Schnelsen. Die ersten Wände an der Autobahn 7 stehen. Darauf kommt der Deckel. Bis Weihnachten soll der Rohbau der ersten Röhre fertig sein.

Die orangefarbene Schutzhülle leuchtet in der Sonne. Fast 13 Meter lang und gut sechs Meter hoch, umschließt sie eine der beiden ersten Seitenwände für den Lärmschutztunnel auf der Autobahn 7 in Schnelsen. Keine fünf Meter von der gegenüber liegenden mittleren Tunnelwand entfernt, rollt und lärmt der Verkehr. „Man merkt, dass Sommerferien sind“, sagt Polier Dieter Bielfeldt. An den Geräuschpegel hat der 59-Jährige sich allerdings längst gewöhnt. „Den Krach höre ich schon lange nicht mehr.“

Der Bau des Tunnels, der Anwohner in Schnelsen dauerhaft vor dem Verkehrslärm auf der A 7 schützen soll, dürfte das letzte große Projekt sein, bei dem Bielfeldt dabei ist. In drei Jahren hat der aus Tönning bei St. Peter-Ording stammende Polier 45 Berufsjahre hinter sich und geht in Rente. „Das Bauwerk in Schnelsen ist wegen seiner Größe ein richtig guter Abschluss“, sagt er sichtlich zufrieden.

Rund 560 Meter lang wird der erste der drei auf Hamburger Gebiet geplanten Lärmschutztunnel am Ende sein. Er reicht von der Brücke Heidlohstraße über die Frohmestraße hinweg bis zur Anschlussstelle Schnelsen. Für Ende des Jahres 2018 hat das Baukonsortium Via Solutions Nord die Fertigstellung des gesamten Bauwerks versprochen. Die westliche Tunnelröhre wird allerdings schon vom Herbst kommenden Jahres an für den Verkehr zur Verfügung stehen.

Der Verkehr muss immer fließen

Dann erst kann die östliche Tunnel­röhre errichtet werden, weil – abgesehen von kurzzeitigen Sperrungen für den Abriss von Brücken – während der gesamten Bauzeit der Verkehr auf der Autobahn fließen muss. Und zwar auf vier Spuren, wie der Bund als Auftrag­geber fordert. Zu wichtig ist die Verkehrsader für den europäischen Verkehr. Hier in Schnelsen passieren jeden Tag im Schnitt mehr als 100.000 Fahrzeuge die Baustelle. Ein paar Kilometer weiter südlich, in Stellingen, wo ein weiterer Tunnel entstehen soll, sind es sogar mehr als 165.000.

Eine wichtige Wegmarke haben die Ingenieurbauer in Schnelsen jetzt erreicht. Nach langen Vorbereitungsarbeiten können Autofahrer, die an der Baustelle vorbeifahren, die ersten Seitenwände des künftigen Tunnels erkennen. Mit dem ersten Tunneldach rechnen die Bauleute Anfang September. Gut einen Monat dauert es, bis der Beton der Seitenwände vollständig ausgehärtet ist und die gut 600 Tonnen schwere Abdeckung gegossen werden kann.

„Wir wollen bis weit in den Herbst hinein jede Woche zwei Tunnelblöcke errichten“, sagt Oberbauleiter Kai Oliver Henze. Ein Block besteht aus zwei gegenüber liegenden Seitenwänden und dem gut einen Monat zeitversetzt gegossenen Tunneldach. In 22 Wochen, also kurz vor Weihnachten, so denn nichts schiefgeht, soll der Rohbau des Lärmschutztunnels stehen.

Bauen im Pilgerschrittverfahren

„Um den engen Zeitplan zu halten, bauen wir gleichzeitig von zwei Startpunkten aus“, sagt Henze. Am südlichen Ende des Tunnels und in der Mitte geht es los – von beiden Stellen aus wird in Richtung Norden gebaut. Allerdings wird dabei nicht ein Tunnelblock an den anderen gereiht. Zunächst entsteht immer „jeder zweite Block“, es bleiben also erst einmal immer gut 13 Meter frei, exakt sind es 12,63 Meter. Sind die Ingenieurbauer am Ende angelangt, werden die „Lücken“ geschlossen.

