdienst und somit die Einberufung.

Papendick musste an die Front

Doch auch seine Glückssträhne hatte kurzzeitig mal ein Ende: Papendick musste an die Front. Dort geriet er in Gefangenschaft – gleich dreimal. Immer wieder büxte er aus. „Ich bin ein leichtsinniger Hund“, sagt er dazu. Bei seiner letzten Flucht schenkte ihm eine hilfsbereite Frau den vornehmen Tweet­anzug ihres Opas. So konnte er unerkannt durch die Kriegszone gelangen. Er traf auf englische Kriegsgefangene, die von den deutschen freigelassen worden waren.

„Wir verstanden uns gut“, erinnert sich Papendick, der seine Identität nicht verriet. Die 24-köpfige Gruppe wurde von den vorrückenden Sowjets eingeholt. So kam es, dass Papendick, der in seinem Tweetanzug für einen englischen Soldaten gehalten wurde, auf einem russischen Panzer Platz nahm und am letzten Kriegstag Chemnitz mit den Sowjets „einnahm“. „Das war schon das Irrste in meinem Leben“, sagt er.

Vicco von Bülow war ein Weggefährte

In Lüneburg, wo seine Familie zwischenzeitlich gelandet war, traf er Hamburgs Oberbaudirektor Fritz Schumacher, der ihm ein Architekturstudium nahelegte. An der Hochschule für Bildende Künste studierte er später mit Weggefährten wie Paul Wunderlich, Horst Janssen und Vicco von Bülow. Von 1960 bis 2002 arbeitete er als Architekt, erst angestellt bei der Neuen Heimat, dann als Selbstständiger. Mehr als 100 Häuser in Hamburg und Deutschland stammen aus seiner Ideenschmiede. Darunter sind auch preisgekrönte Entwürfe und Renner wie das Atriumhaus, das auf der „Electric 2000“ in Planten un Blomen erstmals gezeigt wurde und laut Papendick von 1,4 Millionen Besuchern gesehen wurde.

Auch als Innengestalter machte sich der (Lebens-)Künstler einen Namen. Durch Kontakte erfuhr Helmut Schmidt von ihm und beauftragte Papendick mit der Inneneinrichtung seines neuen Hauses in Langenhorn. Doch nicht nur mit Politikern pflegte er Freundschaften, sondern auch mit vielen Künstlern. Zahlreiche Werke unter anderem von Janssen zieren die Wände der Wohnung und des Arbeitszimmers im Hanna Reemtsma Haus in Rissen, wo der Bewohner die Kulturarbeit übernommen hat. In beiden Räumen ist an den Wänden kein Platz mehr.

Frau Lisa hat dafür Verständnis. Auch sie hat eine künstlerische Ader. Während des Studiums lernten sie sich kennen. Papendick lebte in einer Studentenbude in Övelgönne. Sie kam mit ihrem Freund zu Besuch. Er sah sie an der Treppe, und diesmal verließ er sich nicht auf sein Glück. Nach einigen Minuten fragte er: „Wissen Sie was jetzt passiert?“ Sie soll keck geantwortet haben: „Nein, was soll denn passieren, Herr Papendick?“ „Wir heiraten“, antwortete er. Und so kam es. Die Ehe hält – seit mehr als 60 Jahren.