Hamburg. Im Zentrum für Nachwuchs-Forscher in der Grindelallee arbeiten 180 junge Erfinder an den Fragen der Zukunft – und das seit fünf Jahren.
Konzentriert blickt Shayan Nassiri auf den Roboter vor sich auf dem Tisch. Minimal bewegt er den Controller in seinen Händen. Mit einem Surren richtet die spinnenähnliche Konstruktion sich auf – Bein für Bein. Dann ist „Robi“ bereit zum Loslaufen. „Bisher hat er vier Programme. Kurve nachts rechts, Kurve nach links und geradeaus laufen – und die Grundstellung“, sagt Shayan Nassiri stolz. In einem knappen halben Jahr hat der 12-Jährige den Roboter im Schülerforschungszentrum (SfZ) in der Grindelallee selbst gebaut.
Und so beim Wettbewerb „Schüler experimentieren“ sogar zwei Preise gewonnen. Insgesamt 180 Kinder sind in der naturwissenschaftlichen Einrichtung im angemeldet. Mit einer Jubiläumswoche feiert sie von heute an ihr fünfjähriges Bestehen. Wie Shayan Nassiri kommen die auch die anderen Kinder in ihrer Freizeit mit ihren eigenen Forschungs- und Projektideen in das Zentrum. Dort werden sie darin unterstützt, ihre Visionen in die Tat umzusetzen.
Schülerforschungszentrum fördert junge Tüftler
Nassiri kommt einmal die Woche zum Tüfteln – ganz aus Ahrensburg. Von Montag bis Freitag ist das Zentrum von 15 bis 19 Uhr für die Schülerinnen und Schüler geöffnet. Den Roboter zu konstruieren, habe gedauert, sagt der junge Forscher. „Aber mit Unterstützung habe ich das Projekt immer weiterentwickelt“, sagt Nassiri. Denn im SfZ sind die Kinder nicht auf sich allein gestellt: Derzeit gibt es 27 Betreuer, die den Kindern immerzu helfen und neue Ideen liefern. Darunter Lehrkräfte, Studierende und Ehrenamtliche.
Aber wo fängt man überhaupt an, um einen Roboter zu bauen? Nassiri erzählt: Zuerst habe er sich Roboter im Internet angeguckt, dann ein Modell in einem 3D-Programm am Computer entwickelt. Der erste richtige Entwurf sei aus Holz gewesen – das war für die geschmeidige Bewegung der „Gelenke“ von „Robi“ aber zu schwer. „Also haben wir zu Kunststoff gewechselt.“
32-köpfiges Team unterstützt Nachwuchs-Erfinder
Die Teile dafür wurden dann von einem 3D-Drucker produziert. Auch die Bewegungen für den Roboter hat der Zwölfjährige selbst am Computer programmiert. Mittlerweile läuft die kleine Maschine einwandfrei – und der Schüler kann jedes Detail wie ein Profi erklären. „Als Nächstes möchte ich noch einen Greifarm und eine Webcam anbauen“, sagt er – während er den Roboter abtastet. „Das eine Kabel, dass ich zum An- und Ausschalten brauche, ist gerade nicht zu finden – Moment.“ Er sucht weiter. Shayan Nassiri weiß jetzt schon: Irgendwann will er mal ein Exo-Skelett bauen – also eine mechanische Stütze, die Bewegungen zum Beispiel nach Amputationen erleichtern kann.
Gleich nebenan steht Wolfgang Fraedrich, Geschäftsführer des SfZ, im Foyer des Gebäudes. Er trägt einen weißen Kittel, Brille und Schnauzer. Gezielt wandert der Wahl-Hamburger durch die vier Arbeitsräume im Erdgeschoss. „Über 40 Jahre war ich Lehrer für Geografie und Geologie am Gymnasium Heidberg in Langenhorn“, sagt der 70-Jährige. Als der Vertrag für die gemeinnützige GmbH SfZ 2016 unterschrieben wurde, war er aber auch schon dabei. Seit 2020 ist er nun als Lehrer an der Schule in Pension, vertritt seit Sommer 2021 die eigentliche Geschäftsführerin des SfZ in Elternzeit. Und ist damit Chef eines 32-köpfigen Teams.