„Wir nennen die Vorgehensweise das Pilgerschrittverfahren“, sagt Bau­leiter Henze. Die Methode wird auch bei der Herstellung von Kaianlagen im Hafenbau verwendet und beschreibt einen Bauablauf, der mit einem Pilgerschritt – zwei Schritte vor und einen Schritt zurück – assoziiert wird. In Schnelsen sprechen für diese Bauweise zeitliche Gründe. „Mit dem Verfahren können wir die Bauzeit der Tunnelröhre erheblich verkürzen“, sagt Henze. Zudem verhindere man ungleichmäßige Spannungen bei der Aushärtung im Beton.

Das Gießen des Betons sieht für einen Außenstehenden einfach aus, ist jedoch eine komplexe Angelegenheit. So drückt flüssiger Beton beim Einfüllen am Fuß einer Tunnelwand mächtig auf die Schalung. Druckmesser zeigen die Kraft an, die auf die Schalwände wirkt. „Wir müssen immer wieder Pausen einlegen, bis die Masse anfängt abzubinden“, sagt Henze. Wichtig sei es, den richtigen Zeitpunkt für das weitere Auffüllen zu finden. Schließlich muss die Tunnelwand am Ende „aus einem Stück“ bestehen.

550 Tonnen und 50 Tonnen Stahl

Trotzdem gehört für den unbeteiligten Zuschauer eine gehörige Portion Gottvertrauen dazu, sich vorzustellen, dass das Ganze hält. Immerhin werden später für das Tunneldach eines 13-Meter-Abschnitts rund 550 Tonnen an Beton und 50 Tonnen Stahl verarbeitet. „Jeder Quadratmeter bringt etwa 2,5 Tonnen Gewicht auf die Waage“, sagt Henze. Für manchen Autofahrer, der durch den Tunnel fahren wird, dürfte das eine unheimliche Vorstellung sein.

Dieter Bielfeldt sieht das naturgemäß entspannter. Für ihn ist die Baustelle eine Heimat auf Zeit, auch wenn er die Wochenenden daheim bei seiner Familie verbringt. „Als Polier ist man morgens der Erste und abends der Letzte“, sagt er. Pflichterfüllung ist das eine. Bei Bielfeldt kommt noch etwas Persönliches hinzu: „Sobald ich auf einer Baustelle bin, ist es meine. Es ist so, als würde ich für mich selbst bauen.“

Der Ton auf der Baustelle ist rau, aber herzlich. Dort, wo körperlich harte Arbeit anfällt, sind die Männer unter sich. „Trotz der vielen Technik muss man noch anständig zupacken können.“ Was nicht heißt, dass Frauen nicht willkommen wären. „Aber wer will das schon machen?“, fragt Bielfeldt. Eine sehr erfahrene Bauleiterin gebe es hingegen. „Und die weiß sich durchzusetzen“, fügt der 59-Jährige hinzu.

Spezieller Beton für Schnelsen 

Über die Jahre hat die Zahl der Mitarbeiter aus anderen Ländern zugenommen. „Hochtief hat zwar viele eigene Leute hier, aber die Baustelle der ARGE A 7 ist viel zu groß“, sagt Bielfeldt. Deshalb seien Bauarbeiter beispielsweise aus Polen dabei. Und die Verständigung untereinander? Die klappe ganz gut, berichtet der Polier. „Man muss ja nicht viel reden. Wenn etwas an einem Gerüst nicht stimmt, dann zeige ich drauf und werde verstanden.“

Zusammen mit Oberbauleiter Kai Oliver Henze und seinen Bauleitern hat Bielfeldt das Sagen – und trägt die Verantwortung. Zum Beispiel dafür, dass der richtige Beton eingesetzt wird. „Wir verwenden hier einen speziellen Faserbeton“, sagt der Polier. Für ihn bedeutet das: Er muss die Lieferscheine peinlichst genau kontrollieren. „Ich schicke auch mal eine Charge zurück, wenn der Laster länger als 90 Minuten unterwegs war.“ Innerhalb von 90 Minuten nach dem Mischen im Betonwerk, so lautet die unumstößliche Regel, muss die Lieferung verarbeitet sein.

