Hamburg. Aus Angst hielt ETV-Coach Marcel Suttrup sein Schwulsein geheim – bis zum vergangenen Wochenende. Warum er erst jetzt den Mut fand.
Marcel Suttrup ist ein Schauspieler. Und zwar ein ziemlich guter. Sonst wäre er womöglich „aufgeflogen“. Noch bevor er als Berater, Manager und Trainer – unter anderem beim Eimsbütteler Turnverband (ETV) – ins Sportgeschäft einstieg, hatte er eine Ausbildung an einer Hamburger Schauspielschule gemacht. Und dort eine Fähigkeit gelernt, die der 38-Jährige bei Weitem nicht nur auf der Bühne brauchte. Sondern vor allem dafür: für sein Leben als schwuler Mann im Sportgeschäft.
Nach Jahrzehnten des Versteckens hat er nun am vergangenen Wochenende und damit passend zum Christopher Street Day (CSD) etwas getan, was er als „den Schritt seines Lebens“ bezeichnet: Er hat sich geoutet. Und auch wenn das erst wenige Tage her ist, weiß er schon jetzt. „Das ist das Beste, was ich machen konnte. Outing ist einfach schön.“
Marcel Suttrup war immer mit dem ganzen Herzen Sportler, ist leidenschaftlicher Boulderer, Radfahrer und Tennisspieler. Seit einigen Jahren ist er mit 30 Stunden pro Woche als Trainer beim ETV angestellt. Parallel dazu gründete er seine eigene Agentur „Lebe Deinen Sport“, über die er Profisportler managt und betreut.
Outing im Sport: Suttrup hatte Angst, über die Lange Reihe zu gehen
Beruflich ging es in den vergangenen Jahren immer nur bergauf. Die Agentur wuchs, immer mehr namhafte Profisportler aus allen Bereichen ließen sich von ihm beraten und coachen. Und das kam Suttrup sehr gelegen. Denn so konnte er sich in die Arbeit stürzen, statt nachzudenken.
Nachzudenken darüber, wie es so weit kommen konnte, dass er seine Partner verleugnet, dass er Angst hat, über die Lange Reihe – einen beliebten Ort in der Schwulenszene – zu gehen, dass er irgendwann nichts Privates mehr über sich erzählt, dass er nur noch Schwarz und Weiß trägt, weil alles andere vielleicht einen Hinweis auf sein Schwulsein geben könnte.
Der lange Weg zum Outing: „Schwulsein passt nicht in das Bild des Spitzensports“
Dabei wusste Suttrup schon seitdem er etwa 18 Jahre alt war, dass er auf Männer steht. Seiner Familie und engsten Freunden erzählte er davon. Im beruflichen Bereich aber blieb es sein Geheimnis. „Wenn du im Umfeld von Profisportlern unterwegs bist, dann schwingt einfach immer die Angst mit, dass es einfach nicht gern gesehen ist“, sagt Suttrup. Sport, insbesondere Spitzensport, würden viele mit Testosteron und damit mit Männlichkeit verbinden. „Da passt Schwulsein nicht rein.“
Und auch wenn Suttrup weiß, dass das nur Klischees sind, behielt er sein Geheimnis für sich. „Ich wollte einfach nichts riskieren“, sagt er. Und so manifestierte sich die Trennung zwischen dem Privatmenschen Marcel Suttrup und dem Sportler immer weiter. „Aus Angst davor, in Situationen zu geraten, in denen sich beiden Welten vermischen können, bin ich morgens jede denkbare Situation für den Tag durchgegangen und habe mir Ausreden zurechtgelegt“, erzählt er. „Ich brauchte ein Drehbuch für mein Leben, um die Angst im Zaum zu halten.“
ETV-Trainer: „Ich bin nicht schwul, ich bin nur verzaubert“
Doch irgendwann spürte Suttrup, dass es so nicht weitergehen konnte. „Dieses Geheimnis war wie ein Schatten, der immer dabei war.“ Und in ihm wuchs der Gedanke: Wenn es Spitzensportler schaffen, sich zu outen, warum nicht dann auch ich? Den endgültigen Auslöser brachte dann das Outing des ehemaligen Formel-1-Rennfahrers Ralf Schumacher Mitte Juli. „Das hat mir viel Mut gemacht“, sagt Suttrup. Denn kaum ein Sport werde schließlich mehr mit Männlichkeit in Verbindung gebracht als dieser.
Und dann nahm er seinen Mut zusammen und ging am vergangenen Wochenende erstmals auf den Christopher Street Day, ohne sich eine Ausrede zu überlegen für den Fall, dass er dort jemanden aus seinem beruflichen Umfeld trifft. Stattdessen zog er sich ein rosa T-Shirt mit der Aufschrift „Ich bin nicht schwul, ich bin nur verzaubert“ an und ließ sich fotografieren.
- CSD 2024 in Hamburg: Die schönsten und schrägsten Bilder
- CSD: 250.000 Menschen setzen buntes Zeichen gegen Rechts
- CSD Hamburg: 250.000 Menschen setzen buntes Zeichen gegen Rechts
Zusammen mit einem kleinen Text stellte er noch am selben Tag den Outing-Post bei Facebook online. Der Moment, in dem er auf „veröffentlichen“ klickte, sei einer der aufregendsten in seinem Leben gewesen. Und er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit: „Ich wurde von Lob und Zuspruch geradezu überschwemmt.“ Zu denen, die auf den Outing-Post mit einem „Daumen hoch“, reagiert haben, zählt übrigens unter anderem Frank Fechner, der erste Vorsitzende des ETV, und viele andere aus dem Sportbereich.
Outing im Sport – Hamburger Trainer: „Endlich kann ich sein, wie ich bin“
Seit dem Outing sei Suttrup so gelöst und frei wie noch nie in seinem Leben. „Endlich kann ich aufhören zu mauern, endlich kann ich auch ohne Angst etwas von mir preisgeben, endlich kann ich sein, wie ich bin“, sagt er. Negative Reaktionen habe er keine einzige erhalten. Und dennoch weiß Suttrup, dass es in der Profisportbranche, in der es um viel Geld und um vermarktbares Image geht, oft anders aussieht.
„Der Druck ist unheimlich groß. Gerade wenn es auch um Sponsoring- und Werbeverträge geht“, sagt Suttrup. Deswegen hat er nun große Pläne: „Über meine Sportagentur wollen wir nun auch das Thema Schwulsein aufgreifen, Vereine und Schulklassen darauf aufmerksam machen und das Tabuthema normalisieren“, erzählt er.
Während er erzählt, trinkt er übrigens ein Glas Sekt in der Sonne, das er jetzt auch in der Öffentlichkeit genießen kann. Gern auch mit einer seiner zahlreichen Freundinnen, für die Suttrup nach dem Outing ein gefragter Gesprächspartner geworden ist. Viele hätten zu ihm gesagt: „Wie toll. Jetzt können wir endlich über Männer sprechen.“