Schülerforschungszentrum: (Fast) alles ist möglich
Besonders seien an dieser Einrichtung vor allem die Freiräume beim Forschen. „Das ist unsere Grundphilosophie. Wir geben keine festen Aufträge, die jungen Menschen sollen umsetzen können, was sie möchten“, so Fraedrich. Natürlich gebe es trotzdem Grenzen. „Einmal wollten Kinder HIV-Viren untersuchen, so etwas können wir natürlich nicht machen.“ Für den Umgang mit Viren gebe es nicht die nötigen Sicherheitsvorkehrungen. Ansonsten sei aber vieles möglich: Von Astronomie über Biologie bis zu Chemie, Geowissenschaften, Physik, Technik und Mathe kann alles auf eigene Faust erforscht werden. Finanziert wird das Zentrum unter anderem von der Uni Hamburg, der Schulbehörde und drei Stiftungen.
Währenddessen ist auch im Forschungslabor des SfZ einiges los. Das Licht ist grell, die Lüftung dröhnt leise, undefinierbare Gerüche wabern durch die Luft. Ein wenig nach Lavendel, nach Pflanzen und Schimmelpilz. An einer Wandtafel stehen chemische Formeln. Kein Wunder, denn hier wird richtig experimentiert. Ein Mädchen sitzt über mehrere Gläschen gebeugt, sie trägt Gummihandschuhe, versucht aus ätherischen Ölen ein Parfüm zu mixen.
Aktuelles Projekt: Natürliches Unkrautmittel
Die Schwestern Lecia (16) und Wincia (19) Pareja Amaya sind währenddessen dabei, verschiedene Pflanzen zu untersuchen. Die langen Haare haben beide zurückgebunden, der weiße Kittel schützt ihre Kleidung vor Flecken. Auf dem Laborpult vor den Schülerinnen reihen sich Gläser in alle Formen und Größen auf. Flüssigkeiten in gelb, hell- und dunkelgrün schimmern in den Behältern. „Wir wollen gucken, ob wir ein natürliches Unkrautvernichtungsmittel aus Pflanzen herstellen können“, erklärt Lecia Pareja Amaya. Bisher seien die meisten wirksamen Mittel schließlich giftig. „Wir dachten, die Idee ist auf jeden Fall ein sinnvoller Ansatz, um ein Forschungsprojekt zu starten.“
Aber wie sieht hier der erste Schritt aus? Dank Unterstützung von Betreuer Detlef Bethge wissen die beiden ganz genau, was zu tun ist. Zuerst haben sie die Basis für ihr Anti-Unkraut-Mittel gesammelt. In diesem Fall: Löwenzahn, Spinat und Brennnessel. Denn viele Stoffe würden mit der Ameisensäure aus der Brennnessel besonders reagieren, so Chemiker Detlef Bethge. Das könne zu interessanten Ergebnissen führen. „Aus den Pflanzen haben wir bereits verschiedene Extrakte gewonnen“, erklärt Wincia Pareja Amaya und deutet auf die Gläser mit den bunten Flüssigkeiten. Diese hätten sie dann mit verschiedenem Alkohol und Wasser gemischt. Und jetzt heißt es: Warten und Beobachten.
Schülerforschungszentrum: Freiraum und Inspiration
Denn darum geht es: „Ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren“, sagt auch Betreuer Bethge. Bis sich irgendwann eine Reaktion zeige, die ein sinnvoller Ansatz sein könnte, um zum Ziel zu gelangen. „Orte, wie das SfZ sind ganz wichtig, um neue Ideen zu verwirklichen“, so Bethge. „Wenn wir uns immer nur auf das fokussieren, was schon da ist und funktioniert, kommen wir nie zu neuen Erfindungen.“ Der 67-Jährige ist bereits im Ruhestand und betreut die Projekte ehrenamtlich. Vorher habe er in der Forschung und der Chemieindustrie gearbeitet.