Beton sei eine komplexe Materie, ergänzt Oberbauleiter Kai Oliver Henze. Insgesamt werden für den Lärmschutztunnel in Schnelsen 33.000 Tonnen benötigt. Hinzu kommen mehrere Tausend Tonnen Stahl, die in den Tunnelwänden und -decken verarbeitet werden. Allerdings zeichnet der Schnelsener Tunnel sich durch eine Besonderheit aus. Aus Gründen des Brandschutzes verwenden die Tunnelbauer speziellen Faserbeton. „Brände verursachen hohe Temperaturen, die eine Betonkonstruktion erheblich angreifen.“ Das geht so weit, dass sich nach einem Feuer in einem Tunnel Deckenteile lösen.

 

Um dem vorzubeugen, werden dem Beton Kunststoffmikrofasern beigemischt. „Bei 160 Grad Celsius schmelzen diese Fasern und geben kleine Kanäle frei, in die sich der durch ein Feuer erhitzte Beton ausdehnen kann“, erklärt Henze das Prinzip. Das klingt logisch und einfach. Die Tunnelbauer jedoch hat es eine Menge Zeit und viele Versuche gekostet. „Wir haben fast ein Jahr getüftelt, bis wir die richtige Mischung herausgefunden hatten, die auch den gesetzlichen Anforderungen entspricht.“

Herausgekommen ist ein auf die Schnelsener Baustelle abgestimmter Beton, der die Hersteller vor neue Herausforderungen stellte. „In Hamburg wurde bislang diese Art Baustoff noch nicht verbaut“, sagt Henze. Es fehlten also die Anlagen zur Produktion; es fehlen aber insbesondere die Erfahrungen bei der Herstellung. Schon allein deshalb werden die kommenden Wochen für die Ingenieurbauer eine besondere Herausforderung. Zeit für länger andauernde Ausfälle lässt der Plan nicht zu.

Zumal im Frühjahr bereits die Fertigung von 500 der in Summe 753 Betonpfähle, auf denen die Tunnelwände ruhen werden, für Probleme sorgte. Weil der Untergrund weicher war als angenommen, mussten die Pfähle verlängert werden: von zehn bis 18 auf nunmehr 13 bis 24 Meter. In der Folge verzögerte sich zwar der Bauablauf. Aber Via Solutions Nord hält trotzdem am zugesagten Fertigstellungstermin zum Ende des Jahres fest.

Probleme mit Betonpfählen

Kai Oliver Henze spricht von der „Einzigartigkeit“ einer jeden Baustelle. „Wir sind hier ja nicht in einer Marmeladenfabrik. Jedes Bauwerk ist ein Unikum.“ Da kann vor Beginn der Bauarbeiten noch so viel vermessen und geprüft worden sein. „Wie der Baugrund tatsächlich ist, erkennt man erst, wenn man ihn aufbuddelt.“ In Schnelsen stellte sich heraus, dass der Untergrund lehmiger ist als erwartet. „Wir haben deshalb die Methode verändert, was aber nichts Ungewöhnliches ist“, sagt Henze.

Hinzu kommen die logistischen Herausforderungen. So wird beispielsweise der Beton für die einzelnen Segmente über die nördliche Zufahrt zur Baustelle herantransportiert. „Die Laster müssen auch durch jene Tunnelteile fahren können, die im Rohbau schon fertig sind.“ Dabei weist der Bauingenieur auf große Karten, die an der Wand seines Büros hängen. Beschriftete Grafiken in unterschiedlichen Farben zeigen den „ausgeklügelten Bauplan“.

Dass die Baustelle in einem Wohngebiet liegt, hat bislang kaum Probleme verursacht. „Wir sind ständig mit Nachbarn im Gespräch und sorgen dafür, dass die Lärmbelästigung nicht zu hoch wird.“ Einen Vorteil gibt es dabei: Der Autobahnverkehr verursacht ohnehin schon viel Krach. Viele Anwohner dürften daher den Tag, an dem die Tausenden Fahrzeuge in den Tunnelröhren verschwinden und Schnelsen nach Jahrzehnten wieder zur Ruhe kommt, kaum erwarten können. Und den Lärm der Baustelle bis dahin geduldig in Kauf nehmen.