Die Linke übt scharfe Kritik an Polizeieinsatz am Schlump. Ein Beamter hat am U-Bahnhof einen Mann umgerannt. Der stürzte auf den Kopf.
- Schwerer Zwischenfall bei der 1. Mai-Demo am Schlump
- Video zeigt, wie Demonstrant von Polizist umgerannt wird
- 19-Jähriger mit Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma in Krankenhaus
- Ermittlungen wegen Körperverletzung gegen den Beamten
Hamburg. Auf dem verstörenden Video ist gut zu erkennen, wie der kräftige Polizist in Schutzmontur auf der Schäferkampsallee am U-Bahnhof Schlump mit hohem Tempo auf den schwarz gekleideten Demonstranten zustürmt, wie er ihn wuchtig umstößt und fast in ihn hineinstürzt. Der Mann kippt sofort um, knallt mit dem Hinterkopf auf den Asphalt, während sich der Polizist kurz umdreht. Und weggeht.
Dann sieht man, wie sich andere Demonstranten um den am Boden liegenden Mann kümmern – der offensichtlich einen Krampfanfall erleidet, seine Füße zucken unkontrolliert. Kurz darauf treffen der Rettungsdienst und der Notarzt ein. Wie die Feuerwehr dem Abendblatt bestätigte, sei der schwer verletzte Mann intubiert und mit Verdacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma ins UKE eingeliefert worden.
1. Mai in Hamburg: Gegen Polizisten wird wegen Körperverletzung intern ermittelt
Wie es dem Mann aktuell geht, war lange Zeit nicht bekannt. Das Abendblatt erfuhr aus Sicherheitskreisen, dass zunächst sogar Lebensgefahr bestand. Inzwischen soll sich sein Zustand aber stabilisiert haben. Offizielle Auskünfte zu dem Fall gibt es kaum. 19 Jahre alt soll der Mann sein. Ansonsten verweisen Polizei und Innenbehörde auf das Dezernat Interne Ermittlungen (DIE), das gegen den Beamten unmittelbar nach Bekanntwerden des Vorfalls, noch am Abend des 1. Mai, Ermittlungen wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt eingeleitet hat.
Dabei war bis zur Eskalation am Schlump der „Tag der Arbeit“ aus polizeilicher Sicht weitgehend störungsfrei verlaufen. Dieser 1. Mai, hieß es, sei der friedlichste seit vielen Jahren gewesen. Am Nachmittag zog das Bündnis „Wer hat, der gibt“ durch die Viertel Eppendorf, Harvestehude und Pöseldorf. Linksextremisten (anarchistische Gruppe Schwarz-Roter 1. Mai) stellten sich beim Tierpark Hagenbeck auf, durften aber nicht losziehen, weil sie gegen das Vermummungsverbot verstoßen hatten. Schließlich löste der Versammlungsleiter die Demo auf.
Polizist rennt 1.-Mai-Demonstranten um – und verletzt ihn schwer
Vom Hauptbahnhof aus startete außerdem die Revolutionärer-1.-Mai-Demo, wie üblich initiiert vom Roten Aufbau. Was aber ganz und gar unüblich war: Die praktisch ritualisierten Ausschreitungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei inklusive Wasserwerfereinsatz vor der Roten Flora am Schulterblatt blieben aus. Eine der wenigen aus polizeitaktischer Sicht kritischen Situationen war jene am Schlump, bei der es gegen 19.30 Uhr zu einer Auseinandersetzung zwischen Beamten und Demonstranten kam.
Ein Augenzeuge, der zuvor an der anarchistischen Kundgebung bei Hagenbeck teilgenommen hatte und anonym bleiben will, sagte dem Abendblatt: „Ursprünglich wollten wir bereits an der Christuskirche aussteigen, was wir aber nicht durften. Am Schlump wurden wir zunächst eingekesselt, wodurch der eine oder andere ein Panikgefühl bekam.“
Die Polizei wurde nach Abendblatt-Informationen zum Schlump gerufen, um zu verhindern, dass die Linksextremisten die Schäferkampsallee blockieren. Auf dem Video ist dann zu sehen, wie kurz vor dem Zwischenfall eine Menschenmenge vor den heranstürmenden Polizisten wegrennt. Was zuvor im U-Bahnhof passierte, ist darauf nicht zu sehen. Der Augenzeuge: „Wir wurden nicht aus der Station gelassen, die Menschen haben sich aufgestaut. Informationen von der Polizei gab es nicht.“
Polizist stößt Demonstranten um: Augenzeuge berichtet von Zwischenfall am Schlump
Auch der Fotograf und Kameramann Christoph Seemann („Hamburg News“), der das Video vom Polizeieinsatz am Schlump gedreht hat, hat den Vorfall aus nächster Nähe beobachtet. Dem Abendblatt erzählte er: „Für mich war die ganze Situation nur sehr kurz. Ich kam von der Demonstration an der U-Bahn-Station Hagenbecks Tierpark und sah dann an der U-Bahn-Station Schlump, dass dort viele Polizeikräfte waren. Da wollte ich dann kurz noch ein Foto machen. Plötzlich kamen 25 bis 30 Personen aus dem U-Bahnhof rausgelaufen. Von links kam dann ein Polizist, der nach meinem Dafürhalten gezielt auf diese eine Person zugelaufen ist. Er hat diese Person dann mit offenen Armen umgerannt. Die Person fiel dann rückwärts um und knallte zweimal mit dem Hinterkopf auf. Sie blieb dann bewusstlos und krampfend auf dem Boden liegen. Der Polizist schaute sich noch einmal um, sah die krampfende Person am Boden – und ging.“
Seemann berichtet weiter: „Ein anderer Fotograf, der Klamotten von der Feuerwehrgewerkschaft trug, leistete dann gemeinsam mit zwei Demonstranten Ersthilfe. Der Rettungswagen der Polizei, der ohnehin in der Kolonne stand, traf dann wenig später ein. Das dauerte gefühlt nur 45 bis 60 Sekunden. Die haben den Patienten dann übernommen und wenig später an den Notfallwagen der Feuerwehr übergeben. Die ebenfalls helfenden Demonstranten hatten die Polizisten zuvor relativ unwirsch zur Seite geschoben.“
Demo am 1. Mai: Linken-Innenexperte Celik spricht von „brutalem Vorgehen“
Gegenüber dem Abendblatt äußerte sich auch Die Linke zum Zwischenfall am Schlump. „Das ausgestrahlte Video vom Übergriff eines Polizeibeamten auf einen Demonstranten ist schockierend. Nach meinem Eindruck geht der Beamte ziemlich brutal vor und nimmt dabei eine schwere Körperverletzung in Kauf“, sagte der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion in der Bürgerschaft, Deniz Celik.
„Es reicht daher nicht, der Form halber interne Ermittlungen einzuleiten, sondern Körperverletzung im Amt muss auch konsequent strafrechtlich geahndet werden. Leider machen wir aber immer wieder die Erfahrung, dass Ermittlungen in der Regel eingestellt werden, wenn Polizisten gegen Polizisten ermitteln. Deshalb fordern wir eine unabhängige Beschwerdestelle mit Ermittlungskompetenzen.“
Die einzig gute, aber offiziell nicht bestätigte Nachricht: Der verletzte 19-Jährige soll am Dienstagnachmittag das Krankenhaus verlassen haben.