Hamburg. Das Gericht wertet die Tat des 39-Jährigen als Totschlag – zwei Jahre seiner Strafe muss er im Entzug verbringen.
Auf der Flucht vor seinem Verfolger rennt ein 40-Jähriger an einem Sonntagnachmittag Anfang des Jahres auf eine viel befahrene Straße in Eidelstedt, stößt gegen einen anfahrenden Transporter und reißt die Arme hoch. In dem Moment holt ihn sein Verfolger ein. Eine Zeugin ruft: „Der hat ein Messer!“ Doch schon rammt der Verfolger das etwa 30 Zentimeter lange Küchenmesser in den Oberkörper des 40-Jährigen. Dieser bricht zusammen und verblutet.
Dieses dramatische Geschehen am 21. Januar bewertet das Landgericht am Montag als Totschlag. Die Strafkammer verurteilt einen 39-jährigen, der weitgehend geständig ist, zu neuneinhalb Jahren Haft. Zwei davon soll der alkohol- und drogensüchtige Angeklagte in einer Entzugsklinik verbringen.
Der Angeklagte trinkt, nimmt Drogen und ist eifersüchtig
Der Tat ist ein längerer Beziehungskonflikt vorausgegangen. Der Angeklagte, ein gelernter Kraftfahrer, führt eine wechselhafte und teilweise chaotische Beziehung zu einer Frau, die schon zwei Kinder hat, wie der Vorsitzende Richter Joachim Bülter ausführt. 2011 bekommt das Paar ein gemeinsames Kind. Der Angeklagte trinkt, nimmt Drogen und ist eifersüchtig. Er schlägt einen anderen Mann und kommt ins Gefängnis. 2016 wird ein weiteres Kind geboren, von einem anderen. Dennoch heiraten die beiden im Herbst. Er erklärt, er sei clean. Die Frau wird erneut schwanger. Doch dann findet sie eine Heroinspritze bei ihm und setzt ihn vor die Tür.
Die Frau findet einen neuen Partner. Ihr Ehemann, der bei seinen Eltern und teilweise in einer Gartenlaube kampiert, empfindet Hass und Eifersucht. Erst recht, als er erfährt, dass der Neue ein alter Kumpel von ihm ist, aus der Drogenszene. Er erscheint an der Haustür und droht. Polizeibeamte hören es: „Sollte ich den Typen meiner Frau auf der Straße treffen, ersteche ich ihn, ich schwöre es.“
Ein Bild bei Facebook bringt das Fass zum Überlaufen
Anfang 2018 wird das zweite gemeinsame Kind des Ehepaares geboren. Auf Facebook postet die Mutter ein Bild des Kindes mit ihrem neuen Partner als angeblichem Vater. Das bringt das Fass zum Überlaufen. „Es ist so weit“, schreibt der Angeklagte an eine Freundin. „Pass auf meine Kids auf! Danke für alles. Bis die nächsten Jahre, LG“
Er schnappt sich das Messer aus der Gartenlaube und begibt sich zur Wohnung seiner Frau. Über die Gegensprechanlage weist sie ihn ab, droht mit Polizei. Sie und ihr neuer Partner haben über die gemeinsame Freundin von der indirekten Todesdrohung erfahren und sind auf der Hut. Der Angeklagte geht zu einer Tankstelle, kauft Bier und kehrt zurück. Ein Nachbar versucht ihn aufzuhalten, es kommt zu einer Prügelei. Der 40-Jährige greift ein und sprüht mit Reizgas. Die Frau verletzt ihren Ex-Mann mit einem Teleskopschlagstock am Kopf. Da zieht der Angeklagte das Messer.
"Der Bastard soll verrecken!"
Nach der Tat versucht die Frau, den 40-Jährigen zu retten. Warum sie das tue, will der Angeklagte wissen und ruft: „Der Bastard soll verrecken!“ Der Tatort ist nur wenige Meter vom Wohnhaus der Familie entfernt. Zwei der Kinder haben alles mit angesehen. Sie sind deswegen bis heute in therapeutischer Behandlung.
Der Tod des 40-Jährigen sei völlig sinnlos gewesen, sagt Bülter. Das Motiv der Tat liege in Enttäuschung, Verbitterung und einer subjektiv als Unrecht empfundenen Behandlung. Das sei in der Summe kein niederer, sondern ein noch begreiflicher Beweggrund. Also kein Mord, wie der Staatsanwalt seine Forderung nach zwölfeinhalb Jahren Haft begründet hatte. Doch der Richter ermahnt den mehrfach vorbestraften Angeklagten eindringlich, die Chance der Entzugstherapie ernst zu nehmen. Bei weiteren Gewalttaten drohe ihm die Sicherungsverwahrung.