Hamburg. Weltenbummler Detlef Jens verbrachte mit seiner Familie sechs Jahre in dem Mini-Hafen. Was er erlebt hat, schildert er in einem Buch.

Etwas wehmütig lässt Detlef Jens den Blick über Wasser, Schlick und Boote schweifen. „Wenn es für einen Seemann einen festen Ankerplatz geben sollte, dann kommt dieser hier dem schon verdammt nahe“, sinniert er. Jens sitzt auf der kleinen Terrasse der „Kajüte“ mitten im Hafen von Teufelsbrück. Sechs Jahre lang, von 2002 bis 2008, wohnte der wettergegerbte Seebär mit seiner Familie hier – im Windschatten der Großstadt und doch auf dem Wasser. Das erste schwimmende Zuhause war für drei Jahre die „Libje“, das zweite, für die gleiche Zeitspanne, die „Pippilotta“. Über seine „Hafenjahre“ hat Jens jetzt das gleichnamige Buch geschrieben, mit dem er, so wirkt es, auch ein Stück weit sein permanentes Fernweh verarbeitet.

Vereinfacht beschrieben verlief seine Geschichte so: Nach sieben Jahren als „umhersegelnder Liveboard“ wollten Jens und seine Lebensgefährtin Anke im Jahr 2001 an Land sesshaft werden. Ottensen mit seinem munteren Kneipenleben schien den beiden als vernünftige Alternative zum Vagabundendasein – aber die Ernüchterung kam schnell. „Nach einer Weile wurde es öde, die immer gleichen Geschichten von den immer gleichen Gestalten zu hören“ erinnert sich Jens in seinem Buch. Hinzu kamen ständige Staus in seiner Wohnstraße, „durch die sich morgens und abends die ,cleveren‘ Pendler aus den Elbvororten mit ihren fetten schwarzen Autos quälten“.

„Viele tote Ecken im Hafen“

Nach einigen Monaten reifte dann die Idee, auf ein Schiff zu ziehen – irgendwo im Hamburger Hafen. Doch das war nicht so leicht umzusetzen, wie gedacht. „Im Hafen gab es damals noch so viele tote Ecken“, erinnert sich Jens, aber die Mitarbeiter der zuständigen Behörden beantworteten seine entsprechenden Anfragen „kühl bis schroff“, wie er sagt. Erst stellte sich Ernüchterung ein, später Traurigkeit.

Was dann kam, liest sich wie ein Märchen – oder besser: wie gut gesponnenes Seemannsgarn. Eines Tages saß Detlef Jens in Teufelsbrück, trank ein Feierabendbier und berichtete Hafenmeister Uwe Koopmann von seinem brennenden Wunsch, auf einem Wohnschiff zu leben und davon, dass das in Hamburg offenbar unmöglich sei. „Dann mach das doch hier“, habe Koopmann irgendwann gesagt – so als sei es das Selbstverständlichste überhaupt.

„Ich glaubte, mich verhört zu haben. Oder irgendetwas missverstanden“, schreibt Jens in seinem Buch. „Vorsichtig trank ich noch einen Schluck Bier. Hier? In diesem wunderschönen Hafen? Schöner würden wir nirgends in Hamburg wohnen können.“

Die rund 20 Meter lange „Pippilotta“, Wohnort einer ganzen Familie für rund drei Jahre, an ihrem Platz  im Hafen von Teufelsbrück
Die rund 20 Meter lange „Pippilotta“, Wohnort einer ganzen Familie für rund drei Jahre, an ihrem Platz im Hafen von Teufelsbrück © stockmaritime.com/Detlef Jens

Doch Koppmann meinte es ernst, und nachdem Detlef Jens die „Libje“ gekauft hatte, ging er mit Freundin Anke in Teufelsbrück dauerhaft vor Anker. Zwei seiner drei Kinder wurden während der „Hafenjahre“ geboren. „Das war zwar im Geburtshaus in Ottensen“, so Jens amüsiert, „aber ein paar Stunden später schlummerten sie schon unter Deck.“ Die „Pippilotta“, Nachfolgerin der zu klein gewordenen „Libje“ bot immerhin 100 Quadratmeter Wohnfläche und hatte zeitweise sogar einen Minigarten in Form von Pflanzenkübeln.

Verrückte Begebenheiten

Jens erzählt von allerlei verrückten Begebenheiten, die mit der ungewöhnlichen Lebensweise der kleinen Familie zu tun hatten. Mal konnte die Familie bei einem Unwetter nicht zurück an Bord und musste bei Freunden übernachten, mal schaffte sie bei Sturmflut den Sprung an Land nur noch in allerletzter Minute. „Wie die Affen bei Hagenbeck“ sei die Familie angestarrt worden, berichtet Jens, aber eigentlich hätten sich immer alle nett und interessiert verhalten.

Die ungewöhnliche Leidenschaft fürs Leben auf dem Wasser ist Landratten schwer zu vermitteln. Detlef Jens versucht es so: „Es ist unvergleichlich viel besser, an Bord zu wohnen, in Bewegung, das Plätschern des Wassers am Ohr (…) den weiten Himmel und die Luft zu genießen.“ Die Zeit in Teufelsbrück endete erst nach der Geburt des dritten Kindes, aber die Hafenjahre waren damit nicht endgültig vorbei. Heute lebt Detlef in Flensburg, meist natürlich wieder auf einem Schiff. Er betreibt die Homepage Literaturboot.de, organisiert maritime Festivals und Lesungen. Am Hafen hat er zwar eine Wohnung – „aber da bin ich nur selten“.

Seine Bilanz nach all den turbulenten Jahren: „Das Leben an Bord ist nicht immer romantisch und wunderbar, es ist manchmal auch mühsam und kompliziert.“ Warum trotzdem die Mühen? Detlef Jens trinkt einen Schluck, blinzelt in die Sonne und zitiert ein paar Sätze von Mark Twain, die er auch in seinem Buch festgehalten hat: „In 20 Jahren wirst du die Dinge bereuen, die du nicht getan hast, und nicht diejenigen, die du getan hast. Also wirf die Leinen los. Verlasse den sicheren Hafen. Wage es.“

Das Buch „Hafenjahre. Leben an Bord“ ist im Verlag KJM erschienen. Es hat 171 Seiten und kostet 18 Euro. Ebenfalls bei KJM erschien Jens’ Buch „Land’s End – Wo das Leben beginnt“. Auch dieses kostet 18 Euro.