Mit den gemischten Flüssigkeiten machen die Schülerinnen nun eine Dünnschichtchromatographie. Also ein Trennverfahren, mit dem untersucht wird, aus welchen Stoffen Proben zusammengesetzt sind. Die Flüssigkeiten werden dafür auf ein spezielles Papier aufgetragen. Anschließend trennen die verschiedenen Stoffe, die in den Proben enthalten sind, sich voneinander. Auf einem der Papiere ist die Flüssigkeit schon getrocknet – die leicht sichtbaren Farbflecken kreist Lecia Pareja Amaya mit einem Bleistift ein. Dann ein Foto. „Wir dokumentieren jeden Schritt“, sagt sie.
- 15,8 Millionen für UKE-Forschung – „fantastische Neuigkeit“
- Forscher untersuchen die Heilkraft des Waldes
- Wasserstoffzentrum für Luft- und Schifffahrt rückt näher
Jetzt kommt noch die UV-Lampe ins Spiel. In einem kleinen Raum ohne Fenster steht das Gerät. Nur wenn es ganz dunkel ist, kann man erkennen, was die Lampe zum Vorschein bringt. Denn durch bestimmte Stoffe im Papier werden die Bestandteile der Probe unter UV-Licht noch mal ganz deutlicher sichtbar. Und tatsächlich: Manche Flecken leuchten pink, andere eher blau oder grün. „Hier sieht man das noch mal viel besser“, sagt die 16-Jährige zufrieden. Die beiden Schwestern sind gern in dem Zentrum – sie kommen aus dem Kreis Pinneberg und gehen in Altona zur Schule. Die ältere von beiden ist gerade mitten in den Abiturprüfungen – und schon länger im SfZ dabei. „Es ist cool, dass es hier so viel Freiraum gibt“, sagt die 19-Jährige. Vielleicht möchte sie später Physik studieren – und dann in der Forschung arbeiten.
Aber nicht alle Projekte im SfZ müssen eine vollkommen neue Erfindung bringen – vor allem sollen sie Spaß machen. Das weiß auch Hannes Plantikow, der gerade ein großes Stück Pappe mit Farbe bemalt. Der 11-Jährige streicht sich die Haare aus dem Gesicht. „Ist das hier schon trocken?“, fragt er, deutet auf ein anderes bunt angemaltes Teil. Gemeinsam mit seinen Freunden bastelt er an einer Rennbahn für ein Autorennen mit der Nintendwo Switch Spielkonsole.
Fünfjähriges Jubiläum im Schülerforschungszentrum
Die kleinen Autos, die man mit der Konsole steuern kann, rasen durch über den Kunstoffboden. Sie haben eine kleine Webcam integriert, sodass man auf der Spielkonsole genau sehen kann, wo das Autos lang fährt. „Wir haben verschiedene Gruppen, die daran arbeiten, eigentlich sollte die Bahn 24 Meter lang werden“, sagt der Schwarzenbeker. Ob sie das schaffen könnten, wisse er noch nicht. „Meine Freunde und ich kommen her und machen, worauf wir Lust haben. Das mag ich“, sagt er.
Zum fünfjährigen Jubiläum bietet die Einrichtung naturwissenschaftliche Workshops, Mitmach-Angebote und Vorträge. So wird zum Beispiel der Frage nachgegangen, warum das Meer blau aussieht, obwohl Wasser im Glas durchsichtig ist. In anderen Kursen wird Kunststoff selbst hergestellt, die Funktionsweise von Enzymen im Waschmittel erklärt und warum das Schmelzen der Polarkappen eigentlich so verheerend ist. Bei einer Live-Show werden dem Publikum außerdem bunte Experimente gezeigt.
Schüler Shayan Nassiri hingegen hat seine Leidenschaft für die Naturwissenschaften schon entdeckt. Das verschwundene Kabel im Roboter hat er mittlerweile gefunden – und bringt sein Werk noch einmal zum starten. „Vielleicht werde ich später mal Ingenieur“, sagt der 12-Jährige.